Liebe Freunde!
Herzliche Grüße von Bruder Jorge, Pater Alfred und mir! Unser Gott, der Vater des Lichts, der Jesus Christus als LICHT in die Welt gesandt hat, erfülle euch mit seinem Segen und Frieden in dieser Advents- und Weihnachtszeit, trotz aller Einschränkungen durch die Pandemie. Den Hergang des vergangenen Jahres konnte keiner von uns voraussehen. Mein Beileid gilt allen, die einen geliebten Menschen durch die Pandemie verloren haben. Meine Ordensgemeinschaft ist auch schwer getroffen worden. Im November allein sind weltweit elf Comboni-Missionare mit Covid-19 gestorben. Auch ein mexikanischer Pater der Südsudanesischen Provinz ist daran verschieden. Wer sich dafür interessiert, wie sich die Pandemie auf den Südsudan ausgewirkt hat, kann hier meinen Haupttext für dieses Jahr lesen.
Nicht die Pandemie, sondern das Hochwasser des Nil ist dieses Jahr die größte Belastung für die Menschen in unserer Region. Es ist fast eine Jahrhundertflut, wie es seit den 1960er Jahren nicht mehr gewesen ist. Das hat nichts mit dem Klimawandel zu tun, sondern mit der Vereinbarung, die Schleusen des Viktoria-Sees in Uganda zu öffnen, um Ägypten mit Wasser zu versorgen. Auf dem Weg nach Ägypten kommt das Wasser bei uns vorbei und überflutet das flache Land komplett. Die Ernte ist dahin, viele Tiere sind verendet und die Menschen müssen ihre Höfe mit hohen Deichen schützen. Aber in vielen Dörfern ist der Fluss in die Häuser eingedrungen und die Leute mussten umsiedeln. Unser zweites Problem sind lokale Kämpfe zwischen Nuer-Familien. Die Situation war zwischenzeitlich so kritisch, dass alle humanitären Organisationen ihr Personal aus Old Fangak evakuierten. Auch das Krankenhaus war geschlossen. Wir Comboni-Missionare waren die einzigen Ausländer, die blieben. Was die Regierung in sechs Jahren Bürgerkrieg nicht geschafft hat, das schaffen die Nuer unter sich. Der Schmetterlingseffekt einmal anders erklärt: Es begann mit dem Streit auf einer Hochzeit und endete fast mit der Plünderung einer Stadt.
Aus meinem letzten Adventsbrief von 2019 möchte ich zwei Dinge herausgreifen:
1. Ich habe vor einem Jahr eine Hochzeit von sieben Ehepaaren angekündigt. Zwischenzeitlich waren es sogar neun Paare in Vorbereitung, aber am Tag der Hochzeit (Ostersonntag 2020) war die Zahl wieder bei sieben. Ein Paar konnte nicht kommen, weil durch eine Familienfehde die Wege unsicher gewesen sind. Der Ehemann hätte sich auf der Wanderung dem Risiko ausgesetzt, erschossen zu werden. Bei dem zweiten Paar ist die Frau vom Dorf nicht in Old Fangak erschienen. Sie sagte später, dass sie krank war, aber vielleicht hatte sie auch Angst und braucht noch Zeit, sich zu entscheiden. Monogamie auf Lebenszeit ist etwas Neues hier. Während Menschen in säkularen Ländern das christliche Ideal der exklusiven, lebenslangen Treue zunehmend nicht mehr verstehen, noch so leben wollen, beginnt sich dieses Familienmodell langsam bei den Nuer zu verbreiten. Trotzdem bleibt die Polygamie der Standard. Bisher gibt es keine Tradition für kirchliche Hochzeiten. Das Sakrament der Ehe, wie die Taufe, ist keine Familienfeier, sondern ein Fest der Gemeinde am Sonntag. Niemand denkt daran, im Familienkreis eine persönliche kirchliche Feier auf den Samstag zu legen und danach zu Hause mit ausgewählten Gästen weiter zu feiern. Geschenke bei Erstkommunion, Firmung und Hochzeit sind auch unbekannt. Der Empfang des Sakramentes allein und das dankbare Zusammensein sind das Geschenk und Grund zur Freude.
2. Ich habe vor einem Jahr von der erwarteten Ankunft von Ordensschwestern geschrieben. Es handelt sich um die Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau (SSND; School Sisters of Notre Dame), die zu Lebzeiten Daniel Combonis von einer mutigen Frau in Bayern, Sr. Maria Theresia, gegründet worden sind. Mit einiger Verzögerung aufgrund der Pandemie haben uns Sr. Dominica (aus Deutschland) und Sr. Teresa (aus Polen) im November für zwei Wochen besucht. Es war eine gesegnete, erste Begegnung mit allen Leuten. Das Haus der Schwestern muss noch gebaut werden und soll bis Februar fertig sein, wenn die Zwei endgültig nach Old Fangak ziehen, um in der Schule und Pfarrei mitzuarbeiten. Zusammen als Patres, Brüder und Schwestern wollen wir ein gemeinsames Zeugnis für das Evangelium geben.
