Comboni-Missionar Pater Gregor Schmidt lebt und arbeitet – nicht nur als Seelsorger – seit 2009 im Südsudan in der Pfarrei Old Fangak beim Volk der Nuer und berichtet oft über die Entwicklungen im kriegsgebeutelten Land. Hier erzählt er uns seine persönliche Berufungsgeschichte:
Eine Berufung ist ein Geschenk Gottes. Sie entwickelt sich durch viele Begegnungen, die Teil eines größeren Plans Gottes sind. Die folgenden Beschreibungen konzentrieren sich auf die Ereignisse, die verständlich machen, wie ich – nach einer Bekehrung in einen protestantischen Kontext – ein katholischer Missionspriester im Südsudan geworden bin.
Ich wuchs in einer Familie auf, in der nicht meine Eltern, sondern meine Großeltern väterlicherseits praktizierende Katholiken waren. In ihrem Haus war es üblich, vor dem Essen zu beten, und wir Enkelkinder lernten die Bedeutung der Sonntagsmesse als ein festes Ritual in der Woche kennen. Während meiner Kindheit hatte ich einen festen Glauben an die Präsenz Gottes und Jesu in meinem Leben. Als Teenager war ich auch einige Jahre Ministrant und einer der wenigen Schüler in meiner Klasse, der sonntags regelmäßig zur Kirche ging. Die Messe hat mir wirklich gefallen. Unter der Woche war das Leben nach dem Glauben jedoch nicht relevant. Mit meinen Eltern oder Freunden sprach ich nicht darüber.
Mein Kinderglaube war aufrichtig. Er wurde aber nicht angemessen genährt. Vermutlich wäre ich ein säkularer Mensch geworden, wie es so vielen Jugendlichen in der Kirche ergeht, wenn sie erwachsen werden und ihnen der Glaube fremd wird. Mein Lebensweg änderte sich jedoch, als mein Vater vorschlug, mich nach der 11. Klasse als Austauschschüler in die USA zu schicken.
Begegnung mit Jesus Christus
Ich bewarb mich bei der ökumenisch-christlichen Jugendorganisation Young-Life, die mich bei einer warmherzigen, protestantischen Familie unterbrachte. Sie gehörten zur Grace Brethren Church (mit historischen Wurzeln zum deutschen Pietismus) mit einer aufrichtigen Liebe zu Jesus Christus und der Bibel. Die Jugendarbeit der Kirche zusammen mit dem Programm von Young-Life eröffnete mir eine neue Sicht auf den Glauben. Zu dieser Zeit fing ich an, zum ersten Mal in der Bibel zu lesen. Die Begegnung mit Gott in der Heiligen Schrift gewann mein Interesse unerwartet und berührte mich tief, dass ich mein Leben Gott bewusst anvertraute.
Ich kann es am besten als einen Wandel von einer selbst-zentrierten hin zu einer Christus-zentrierten Perspektive beschreiben. Mit der Bezeichnung „selbst-zentriert“ möchte ich nicht sagen, dass ich eine egoistische Person gewesen wäre. Das Wort soll verdeutlichen, wie Menschen üblicherweise die verschiedenen Bereiche ihres Lebens (Beziehungen, Freundeskreis, Beruf, Geldangelegenheiten, usw.) im Blick auf die eigenen Interessen organisieren. Glaubensfragen sind eventuell ein zusätzlicher Lebensbereich, aber im Zentrum steht der Anspruch, autonom zu bestimmen, wie stark Gott in das eigene Leben eingreifen darf. Indem ich mich auf Jesus Christus einließ, erlaubte ich Gott, die Kontrolle über alle meine Lebensbereiche zu übernehmen und sie dadurch zu heiligen. Denn in meiner vermeintlichen Autonomie war ich in Wirklichkeit von vielen anderen Stimmen abhängig gewesen. Es lief auf einen Tausch hinaus, was bzw. wer mein Fundament sein soll.
