Pater Gregor Schmidt kennt die Härte der Mission. Im südsudanesischen Fangak County ist es nicht ungewöhnlich, dass er neun Stunden am Tag durch hüfttiefes Wasser watet, um von einer Missionsstation zur nächsten zu gelangen. „Es ist wirklich anstrengend“, sagt er entschuldigend, „denn der Fuß versinkt mit jedem Schritt im Schlamm. Und natürlich muss man alle Sachen über dem Kopf tragen, damit sie nicht nass werden.“ Und die Missionsstationen können Tage, sogar Wochen entfernt liegen. „Derzeit sind wir drei Comboni-Missionare, Pater Christian aus Italien, Pater Alfred aus Uganda und ich, die eine Pfarrei von rund 25.000 Katholiken in etwa 80 Dörfern betreuen. In jedem Ort, der regelmäßig eine große Anzahl von Katholiken hat, die sonntags beten, kann eine Kapelle entstehen. Wir Missionare teilen die Orte unter uns auf und besuchen sie, so gut wir können, in der Regel zwei-bis dreimal im Jahr. Alle Wege legen wir zu Fuß zurück, weil es in diesem Bezirk keine Straßen für Fahrzeuge gibt.“
In jeder Not aber sieht Pater Gregor die Hand der Vorsehung. Die fehlende Infrastruktur sei kein Problem, sagt er. „Es war ein wunderbarer Segen. Ohne Brücken und gute Straßen können die Panzer nicht in unser Gebiet kommen. Der Boden ist zu weich und kann monatelang überflutet werden. Wir sind also sicher.“ Die Abschirmung von bewaffneten Konflikten ist ein greifbarer Segen im Südsudan. In der kurzen Geschichte dieses Landes war der Krieg eines seiner beständigsten Merkmale. Im Jahr 2011 aus dem Sudan herausgeschnitten, gibt es im Südsudan noch wenig, was die Bewohner eint. Mehr als sechzig ethnische Gruppen leben hier, sie sprechen achtzig Sprachen. Die meisten dieser unterschiedlichen Gruppen folgen einem traditionellen Lebensstil, ohne politische Strukturen nach westlicher Art und ohne die geringste Vorbereitung auf das Leben in der Stadt.
Der Aufbau der Nation ist ein harter Kampf, da sich die meisten Menschen in der Region stärker mit ihrem Clan oder ihrer ethnischen Gruppe identifizieren als mit dem Land. Pater Gregor versteht diese Ansicht. „Die Leute hier sind sehr stolz darauf, Nuer zu sein“, sagt er. „Die erste Identifikation gilt immer dem Clan und dem Stamm. Ich denke, dass für die meisten Südsudanesen die ethnische Identität wichtiger ist als die nationale. Nationalstaaten sind ein neues Phänomen in Afrika. Im Fall des Südsudan ist es ein miserabler Dienstleister. Deshalb verlassen sich die Menschen auf ihre traditionellen sozialen Netzwerke. Sie haben nie etwas anderes gekannt, das für ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen sorgt.“ Da das Land daran arbeite, seine politische Identität zu entwickeln, könne sich diese traditionelle Sichtweise als Herausforderung erweisen, sagt er. „Die eigene Familie und die ethnische Gruppe sorgen traditionell für Sicherheit und gerechte Verteilung. Es ist ein Beziehungsgeflecht, das man nur schwer verlassen kann, selbst wenn man es möchte. Der Druck der Angehörigen ist extrem intensiv. Wenn jemand Geld verdient, gibt es viele Verwandte, die um einen Anteil bitten. Wie könnte ein Politiker, der staatliche Mittel verwaltet, in diesem Zusammenhang reagieren? Wenn es darauf ankommt, würde der Politiker eher den Staat verraten als seinen Clan. Was im Allgemeinen als Korruption und Vetternwirtschaft bezeichnet wird, ist die Art, wie die verschiedenen ethnischen Gruppen dafür sorgen, dass ihre Mitglieder versorgt sind. Die Bevorzugung der eigenen Gruppe und die daraus resultierenden Konflikte – das gab es schon immer. Dieses Verhaltensmuster zeigt sich nach wie vor, wenn jemand Politiker wird.“ Die rasante Urbanisierung nach dem Krieg war ein weiterer Stressfaktor für die hier lebenden Menschen. Gregor stellt fest: „Die meisten Jugendlichen wachsen traditionell auf, ohne Schule. Sie züchten Rinder und helfen auf den Feldern oder in den Gehöften. Obwohl einige in einer Stadt waren, haben die meisten noch nie ein Auto gesehen.“
Der Krieg mag vor der Haustür aufgehört haben, doch seine Auswirkungen haben das Haus verwüstet. Als wegen der Konflikte keine Waren mehr Nil abwärts transportiert werden konnten, ging der kleinen Marktgemeinde Old Fangak die Nahrung aus, gerade als sie von Menschen überrannt wurde, die vor der Gewalt flüchteten. Plötzlich tauchten das Rote Kreuz, die UNO und andere Nichtregierungsorganisationen auf, um den Vertriebenen zu helfen. Was einst ein Dorf war, wurde zu einer Kleinstadt mit 30.000 neuen Einwohnern. Und was einst ein Volk war, das an einen jährlichen Kreislauf von Lebensmittelknappheit gewöhnt war, ist zu einer Bevölkerung geworden, die zunehmend von der Nahrungsmittelhilfe von außen abhängig ist. Binnenflüchtlinge laden ihre Großfamilien nach Old Fangak ein, um die magere Jahreszeit zu vermeiden, und die Nahrungsmittelversorgung kann mit dem Zustrom nicht Schritt halten. In dieser Knappheit sieht Pater Gregor jedoch auch einen Segen. „Diese Menschen überleben mit dem absoluten Minimum und zeigen uns, was im Leben wirklich wesentlich ist“, sagt er.