Über das Zeugnis der Missionare habe ich letztes Jahr im Artikel für die Ordenskorrespondenz folgendes geschrieben: „Wir leben mit den Menschen und leiden mit ihnen. Jesus Christus hat Menschen verändert und bekehrt, indem er konkret geliebt hat und sich zum Diener aller gemacht hat. Wir Missionare bemühen uns, Sprache und Kultur zu lernen, und wandeln im wörtlichen wie im übertragenen Sinn auf ihren Pfaden. Das wird von den Menschen honoriert, und sie werden bereit, sich der Perspektive des Evangeliums zu öffnen, weil wir uns ihrer Perspektive geöffnet haben.“
Ich möchte das „Wandeln im wörtlichen Sinn“ an einem Beispiel erläutern und mit der Botschaft von Weihnachten verbinden. Auf den längeren Tageswanderungen kommt oft ein Moment, wo ich nicht mehr weitergehen kann, weil alle Kraft von mir gewichen ist. Es ist die totale körperliche Erschöpfung. Weil die Landschaft überall gleich aussieht, ist es schwer abzuschätzen, wie weit es noch bis zum nächsten Ort ist. Aber ich weiß, dass ich ankommen muss, bevor es dunkel wird und die Mücken herauskommen. Es gibt keine Sitzbank, keinen trockenen Flecken Erde weit und breit. So setze ich mich einfach auf dem Weg ins Wasser, um etwas auszuruhen, und muss dann die Wanderung notgedrungen fortsetzen.
Jemand hat mich gefragt, ob unsere Besuche in den Kapellen wirklich nötig sind. Die Leute können doch auch nach Old Fangak ins Pfarrzentrum kommen. Es ist jedoch dieses „Mitgehen“, das Gemeinschaft stiftet und der Präsenz der Missionare Authentizität verleiht, weil wir wirklich sehen und verstehen und das echte Leben teilen wollen. Das Evangelium Jesu ist mehr als nur Information zum Weitergeben, es muss „inkarniert“ (Fleisch) werden.
Hier komme ich zur Botschaft von Weihnachten, der Menschwerdung Gottes. Im Philipperbrief schreibt Paulus, dass Jesus einen Schritt der Selbstentäußerung (Griechisch: Kenosis) getan hat, als er seinen göttlichen Stand aufgab und Mensch geworden ist. Als Mensch ist ihm keine unserer leidvollen Erfahrungen fremd geblieben. Er hatte insbesondere ein Auge für die Gebeugten und Marginalisierten. Er war nicht auf seinen Vorteil bedacht, war nahbar und verwundbar. Um die Menschheit zu erlösen, ist er bis ans Kreuz gegangen. Paulus leitet den Abschnitt mit folgenden Worten ein: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:…“ (Phil 2:5; es lohnt sich, mindestens die Verse 3-8 zu lesen)
Die Lebenshingabe Jesu ist das Vorbild für den respektvollen Umgang miteinander und wie das Evangelium glaubhaft geteilt werden soll. Noch bevor ich ein Wort gesprochen habe, ist meine Entschlossenheit, auch die entferntesten Kapellen zu erreichen, ein Zeichen der Gegenwart Jesu für die Nuer – ein Zeichen, dass das Evangelium so wichtig ist, dass es auch unter schwersten Bedingungen geteilt werden muss. Deshalb nehmen die Leute uns Comboni-Missionare auch bei anderen Themen ernst, z. B. wenn wir über die Würde der Frau sprechen, können aber das GenderProgramm der von UNICEF finanzierten Organisationen nicht ernst nehmen, weil jene Leute sich einfliegen lassen und, ohne zu verstehen (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn), bald wieder wegfliegen. Ich erwähne dies, weil ich überzeugt bin, dass Gott auch jeden von euch Lesern ruft, sich in Seinen Dienst zu stellen und die eigenen Grenzen zum Segen für anderen Menschen zu überschreiten. Das muss keine körperliche Erschöpfung sein. Es gibt viele Weisen, zum Zeichen von Gottes Liebe in dieser Welt zu werden. Entscheidend ist, dass das Zeugnis des Glaubens nicht nur ein Wort ist, sondern sich durch eine Tat zeigt.
Jesus spricht vom gegenseitigen Dienst (Joh 13,14-15); Paulus vom lebendigen Opfer des eigenen Leibes (Röm 12,1). Meine Erschöpfung auf Wanderungen wird mir zu einer Quelle unermesslicher Freude, sobald ich im nächsten Dorf ankomme und als Gast aufgenommen werde. Überlegt euch also, was ein nachhaltiges Geschenk zu Weihnachten für Menschen sein kann, die euch wichtig sind. Kauft weniger Dinge, sondern setzt ein Zeichen der Tat.
Herzliche Grüße,
Euer Pater Gregor Schmidt