Die Begegnung mit Jesus macht unsere Herzen frei, ihm zu folgen. Das Gegenteil davon ist, in den eigenen Ängsten oder Begierden gefangen zu sein. Die Bibel beschreibt diesen Wandel mit einem beeindruckenden Bekenntnis: Gott „hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes“ (Kol 1,13). Dies ist Gottes Geschenk, das wir durch den Glauben erhalten. Nach dieser Erfahrung des barmherzigen Gottes konnte ich nicht länger irgendetwas vor Ihm zurückhalten. Obwohl meine Hinwendung zu Christus in einer protestantischen Umgebung stattfand, ist es eine von Grund auf katholische Erfahrung. Alle Heiligen der Geschichte hatten eine persönliche Bekehrung zu Christus erlebt und in Hingabe zu Ihm gelebt.
Zurück in Deutschland hatte ich eine Identitätskrise, da sich meine Glaubenserfahrung so sehr von dem säkularen Leben vieler Katholiken unterschied. Ich war voller Hingabe zu Christus, fühlte mich aber in der Kirche nicht zu Hause. Persönliche Bekehrung und Evangelisation wurden in den Predigten nicht angesprochen. Während dieser Phase spielte meine Großmutter eine entscheidende Rolle. Als junge Frau war sie zur katholischen Kirche konvertiert. Sie wurde meine Gesprächspartnerin und half mir dabei, Jesus Christus, die Heilige Schrift und die katholische Kirche miteinander in Einklang zu bringen. Es ist die die Geschichte durchschreitende Familie Gottes, die Kirche, die den Glauben am Leben erhält und ihn an die nächste Generation weitergibt; so unvollkommen das auch geschehen mag.
Begegnung mit der Kirche als Volk Gottes
Am Ende meiner Schulzeit entschloss ich mich, den Wehrdienst zu verweigern. Im Kloster Taizé traf ich einen Mann, der seinen Zivildienst über die Kirche als Laienmissionar in Peru geleistet hatte. Es handelte sich um eine Partnerschaft der Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Chachapoyas (im Norden Perus). Dort lernte ich die Kirche zum ersten Mal als Volk Gottes kennen. Diese Erfahrung – das konkrete Mitleben und Teilen des Glaubens – half mir, meine Identität als Katholik zu festigen.
Der Pfarrer predigte zu Weihnachten, dass Jesus Christus gekommen ist, um im Herzen eines jeden Menschen geboren zu werden. Seine Geburt ist kein vergangenes Ereignis. Die Gegenwart des Auferstandenen bringt das Licht Gottes in unsere Dunkelheit. Ich wusste, dass es derselbe Jesus war, dem ich mein Leben in den USA geöffnet hatte, der jetzt erneut zu mir sprach.
Ich war auf verschiedene Weisen als Laienmissionar tätig. Peruaner litten in den 1990er Jahren unter dem Terrorismus seitens des Sendero Luminoso und den Anti-Terror-Maßnahmen der peruanischen Regierung, die tausende unschuldiger Bürger tötete und einsperren ließ. Die Diözese Chachapoyas reagierte auf diese Situation, indem sie eine Menschenrechtskommission gründete, um Menschen über ihre Rechte zu informieren, lokale Glaubensgemeinschaften zu stärken und um Rechtsbeistand in Fällen von willkürlichen Verhaftungen zu gewähren. Als ein Mitglied dieser Kommission besuchte ich beinahe täglich das örtliche Gefängnis und organisierte Kurse für die ländliche, vorrangig ungebildete Bevölkerung.
Des Weiteren war ich in der Jugendarbeit der Pfarrei aktiv. In vielen Diözesen Perus war es üblich, dass die Eltern zur selben Zeit, in der ihre Kinder am Sakramentenunterricht teilnahmen, sich in einer Erwachsenengruppe trafen, um zu Hause über diese Themen zu sprechen und den Glauben innerhalb der Familie zu teilen. Das Programm heißt catechesis familiar (Familienkatechese). Meine Pfarrei bot eine fundierte Glaubensausbildung für Familien und Katecheten an, was mich sehr inspiriert hat. Der Pfarrer ermutigte mich ferner dazu, samstagabends eine Kapelle zu besuchen, die eine Stunde entfernt zu Fuß außerhalb der Stadt lag, und als Katechet einen Wortgottesdienst für die Menschen anzubieten. Rückblickend entwickelte sich aus meinem liturgischen Gebetsdienst als Katechet der Wunsch Priester zu werden.