Der Krieg hat auch auf andere Weise eine bleibende Narbe bei den Menschen in der Region hinterlassen. Gregor sagt, dass es in manchen Orten fast keine Jungen im Teenageralter bis Anfang Zwanzig gibt. Es wurde als patriotische Pflicht angesehen, die Jungen in den Krieg zu schicken, selbst wenn die Familien schlicht ums Überleben kämpften. Die jüngste Geschichte Afrikas ist reich an Geschichten über Kinder, die für den Militärdienst eingezogen werden, aber die Grenzen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter sind in dieser Region Afrikas nicht so genau definiert wie in anderen Teilen der Welt. „Kindersoldaten sind per Definition Jugendliche unter 18 Jahren“, erklärt Gregor. „Bei den Nuer hat die Unterscheidung von Minderjährigen keine kulturelle Bedeutung. Wie in anderen traditionellen Kulturen gelten auch hier die Jugendlichen schon viel früher als Erwachsene. Wenn sie in die Pubertät kommen, lernen sie zu jagen und auch zu töten. Wenn die Jugendlichen rekrutiert werden, fragen die Menschen nicht nach ihrem Alter, sondern schauen sich ihre Körperentwicklung an oder ob sie Zeichen auf ihrer Stirn haben. Eine ganze Reihe von Jugendlichen auf dem Land kennt nicht einmal mit Sicherheit das Geburtsjahr. “ Ein zartes Alter ist kein Hindernis für Soldaten, und Rekrutierer haben willkürlich ausgewählt. Gregor erinnert sich: „Im Laufe des Jahres 2014 waren die Oppositionskräfte in unserer Gegend mit der Zahl der ehrenamtlichen Helfer zufrieden. Als sich der Konflikt hinzog, zwangen sie jeden Mann, der eine AK-47 (die Kalaschnikow) besaß, zum Kampf. Die andere Möglichkeit war, die eigene Waffe aufzugeben, was eine schwierige Entscheidung war. Als durch diese Maßnahme nicht genügend Kämpfer zur Verfügung standen, um die gefallenen zu ersetzen, hatten wir im ganzen Landkreis eine massive Zwangsrekrutierung. Viele Häuser in den Dörfern wurden bei Nacht durchsucht und Jugendliche wahllos mitgenommen. In Old Fangak riefen sie die Bevölkerung auf dem öffentlichen Platz zusammen und nahmen dann alle Männer fest. Obwohl die meisten von ihnen (insbesondere die älteren) freigelassen wurden, wollten die Höhergestellten vor Ort nicht eingezogen werden. Aber in den Dörfern gab es viele Freiwillige, die es als Akt der Selbstverteidigung sahen. “
Ein weiterer kultureller Aspekt spielt dabei mit, sagt er. „Die Nuer glauben auch an das Schicksal und dass Gott bereits den Tag festgelegt hat, an dem ein Mensch stirbt. Wenn sie in den Kampf gehen, fühlen sie sich von der Vorsehung beschützt.“ Der Verlust einer Generation von Männern bedeutet, dass es noch schwieriger ist, ein Feld zu bestellen, zu ernten, zu jagen oder Rinder zu züchten. Selbst in Friedenszeiten ist dieses harte Leben schwieriger geworden.
Pater Gregor ist sich der Gefahren bewusst, in einem armen und vom Krieg zerrissenen Land zu dienen, aber er besteht darauf, dass es einfach Teil des Comboni-Charismas ist. Für die Comboni-Missionare, sagt er, „ist es klar, dass unsere Präsenz im Südsudan wichtiger ist als je zuvor. Im Südsudan kann nur jeder fünfte Mensch lesen. Frauen haben noch weniger Zugang zu Bildung. Es ist dreimal wahrscheinlicher, dass ein Mädchen im Teenageralter schwanger wird und aufgrund von Komplikationen während der Geburt stirbt, als dass sie die Schule beendet.“
„Das Evangelium bezeugt das Licht Jesu, das in der Finsternis leuchtet. Wo Menschen dieses Licht annehmen, wird Hass in Liebe und Verzweiflung in Sicherheit verwandelt. In unserer Lebensform [Anm. Ordensregel] heißt es: ‚In der Nachfolge Christi wird der Missionar mit dem Leben, Arbeiten und Weg des Volkes solidarisch und teilt dessen Schicksal.‘ Wenn dieses Schicksal ein Bürgerkrieg ist, dann ist es auch mein Schicksal. Ich akzeptiere das bewusst und lebe es im Vertrauen auf Gott.“ „Was unsere Arbeit beim Aufbau der Glaubensgemeinschaft betrifft, so hoffe ich, dass sie am Ende Früchte trägt. Aber das ist nicht etwas, was man wie ein Projektziel in einem festgelegten Zeitrahmen umsetzen kann. Die Kirche atmet im Rhythmus der Generationen. Deshalb glaube ich, dass es eine ganze Weile dauern wird, bis die Werte des Evangeliums in der Gesellschaft verwurzelt sind und die Glaubensgemeinschaft eine stärkere Identität schafft als die eigene ethnische Gruppe.“
Kathleen M. Carroll