geboren am 25.06.1902 in St. Lorenzen (BZ)/I
Zeitliche Gelübde: 09.09.1927
Ewige Gelübde: 09.08.1933
verstorben am 21.11.1996
beigesetzt in Brixen/I


Das Leben von Bruder Leo Siessl ist sehr einfach verlaufen. Er wurde am 25. Juni 1902 in St. Lorenzen/Südtirol geboren und am selben Tag getauft. Im Alter von zehn Jahren empfing er in Brixen das Sakrament der Firmung. Nach einem kurzen Militärdienst in Mailand trat er 1925 im Alter von 23 Jahren als Bruderkandidat ins Missionshaus Milland ein. Am 9. September 1925 begann er das Noviziat und legte am 9. September 1927 die ersten zeitlichen Gelübde ab. Am 9. August 1933 weihte er sich im Seminar von Unterpremstätten/Graz für immer Gott und der Mission mit den ewigen Gelübden.

Es wurde ihm nie die Möglichkeit gegeben, seine missionarische Berufung auch in Afrika oder in Lateinamerika zu leben. Sein ganzes Leben als Comboni-Missionsbruder, fast siebzig Jahre, hat er in der Deutschsprachigen Provinz verbracht. In der Heimatprovinz waren keine hohen Qualifikationen oder Zertifikate erforderlich, dafür hatte Bruder Leo ein weites, gutes Herz und einen scharfen Verstand. Wo immer man ihm begegnete, im Stall, auf den Feldern oder bei verschiedensten Diensten im Haus, immer war er die Herzlichkeit selber. Er hing mit Liebe an seiner missionarischen Berufung und war ein glücklicher und zufriedener Missionsbruder. Mit Interesse verfolgte er Nachrichten, Erzählungen und Erfahrungen der Mitbrüder, die aus Afrika oder Lateinamerika die Gemeinschaft besuchten.

Bruder Leo besaß einen gesunden Hausverstand, war ein unkomplizierter Mensch und klar in seinem Reden. Bis ins hohe Alter nahm er mit Interesse an den Ereignissen der Hausgemeinschaft teil. Er war ein froher Mitbruder, ausgestattet mit scharfem Intellekt, der schnell reagieren konnte. Auf dumme Fragen oder Beobachtungen gab er sofort eine passende Antwort. Oft sagte er: „Da gibt es nichts zum Lachen, es geht um ernste Dinge!“

Seine Ordensheimat war Milland. Er lebte in dieser Gemeinschaft von 1925 bis 1930, von 1946 bis 1949, von 1952 bis 1960, von 1973 bis 1996: vierzig Jahre lang. Zwischendurch arbeitete er in folgenden Gemeinschaften: dreizehn Jahre in Graz, zwölf in Bad Mergentheim und fünf in Mellatz.

Er las gerne und viel. Jeden Tag hielt er seine geistliche Lesung und machte sich Notizen. Sein Erinnerungsvermögen ist fast bis zu seinem Tod intakt geblieben. Als seine wertvollsten Erlebnisse betrachtete er die Jahresexerzitien, eine Pilgerreise nach Rom mit zwei Mitbrüdern und die Reise ins Heilige Land, im Alter von achtzig Jahren.

Unter seinen persönlichen Aufzeichnungen fand sich ein Brief an Papst Johannes Paul I., der einen Einblick in das Herz des Bruders gibt:

Liebster Papst Johannes Paul I.:

„Sie wundern sich, warum ich diesen Brief geschrieben habe. Ich hatte ja keine Gelegenheit, mit Ihnen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Sie haben uns so plötzlich verlassen, nur einen Monat nach Ihrer Wahl zum Papst. Die Menschen sind fassungslos und sprachlos geblieben, als sie die bittere Nachricht von Ihrem Tod hörten. Wahrhaftig, die Leute haben Sie spontan in ihr Herz geschlossen, weil Sie Liebe und Freude ausgestrahlt haben. Ich darf Sie bitten – sicher werden Sie im Jenseits Wege dazu finden – uns allen zu helfen, froher zu werden! Ich hätte Sie gerne persönlich darum gebeten, aber jetzt ist es nicht mehr möglich. Sie haben sich mit großer Offenheit den Menschen zugewandt, immer mit einem gewinnenden Lächeln.

Ich bin froh, dass Sie es geschafft haben, in den Gesichtern der Menschen die Freude wieder aufstrahlen zu lassen. Ich danke Ihnen, dass Sie das Feuer der Freude in der Kirche wieder entzündet haben, so dass sogar Bischöfe und Kardinäle es wagen, wieder zu lachen.

Warum haben Sie uns so schnell verlassen? Sie kennen die Antwort nicht, auch wir nicht. Aber vielleicht haben wir Sie noch mehr geliebt, weil wir Sie nur so kurze Zeit unter uns gehabt haben – den lächelnden Papst“. Bruder Leo Siessl.

Bruder Leo hat immer eine enge Beziehung zu seinem leiblichen Bruder Hermann gepflegt, der vierzig Jahre lang Pfarrer von Winnebach/Südtirol war. Man tut sich schwer, sich den einen ohne den anderen vorzustellen, denn sie bildeten in gewisser Weise eine Einheit.

Unter seinen persönlichen Schriften finden sich viele Hinweise auf seine innige Marienverehrung. Kurz vor seinem Tod, als er schon nicht mehr sprechen konnte, machte er eine Handbewegung und zeigte auf das Bild der Muttergottes an der Wand, als wollte er sagen: „Hört auf sie!“ Er versäumte es nie, vor dem Muttergottesbild auf dem Weg zur Kirche „Maria im Sand“ eine Kerze anzuzünden.

Gott schenkte ihm die Gnade, am 21. November 1996, am Gedenktag der Darstellung Mariens im Tempel, zu sterben. Sie hat den „Bruder mit Herz“ ins himmlische Jerusalem eingeführt. Am 25. November wurde er in Milland begraben. Vierzehn Priester standen um den Altar bei der Eucharistiefeier, und viele andere Mitbrüder nahmen am Gottesdienst teil. In seiner Predigt hat der Provinzial Bruder Leo mit Johannes dem Täufer auf dem Gemälde von Matthias Grünewald verglichen, der mit einem Finger auf den gekreuzigten Erlöser hinzeigt.

Bruder Leo hat nicht viel geredet, er war nicht interessiert an vielen Worten. Wahrscheinlich sagt er auch jetzt „Basta“! Er hat nie eine Predigt gehalten – aber sein ganzes Leben ist eine inhaltsreiche Predigt gewesen, zu unserer Erbauung.

R.I.P.

Pater Anton Maier