Wenn ich von meiner Berufung erzähle, möchte ich von meiner Lebensrealität ausgehen. Ich komme aus einem Nomadenvolk in Kenia. Bei uns gilt es, so viele Kühe wie möglich zu besitzen, ja sie unter Umständen sogar den Nachbarn und Feinden mit Gewalt zu rauben. Paradoxerweise habe ich in diesem Ambiente die Liebe meines Lebens gefunden. Sie hat mich verführt und mich in meinem Herzen gepackt. Dieser Ruf hat mich eingeladen, mich für die Menschen genau so radikal einzusetzen wie ein Krieger unseres Volkes der Pokot sich einsetzt im Kampf um Kühe.
Ich heiße Abraham Sireu, ich bin der Sohn von Isaiah Ang’irotum und Francesca Chesakit aus dem Volk der Pokot, einem Halbnomadenvolk, dessen Leben zum Großteil vom Besitz vieler Kühe abhängt. Ich bin am 25. November 1982 geboren. Das war in einer Zeit großer Kämpfe zwischen meinem Volk und den Karimojong (Nachbarvolk in Uganda). Nach dem Fall von Idi Amin sickerten viele Waffen aus Uganda in unser Land.
Zu dieser Zeit kamen die Comboni-Missionare zu uns in meine Heimat Amakuriat. Sie errichteten eine kleine Kirche, die zur Ehre der Mutter Gottes „Maria des Friedens“ geweiht wurde. Die Missionare eröffneten eine Schule und setzten meine Eltern als Helfer ein. Ich war einer der ersten Täuflinge in dieser kleinen Kirche.
Die Geschichte meiner Berufung ist verbunden mit der Anwesenheit der Comboni-Missionare und -schwestern. Ihre große Hingabe für unsere Menschen kann ich kaum beschreiben! Zu Beginn ihrer Anwesenheit setzten sie ihren Schwerpunkt im Bereich des Gesundheitswesens, im Schulwesen, in der Erziehung der Kinder und Jugendlichen und in der Verkündigung der Frohen Botschaft.
Ich erinnere mich an Schwester Juliana gerade in einer Zeit als es meiner Familie nicht gut ging. Meine Schwester verstarb an zerebraler Malaria und meine jüngere Schwester war mit derselben Krankheit auch dem Tode nahe. Da erlebte ich diese Schwester als gute Samariterin.
Sie brachte meine Schwester für drei Wochen in ihren Konvent bis sie wieder gesund war. Diese Erfahrung hat mein Herz zum ersten Mal so berührt, dass ich diesen Ruf zu den Ärmsten zu meinem machte. Und dann stellte ich mir die Frage, was wohl meine Aufgabe in dieser Welt sei. Die Fremden in meinem Land, die sich so für die anderen herschenkten, haben in mir diese Sehnsucht geweckt, loszumarschieren und nicht sitzenzubleiben.
Dann war da ein anderer Moment, der mir den Magen umgedreht hat: der 17. November 2002: Ich hatte gerade die Secondary School beendet als mich ein deutscher Comboni-Missionar, Bruder Friedbert Tremmel, fragte, was ich denn jetzt machen wollte. Ich antwortete ganz spontan: Ich möchte Priester werden. Ich dachte, er erwartete, dass ich ihn um Arbeit bitte wie wir jungen Leute das immer taten. Aber als er das hörte, setzte er sich schweigend hin. Dann gab er mir eine Einladung für einen Einkehrtag in Kitale in unserer Diözese in die Hand, auf der über die Berufung zum Priestertum gesprochen wurde. Das war die Antwort Gottes auf meine Fragen. Das war kein Zufall, sondern Vorsehung. Nach diesem Besinnungstag war mir klar, was es bedeutet, Priester zu werden und dieser Tag war mir auch Bestätigung, dass ich Comboni-Missionar werden will.
