Gedanken eines Comboni-Missionars zur Karwoche

In diesen Tagen und Wochen, wo Millionen von Menschen aufgrund der Folgen des sich weiter rasant ausbreitenden Corona-Virus bei uns und in vielen Ländern der Welt von Angst, Sorge und Trauer erfüllt sind, möchten wir Comboni-Missionare unsere tiefe Verbundenheit mit allen zum Ausdruck bringen, mit denen wir über diese unsere Website kommunizieren.

In der Haltung einer missionarischen Spiritualität, wie sie das 2. Vatikanische Konzil allen Jüngerinnen und Jüngern Jesu ans Herz gelegt hat, sind wir gerade jetzt in der Feier der Karwoche und des Osterfestes zutiefst betroffen und „in Mitleidenschaft gezogen“: Denn „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch unsere Freude und Hoffnung, und unsere Trauer und Angst“ Ja, die Trauer und Angst, aber auch die vielen Zeichen der Solidarität und des selbstlosen Einsatzes von Menschen füreinander und ihre Hoffnungen auf eine Eindämmung und auf ein Ende der Krise berühren uns sehr. Konnten wir in diesem Jahr in das Hosianna des Palmsonntags einstimmen, wo Tausende von Menschen ihre Lieben, die der todbringenden Pandemie zum Opfer gefallen sind, nicht einmal zum Grab begleiten können? Der Jubel um Jesus war bekanntlich auch damals bald verflogen und mündete nach kurzer Zeit in das „Ans Kreuz mit ihm!“

Die Botschaft der Karwoche, oder der „Heiligen Woche“, wie sie in den meisten anderen Sprachen genannt wird, ist angesichts der aktuellen Situation von besonderer Aktualität: Christus Jesus, der Gott gleich war, entäußerte sich und erniedrigte sich … und war gehorsam bis zum Tod“ (Phil 2, 6-8) – Er steigt auch jetzt und heute ganz tief hinab in die Todesangst von Menschen, die allein sterben müssen, er nimmt das plötzlich radikal durchkreuzte Leben der Opfer und der unmittelbar Betroffenen der Epidemie auf seine eigene Schultern. Wie Maria, die Mutter Jesu und die anderen Frauen, wie Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, damals in ohnmächtiger Trauer unter dem Kreuz standen, so stehen heute Krankenschwestern und Ärzte oft so machtlos an der Seite todkranker Patienten …

Ja, unser Gott, dem das Schicksal keines Menschen gleichgültig ist, lässt sich auch im Hier und Heute in seinem Sohn Jesus Christus „in Mitleidenschaft ziehen“ … Aus dieser Gewissheit unseres Glaubens begehen wir auch in diesem Jahr die Karwoche im Blick auf die gesamte von der Pandemie durchkreuzte Welt, die ohne eine Perspektive des Trostes und der Hoffnung in ein Loch kollektiver Depression zu fallen droht ….

Viele setzen sich in dieser Situation tödlicher Bedrohung bis zur Erschöpfung für das Leben ihrer Mitmenschen ein; nicht wenige riskieren dabei ihr eigenes Leben – und unzählige Menschen setzen bewundernswerte Zeichen der Solidarität. Durch sie fällt schon jetzt auf die Leidenswege der Menschen und auf ihr Sterben von ferne das Licht des Ostermorgens. Manche glauben am Ende des Tunnels menschlicher Ratlosigkeit und Ohnmacht, die zurzeit auch jede verantwortungsbewusste Politik und alles medizinisch wissenschaftliche Forschen ehrlich zugeben muss, schon da und dort ein Licht erkennen zu können, ohne dass es dafür schon eine tatsächliche Gewissheit gibt.

Unter all diesen Umständen dürfen wir uns als Christinnen und Christen, in deren Herzen sich – und das dürfen wir ehrlich zugeben – natürlich auch gar nicht so selten Trauer und Angst, Zweifel und Unsicherheit einnisten, fragen: In welcher spirituellen Grundhaltung feiern wir in diesem Jahr die Karwoche, und was gibt uns die unerschütterliche Hoffnung, dass sich die Kraft der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus auch mitten in der lebensbedrohenden Pandemie unserer Tage für die ganze Welt ereignen kann? „Glaube aber ist“, so heißt es im Hebräerbrief, „feststehen in dem, was man erhofft, überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1).

In der Welt von heute wollen die Menschen für alles wissenschaftliche Beweise und wirtschaftliche Garantien, die gegenwärtig ganz offensichtlich kaum zu haben sind. Wann werden wir einsehen, dass weder in der Politik, noch in der Wissenschaft und auch nicht in der Medizin „alles machbar ist“? Inmitten der lebensbedrohenden Krise sind aus dieser Einsicht da und dort schon Spuren einer neuen Nachdenklichkeit zu erkennen, die vielleicht doch zu tiefgreifenden Lernprozessen führen wird und zur Erkenntnis, dass es in der Welt von heute nicht einfach so weitergehen kann, wie es bisher gelaufen ist. Es ist heilsam und dringend notwendig, dass die Menschheit, wenn sie überleben will, sich dringend der Grenzen ökonomischer Allmachtsphantasien und hemmungsloser Ausbeutung des Planeten bewusst wird.

Papst Franziskus hat kürzlich vor dem Sondersegen für die gesamte von der Corona-Pandemie betroffene Welt auf dem Petersplatz wie ein einsamer Rufer in der Wüste ein aufrüttelndes Gebet in Form einer Selbstanklage gesprochen: „In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden.“

In dieser in vieler Hinsicht kranken Welt braucht es zwar eine realistische Wahrnehmung aller Gefahren, die das Leben auf unserer Erde bedrohen. Als Christen sind wir aber keine Unglückspropheten, sondern Zeugen der Hoffnung. „Die Welt braucht keine Verdopplung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung.“ (Würzburger Synode).

Es geht deshalb darum, dass wir – auch und gerade jetzt – die Welt und die Menschheit mit österlichen Augen betrachten. Geben wir allen, die dafür ansprechbar sind, in dieser Situation der Verunsicherung Rechenschaft über unsere Hoffnung. Und diese Hoffnung ist für uns Jesus Christus, der auch und gerade mit uns Menschen von heute „das schwere Kreuz trägt“, der für uns „gekreuzigt wird“ und in seinem Tod und in seiner Auferstehung den Weg zum Leben eröffnet. Wir alle sind als Missionarinnen und Missionare in erster Linie Zeuginnen und Zeugen für diese Hoffnung, die uns niemand nehmen kann. Und diese unerschütterliche Hoffnung verbindet uns mit Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Mit ihnen allen feiern wir auch in diesem Jahr – vielleicht ganz anders als bisher – unter schmerzlichen Einschränkungen und unter lebensbedrohenden Umständen – die „Heilige Woche“, die dem Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus geweiht ist, in der wir aber hoffnungsvoll auf Ostern, dem Fest des Lebens und der Auferstehung, zugehen.

P. Franz Weber