Die Sprache der Bibel, die Sprache der Kirche ist eine Bildersprache. Ja fast immer, auch im profanen Kontext sprechen wir in Bildern. Wenn ich mich nicht täusche, war es Erich Fromm, der gesagt hat: „Eine Fremdsprache sollte jeder kennen: Die Bildersprache“. Es ist keine Sprache der mathematischen Logik, sie denkt vielmehr in Vergleichen und Assoziationen. Eines der weltweit verständlichen Bilder ist das Herz. Wir schließen oft einen Brief mit einem „herzlichen Gruß“ und senden einen „herzlichen Glückwunsch“. Das Herz steht für Liebe, von der partnerschaftlichen über die romantische bis zur platonischen Liebe. Und sie hat auch Eingang gefunden in die kirchliche Sprache und die kirchliche Kunst.

So am Herz-Jesu-Fest, dieses Jahr am 19. Juni. Das Bild vom Herzen Jesu ist wahrscheinlich in der Volksfrömmigkeit noch tiefer verankert, als in der offiziellen Liturgie. Zur Zeit Jesu war es übrigens nicht so gebräuchlich, und es kommt auch in den Lesungen des heutigen Festes gar nicht vor. Dabei war die Liebe das zentrale Thema der Botschaft Jesu, aber die Bilder Jesu und die Bilder der Bibel waren andere, an erster Stelle das vom Guten Hirten, aber auch das vom Barmherzigen Vater oder dem Freund – „Ich nenne Euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde“ – und andere. Der zentrale Satz des heutigen Evangeliums ist: „Kommt alle zu mir, die ihr Euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde Euch Ruhe verschaffen“.

Wie gesagt: Die zentrale Botschaft Jesu ist die Liebe, und zwar die Liebe Gottes zu uns. Und er meint durchaus auch die ganz alltägliche menschliche und vor allem partnerschaftliche Liebe, etwa wenn sie die Liebe zwischen zwei Geliebten als Bild für die Beziehung Gottes zu uns gebraucht. Aber das Bild vom Herzen Jesu hat noch eine weitere Dimension. Man muss nur ein klassisches Herz-Jesu-Bild anschauen: Es ist das Bild vom durchbohrten Herzen. Und das hat einen biblischen Ursprung. Unser Pater Heer hat darüber sein Buch geschrieben mit dem Titel „Der Durchbohrte“. „Als Jesus am Kreuz hing, kam ein Soldat und öffnete seine Seite mit einer Lanze, und sogleich floss Blut und Wasser heraus“ – „Leben spendendes Wasser“. Blut und vor allem Wasser stehen für das Leben. Das Herz Jesu ist Quelle des Lebens und damit auch Quelle der Freude.

Aber schon die Umstände – Jesus am Kreuz – zeigen, dass die Liebe Gottes mehr ausdrückt als nur die unbeschwerte Lebensfreude. Diese auch, aber nicht nur. Schon die Weisheit des Volkes weiß, dass sich wahre Liebe in der Not zeigt. „Wo ist Gott gewesen, als es mir so schlecht ging?“ „Wo war Gott in Auschwitz?“ – Er war mitten unter den leidenden Menschen und hat mitgelitten. An seinen Wunden sollten die Jünger und vor allem Thomas Jesus erkennen. Ohne diese Wunden hätte Thomas nur den halben Jesus erkannt. Wir reden vom barmherzigen Vater, dem barmherzigen Gott. In diesem deutschen Wort barmherzig ist das Herz enthalten – um auszudrücken, dass Gott gewissermaßen mit uns leidet, dass seine Liebe so groß ist.

Doch die Liebe Gottes, wie sie sich bei Jesus ausdrückt, hat noch eine weitere Dimension. Es gibt Leid und Schmerzen, die unvermeidlich sind. Aber Jesus ist nicht einfach einen unvermeidlichen, vielleicht sogar schmerzhaften, Tod gestorben. Er wurde getötet. Das Herz Jesu wurde durchbohrt. Vorausgegangen waren alle nur denkbaren Gemeinheiten, die Menschen anderen antun können: Quälerei, Demütigung, Spott. Und Jesus sagt noch vor seinem Sterben: „Vater verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Gottes Liebe ist auch eine verzeihende Liebe.

Lassen Sie mich jetzt noch auf das Evangelium zum Tag zurückkommen und einen Bezug zu unserer Lebenswirklichkeit suchen. Im Evangelium sagt Jesus: „Ich werde euch Ruhe verschaffen“ oder „Ihr werdet Ruhe finden“. Gemeint ist nicht einfach akustische Ruhe, erst recht nicht Grabesruhe, wie der Ausdruck „Gib ihm /ihr die ewige Ruhe“ suggeriert, sondern die Ruhe dessen, der mit sich und seinen Mitmenschen im Reinen ist, der auf sein Leben oder einen Lebensabschnitt ohne Groll und Bitterkeit zurückblicken kann. Es stimmt, dass manche vielleicht mehr Glück im Leben gehabt haben als andere, dass es den einen oder die andere besonders schlimm getroffen hat mit oder ohne eigene Schuld. Aber es stimmt auch, dass niemand durchs Leben geht, ohne dass er oder sie verletzt wird – auch nicht, ohne dass er andere verletzt. Das heißt aber auch, dass wir gegenseitig und auch uns selber verzeihen können, zumindest die Bereitschaft dazu haben müssen. Das ist eine Voraussetzung, dass wir zu dieser „Ruhe“ finden, die Jesus meint, wenn er uns einlädt, zu ihm zu kommen – und bei ihm Ruhe zu finden.

Mir kommt dabei eine Person in den Sinn, Josephine Bakhita, eine Afrikanerin aus dem Sudan, die zu Lebzeiten Combonis gelebt hat. Vielleicht war sie in einer der Sklavenkarawanen, der er begegnet ist. Sie hätte allen Grund gehabt, verbittert zu sein. Als Kind von etwa neun Jahren ist sie aus ihrem Dorf von Sklavenjägern entführt worden, hat das Brandmal einer Sklavin eingebrannt bekommen, ist verschiedene Male verkauft und wiederverkauft worden, bis sie mit ihrem letzten Besitzer nach Italien kam. Dort konnte sie die Schule besuchen, wurde frei und wurde Ordensschwester. Vielleicht etwas genervt von den Bitten vieler Neugieriger, denen sie etwas von ihrem Leben als Sklavin erzählen sollte, sagte sie lächelnd: „Das ist kurz gesagt: Gott ist gut zu mir gewesen.“ Glücklich, wer so zurückblicken kann.

Pater Reinhold Baumann