Begegnung mit dem Hl. Daniel Comboni
Zurück in Deutschland begann ich Theologie zu studieren, zunächst mit dem Berufsziel Pastoralreferent. Mein Dozent für das Alte Testament war ein Benediktinerpriester, der mich durch seinen Glauben und seine Spiritualität so sehr faszinierte, dass ich ihn bat, während meines Studiums in seinem Kloster mitleben zu dürfen. Kurze Zeit später klärte sich für mich im Gebet, dass Jesus mich rief, Missionspriester zu werden. Es war nicht so sehr eine Entscheidung, die ich zu treffen hatte, als vielmehr die Entdeckung von etwas, das langsam in meinem Herzen herangereift war und das ich mit Freude annahm. Mir war jedoch nicht klar, wo ich beitreten würde.
Während der folgenden Semesterferien kehrte ich nach Chachapoyas zurück. Einer meiner Freunde war mittlerweile in der Ausbildung der Comboni-Missionare. Er sprach über den Gründer Daniel Comboni und das Charisma der Erstevangelisierung, d.h. unter Völkern zu leben, die Jesus Christus mehrheitlich noch nicht kennen oder die nur wenig evangelisiert worden sind. Es passte zu dem, wonach ich suchte, sodass ich gar nicht mehr woanders nachfragte.
Ein Comboni-Missionar widmet sein Leben der Mission durch die drei Evangelischen Räte (Armut, Keuschheit, Gehorsam) und teilt das Leben der einfachen, oft marginalisierten Bevölkerung. Das Teilen des Evangeliums ist durch Jesus inspiriert, der Sünder und Ausgestoßene aufsuchte und mit Gott versöhnte (Lk 4,18-19; 19,9-10) und durch die Propheten, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung anprangerten (Jes 10,1-2; 58,6-12). Während des 19. Jahrhunderts, als Afrika durch den europäischen Kolonialismus und den arabischen Sklavenhandel verwüstet wurde, sprach Comboni von seinen „Brüdern und Schwestern in Zentralafrika“, die ihm zufolge zu den „Ärmsten und am meisten Vernachlässigten“ von allen Völkern gehörten und ein Recht darauf haben, Gottes Barmherzigkeit durch Jesus Christus kennenzulernen.
Als ich in meiner Suche nach einer Ordensgemeinschaft zum ersten Mal von Comboni hörte, beschäftigte mich ein Vers aus dem Jakobusbrief, der die Würde der Armen wie folgt verteidigt: „Hört, meine geliebten Brüder und Schwestern: Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?“ (Jak 2,5). Ich war bereit, meine Sicherheit zurückzulassen und im Charisma Combonis Jesus nachzufolgen.
Nach einer Probezeit in einer Comboni-Gemeinschaft bewarb ich mich, um die Ordensausbildung zu beginnen. Nach dem Noviziat bat ich darum, nach Afrika geschickt zu werden, um Daniel Combonis Leidenschaft für die Menschen dieses Kontinents verstehen zu lernen. Seit 2005 lebe ich in Ostafrika – zunächst in Kenia und seit 2009 im Südsudan inmitten halb-nomadischer Hirtenvölker. Im März 2011 wurde ich in meiner Heimatstadt Berlin zum Priester geweiht.
