Lieber Familie, Freunde, Comboni-Missionare und -Schwestern!

Wir (Br. Jorge, P. Alfred, P. Pedro und ich) wünschen Euch/Ihnen eine gesegnete Adventszeit, dessen Licht über Weihnachten bis in das nächste Jahr strahlen soll. Gott, der Vater des Lichts, hat uns diese Hoffnung gegeben, als er durch die Menschwerdung Jesu in diese Welt eingetreten ist.

Die erste Neuigkeit ist in der ersten Zeile enthalten, denn wir haben seit 8. Dezember ein neues Mitglied der Comboni-Gemeinschaft: Pater Pedro aus Guatemala. Die zweite, nicht mehr ganz so neue Entwicklung ist, dass die Schulschwestern Sr. Dominica und Sr. Teresa (SSND) im Februar fest nach Old Fangak gezogen und im April in ein neu gebautes Haus eigezogen sind. Während P. Alfred und ich dieses Jahr in der Regenzeit unsere Familien in Uganda und Deutschland besucht hatten, haben die beiden im Beisein von Br. Jorge die „Regentaufe“ und ein halbes Jahr Matsch gut überstanden. Zum Jahreswechsel 2021/22 werden die Schulschwestern eine lokale Grundschule von einer US-amerikanischen Organisation übernehmen.

Während Covid-19 seit knapp zwei Jahren das Leben der meisten Menschen weltweit prägt, wird bei uns im Tal der Ahnungslosen weder getestet noch geimpft noch Maske getragen. Stattdessen ist bei uns in der Region seit zwei Jahren das beherrschende Ereignis die Flut des Nil. Der Viktoria-See, die Quelle des Nil, hat einen 50-Jahre Hochwasserzyklus. Die letzte Flut kam Mitte der 1960er Jahre. Daran erinnern sich die Menschen noch. Fangak County stand damals mehrere Jahre unter Wasser. Es sieht so aus, dass wir 2022 ein drittes Jahr mit der Flut leben müssen. 80% der Siedlungsfläche sind verloren gegangen. Die übriggebliebenen Siedlungen bestehen oft nur durch Deiche. Es hat zwei Jahre keine Ernte von Hirse und Mais gegeben. Die Rinderherden sind stark dezimiert, was vor allem ein Problem für das Heiraten ist, weil der Brautpreis nicht bezahlt werden kann. Nur Fische gibt es genug zum Verzehr, d.h. niemand verhungert.

Ich möchte in diesem Brief auf zwei Themen eingehen, die mich seit meinem Besuch in Deutschland beschäftigen. In mehreren Gesprächen kam als Reaktion, dass die persönlichen oder gesellschaftlichen Probleme in Deutschland ja eigentlich marginal seien im Vergleich zu den Schwierigkeiten, im Südsudan zu überleben. Das stimmt und gleichzeitig stimmt es auch nicht. Ich habe mir abgewöhnt zu werten und finde, dass die beiden Lebensrealitäten so verschieden sind, so dass Probleme und Lebensschicksale nur schwer miteinander abgewogen werden können. Nehmen wir als Beispiel den Tod, der Menschen durch Krankheit oder Gewalt leicht betreffen kann. Da hat die moderne Gesellschaft einen echten Fortschritt erreicht. Es gibt aber in der Postmoderne den gesellschaftlichen Tod (Ausschluss der Unterschichten, Mobbing, Cancle Culture, unvergebare Straftaten, usw.) der bei den Nuer unbekannt ist. Egal ob du hässlich, ein komischer Kauz, ein Mensch mit Behinderung oder ein Mörder bist, du gehörst immer dazu. Es gibt kein polizeiliches Führungszeugnis, das nichts vergisst. Ein Mitglied der Nuer-Gesellschaft kann immer neu anfangen. Mir ist tragisches Leid in Deutschland begegnet, welches nicht dadurch besser wird, weil es woanders den Menschen noch schlechter gehen würde. Aber es stimmt auch, dass der Blick über den eigenen Horizont gut tut.

Beim zweiten Thema geht es um mich als offiziellen Vertreter kirchlicher Mission. Das kam während meines Heimaturlaubes gelegentlich zur Sprache, und das waren alles freundliche Gespräche, aber es schwang manchmal auch Unverständnis und gelegentlich Sorge mit, angesichts einer nicht zu leugnenden, unrühmlichen Gewaltgeschichte des Christentums. In aller Öffentlichkeit wurde ich dazu auf WDR 5 befragt. Da fielen die Stichworte „Macht“, „Deutungshoheit“ und „Regelwerk“. Der Journalist leitete das Thema so ein: „Wenn es um Religion und die Vermittlung von Religion geht, geht es auch immer um Macht, die man damit hat, dass Menschen sich einem Regelwerk zuwenden, mit dem diejenigen, die es vermittelt haben, auch eine gewisse Deutungshoheit haben. Das wird nicht ohne Konflikte abgehen. D.h. wenn Sie als Missionar sich bemühen, Menschen von dem christlichen Entwurf zu überzeugen, wird es Menschen geben, denen das gar nicht gefällt. Wie begegnet Ihnen dieser Konflikt?“

Das war im Kontext eine sachbezogene, keine konfrontative Frage des Journalisten. Mir blieb das Wort „Macht“ hängen, und so antwortete ich: „Ich halte den Begriff Macht fehl am Platz. Das Christentum [gemeint als Institution] kann sich durch Macht ausbreiten, aber nicht das Evangelium. Das ist für mich ein Unterschied. Jesus hat Menschen verändert, indem er ihnen auf gleicher Augenhöhe begegnet ist und sie mit Würde behandelt hat. Das ist der einzige Ansatz, um überhaupt verständlich zu machen, um was es im Kern des Glaubens geht.“ Das war eine spontane Antwort, weil die genauen Inhalte des Gespräches vorher nicht abgesprochen waren. Gerne hätte ich einiges besser erläutert, aber dafür war nicht genug Zeit. Das möchte ich hier tun, weil ich meine, dass es für alle (der Kirche Nahestehende und Fernstehende) wichtig ist, das Konzept „Mission“ zu verstehen.