Ich habe noch nicht erzählt, wie meine Eltern darauf reagierten: Als sie meine guten Abschlussnoten sahen, wollten sie, dass ich auf die Universität gehe. Aber ich habe meine Meinung geändert und blieb in Kontakt mit dem Verantwortlichen der Comboni-Missionare für Berufungspastoral, Pater Claudio Longi.
Meine erste Erfahrung auf diesem Weg war wirklich eine Feuertaufe. Ich war in Korogocho, eine Vortstadt (Slum) von Nairobi. Das war eine Herausforderung! Mit marginalisierten, kriminellen Jugendlichen! Da hätte ich fast das Handtuch geworfen! Doch dann habe ich die Botschaft verstanden: Nimm dein Kreuz und folge mir!
2005 begann ich die erste Phase meiner Ausbildung in Nairobi. Ich vergleiche diese Zeit mit einem Geschenkpaket. Du wirst eingeladen, es zu öffnen und zu sehen, was es enthält. Anfangs setzt man ein widerspenstiges Gesicht auf, dann aber sieht man die Schönheit, die es enthält und dann möchte man es allen weiterschenken.
Pater Daniel Villaverde war mein Begleiter. Er hat mich in dieser Phase mit viel Zuwendung und großer Liebe begleitet. Wenn auch der angefangene Prozess seine Schwierigkeiten hatte, weil es die erste Zeit war, in der ich mit verschiedenen Mitbrüdern aus der ganzen Welt zusammen war, -manchmal mit sehr schwierigen Charakteren- … trotzdem: es war eine Zeit, in der ich mich tiefer kennenlernte und weiter reifte und mich ins Studium vertiefte.
Die zweite Etappe meiner Ausbildung fand im Noviziat in Namugongo in Uganda statt. Das erste Jahr nennt man „Zeit der Wüste“. Eine Zeit, um hineinzuwachsen in das Vertrauen in Gott. Der Ort des Noviziats hilft dazu. Dazuhin die Umgebung in der Nähe des Heiligtums der Märtyrer von Uganda. Am Ende dieser Zeit, am 1. Mai 2010, habe ich in Gegenwart meines Heimatpfarrers Pater Thomas Herreros, meiner Eltern und Freunde im Heiligtum der Märtyrer die ersten Gelübde abgelegt.
Dann ging es weiter nach Peru, wo ich meine theologischen Studien und den Pastoraleinsatz absolvierte: Eine neue Kultur, ein neuer Blick auf den Glauben geprägt von einer vielfältigen Volksreligiosität mit Verehrung von vielen Heiligen, bunten Prozessionen usw. Meine Erfahrung in den Dörfern, in der Sierra und im Urwald Perus, wo fast jeder Ort seinen eigenen Patron hat, war so schön und bereichernd. In Kenia kennen wir diese Frömmigkeitsformen nicht, wahrscheindlich auch wegen des protestantischen Einflusses. Ich erlebte in Peru eine Kirche, die sich den Ärmsten zugewandt zeigte.
Im Studium lernte ich eine besondere Richtung der lateinamerikanischen Theologie kennen, die mich besonders interessierte. Gerade wurde die Theologie der Befreiung von Pater Gustavo Gutierez entdeckt. Mit viel Eifer habe ich die Dokumente von Medellin, Puebla und Aparecida studiert – und ich habe sie in Übereinstimmung mit unserem Charisma und seiner Option für die Ärmsten entdeckt. Sie könnte auch ein großer Beitrag für die Theologie in Afrika sein.
Comboni mit seiner Leidenschaft für die Mission in Afrika und seiner Liebe bis zum Tod für die Menschen dort, bleibt eine Inspiration gerade auch für junge Menschen heute, die ihren Weg suchen in einer Welt, die so voll von Gewalt und Zerstörung ist. Gerade deswegen ist es notwendig, in die „Wüste“ zu gehen, um die Stimme Gottes zu hören, der uns zu den Menschen von heute ruft.
Pater Abraham Sireu