Begegnung mit den Nuer im Südsudan
Im Buch Jesaja handelt ein Abschnitt von den Völkern des Sudan: „In jener Zeit werden von dem hochgewachsenen Volk mit der glänzenden Haut dem Herrn der Heere Geschenke gebracht, von dem Volk, das man weit und breit fürchtet, von dem Volk, das kraftvoll alles zertritt, dessen Land von Flüssen durchschnitten wird. Man bringt die Geschenke an den Ort, wo der Name des Herrn der Heere gegenwärtig ist: zum Berg Zion.“ (Jes 18,7) Die „Flüsse“ sind der Nil mit seinen zahlreichen Nebenflüssen, die das Territorium durchschneiden. Jesaja sah die Zeit voraus, zu der diese Völker dem Herrn in Zion Geschenke bringen würden. Es passierte nicht zu seinen Lebzeiten, sondern in neutestamentlicher Zeit. Der Afrikaner in der Apostelgeschichte, Kapitel 8, ist der erste sudanesische Christ aus dem Reich der Meroe, noch bevor das Evangelium Europa erreichte. Es gab eine lange Phase, in der das Christentum im Norden des Sudan bis ins 15. Jh. blühte. Jedoch verschwand die Erinnerung and den christlichen Glauben komplett unter dem Einfluss des Islam und wurde erst knapp 400 Jahre später zum zweiten Mal durch Daniel Comboni im Sudan bekannt gemacht. Es dauerte aber noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, bevor die Nuer, das nilotische Volk bei dem ich lebe, in großer Zahl Christen wurden.
Die Nuer wurden während des sudanesischen Bürgerkriegs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus ihrer Heimat vertrieben. Einige wurden Christen, als sie mit katholischen und protestantischen Missionaren in Khartum und in Äthiopien zusammentrafen. Während des Befreiungskampfes gegen ihre islamisch-fundamentalistische Regierung entdeckten sie den Gott der Bibel als den Heiligen, der das Weinen seines leidenden Volkes hört, so wie er auch die versklavten Israeliten in Ägypten gehört hat. Das Evangelium verbreitete sich unter den Nuer wie ein Lauffeuer während der 1980er und 1990er Jahre, als die zurückkehrenden Konvertiten ihren neuen Glauben mit ihren Angehörigen in den Dörfern teilten. Heute, nach 40 Jahren, gibt es hunderttausende Nuer-Christen; vorrangig Presbyterianer, Katholiken und Anglikaner.
Die Comboni-Missionare wurden 1998 vom Bischof eingeladen, Katholiken zu begleiten, die in der Fangak Region im Sumpfgebiet des Nil verstreut leben. Wir bilden Katecheten, Frauen und Jugendliche aus, damit sie zu kompetenten Gebetsleitern und Lehrern des Glaubens in ihren Kapellen werden. Ferner bieten wir das Katechumenat (Taufvorbereitung) für Erwachsene an, die darum bitten, Christen zu werden. Da über 95 Prozent der Bevölkerung in diesem Teil des Südsudans aufgrund ihrer Isolation Analphabeten sind, unterstützen wir Bildungsprogramme auf Nuer und Englisch. Außerdem ist aufgrund des aktuellen Bürgerkrieges die Aussöhnung der verschiedenen ethnischen Gruppen eine wichtige Aufgabe für die Kirchen geworden.
Unsere katholische Gemeinschaft, deren erste Generation von Gläubigen noch am Leben ist, ist äußerst gastfreundlich und großzügig. Um die Pfarrei zusammenzuhalten, besuchen wir Missionare die Gläubigen regelmäßig in ihren Dörfern. Wir sind zu Fuß unterwegs, da es keine Straßen gibt und entsprechend auch keine Fahrzeuge. Die am weitesten entfernten Kapellen sind bis zu vier Tage vom Pfarrzentrum entfernt. Das Pfarrgebiet ist etwa acht Mal so groß wie Berlin. Es gibt kein Telefon/Handy, keine Post und kein Stromnetz. Wir sind auf Solarkraft angewiesen. Die Isolation und die Einfachheit dieses Lebensstils helfen mir, mich auf die grundlegenden Dinge zu konzentrieren, was es heißt, ein Mensch und ein Christ zu sein.
Ich bin dankbar für den gesamten Weg, den Gott mich bis hierhin geführt hat, und möchte nichts von alledem ändern, was mich – durch Seine Gnade – zu dem Menschen geformt hat, der ich geworden bin.
P. Gregor Schmidt
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