In einer großen Gemeinschaft wie der katholischen Kirche, und in der noch größeren Bewegung des weltweiten Christentums, gibt es nicht die eine Sichtweise. Man muss sogar feststellen, dass es unüberbrückbare Einstellungen zur Mission unter Christen gibt. Was ich hier schreibe, ist also meine persönliche Überzeugung, die nur soweit trägt, wie sie aus sich heraus überzeugt. Und das ist eine gute Überleitung: Die Botschaft Jesu überzeugt aus sich selbst heraus, oder sie tut es nicht. Sie hat keine Verstärkung durch eine Armee, noch hat sie weltliche Reichtümer, um bestechen zu können. Die Botschaft Jesu berührt das Herz, oder sie tut es nicht. Punkt. Natürlich muss die Botschaft gekannt sein.

Und da kommt Mission ins Spiel. Mission im weltlichen Sinn („mission accomplished“) hat den Fokus auf dem zu erreichenden Ziel. Aber das Wort „Mission“ bedeutet „Sendung“. Es geht zunächst einmal nur darum, Zeugnis abzulegen, was Gott im eigenen Leben getan hat (1 Pet 3,15). Es ist Gott selber, der zum Ziel führt, nicht die Initiative von Menschen. Wer als Nicht-Glaubender von außen auf die Institution Kirche blickt, kann nur das Wirken von Menschen erkennen. Aus der Binnen-Perspektive geht es bei Mission um etwas anderes, nämlich darum, Gottes Wirken Raum zu geben. Das gleiche Geschehen wird von innen und außen anders gedeutet. Ich kann diese Spannung nicht auflösen, aber es ist wichtig, dass wir uns dieser unterschiedlichen Perspektiven bewusst sind. Ein weiterer Aspekt: Beim Christ-Werden geht es nur sekundär um den Eintritt in eine Religionsgemeinschaft mit Riten und Regeln. Es geht vielmehr um eine Begegnung mit Jesus, der lebt und rettet. Wie in einer Liebesbeziehung ist das eine intime und zärtliche Angelegenheit. Wir machen uns verletzlich, wenn wir uns jemand anderem von Herzen öffnen. Im Hohelied 3,5 heißt es: „Stört die Liebe nicht auf, weckt sie nicht, bis es ihr selbst gefällt.“

Was zwischen dem Hörer des Evangeliums und Jesus passiert, darüber hat der Missionar keine Verfügungsgewalt. Daher kann die Botschaft Jesu nicht in der Manier eines Versicherungsvertreters verkauft werden. Sie kann auch nicht mit Gewalt, Zwang, Nötigung oder irgendwelchen Tricks verbreitet werden. Die Vorstellung, dass sich der christliche Glaube jemals durch irdische Macht/Gewalt verbreitet habe, nenne ich provokant „Fake-News“. Nehmen wir als Beispiel die Sachsenmission. In solch einer Situation hat sich zwar die Institution des christlichen Staates und der Kirche verbreitet. Das Evangelium konnte aber nicht erkannt und angenommen werden, weil es unter einer hässlichen Fratze verdeckt wurde. Echte Evangelisation ist wehrlos wie Jesus am Kreuz und wird durch Nötigung kraftlos. Übrigens stimmt auch die Vorstellung nicht immer, dass das Christentum durch Missionare irgendwo hingebracht wird. Die Evangelisation der Nuer und der Koreaner (das Land meiner Mutter) sind zwei Beispiele, wo sich Menschen die katholische Kirche importiert haben, und zwar zunächst ohne Priester. In beiden Fällen gab es mehrere tausend getaufte Laien-Katholiken, bevor der erste offizielle Vertreter der Kirche hingeschickt wurde.

Noch ein Gedanke, Gläubige würden sich einem Regelwerk zuwenden (wieder meine private Überzeugung): Ein Missionar soll die Leute nicht zu einem bestimmten Verhalten anleiten, sondern auf Jesus Christus verweisen. Es geht nicht zuerst um Moral, sondern um die Begegnung mit einer Person. Aus dieser Begegnung, die von Annahme, Liebe und Heilung durchströmt ist, leitet sich natürlich auch ein neues Verhalten ab. Das nennt sich Umkehr, aber das ist für Gläubige nur im Kontext der Christus-Beziehung verständlich. Für Außenstehende kann deshalb einiges im Christentum mit einem Fragezeichen behaftet sein, weil diese Initialbegegnung mit Jesus nicht stattgefunden hat.

In diesem Brief habe ich weniger von unseren Aktivitäten oder den Menschen unserer Pfarrei erzählt. Das habe ich zu genüge bei meinem Besuch in Deutschland getan. Die neuen Leser weise ich auf meine Texte auf der Comboni-Webseite hin (http://comboni.de/missionare/p-gregor-schmidt), insbesondere die Nummern #36 (aktuelle Übersicht über die Arbeit in Old Fangak), #32 (ein aktuelles Interview) und #25 (Gewalt und Versöhnung im Südsudan). Mit dieser Zeile beende ich den Adventsgruß und schließe Sie und Euch alle in mein Gebet ein!

Pater Gregor Schmidt