Von August 2018 bis August 2019 waren Fiona Trittler und Patricia Blank nach der Schule als Freiwillige in einem kleinen Dorf in Uganda. Nun fühlt es sich wie ein zweites Zuhause an, so dass Patricia weiter unten schreibt: „Ich bin eine Langi, mein Zuhause ist Alenga“ (*Übersetzung der Überschrift). Ihre Berichte darüber, was sie in Alenga bei ihrer Arbeit in der Schule bzw. der Krankenstation erlebt haben und wie sich ihre Sicht auf kulturelle Unterschiede verändert hat, lesen Sie hier:
Fiona Trittler – Ein zweites Zuhause:
Vor einem Jahr habe ich mich auf den Weg gemacht. Es ging für meine Mitfreiwillige Patricia und mich nach Uganda, in ein für mich damals noch fremdes Land, das ich zuvor noch nie bereist hatte. Mit im Gepäck waren Aufregung, natürlich Freude und auch ein bisschen Zweifel, ob ich mich denn für das Richtige entschieden hatte. Schließlich würde ich in dem kleinen Dorf Alenga, das einige Kilometer nördlich des Nils liegt, für ein ganzes Jahr leben. Dort sollte ich im Rahmen eines Freiwilligendienstes an der örtlichen Nähschule als Lehrerin die Fächer Computer und Englisch unterrichten.
Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es für meine Zweifel, genauso wenig wie für die Aufregung, keinen Grund gab. Herzlich wurde ich in Alenga empfangen, aufgenommen und bereits nach kurzer Zeit fühlte ich mich mehr als ein Teil der Dorfbewohner, als eine Besucherin. Ein unglaublich prägender Lebensabschnitt ging viel zu schnell zu Ende. In diesem Jahr, so wage ich zu behaupten, konnte ich mehr lernen, als manch einer in seinem ganzen Leben.
Ich konnte mehr über die Welt erfahren, auch wenn ich nur diesen einen kleinen, ganz besonderen Teil der Welt kennenlernen durfte. Dazu gehörten natürlich auch die Ungerechtigkeit und Ungleichheit, die leider immer noch viel zu präsent in der heutigen Gesellschaft ist. Nun kann ich die Welt ein kleines bisschen realistischer sehen. Sie ist immer noch ein großes Rätsel, doch mit dieser Erfahrung kam ich der Lösung des Rätsels einen klitzekleinen Schritt näher.
Ich konnte sehen, wie häufig Afrika falsch dargestellt und missverstanden wird. Ich konnte die Vielfalt sehen, die dieser Kontinent zu bieten hat, und das obwohl ich nur einen kleinen Teil davon gesehen habe. Uganda ist ein beeindruckendes, wunderschönes und facettenreiches Land mit einer atemberaubend schönen Landschaft. In weniger städtischen Gegenden des Nordens von Uganda sieht man versteckte Lehmhütten und kleine Steinhäuschen, gesäumt von grenzenlos scheinendem, artenreichem Grün. In der Trockenzeit erblasst das Grün ein wenig, um dann in der nächsten Regenzeit wieder zu erstrahlen.
Ich konnte ein einfacheres und minimalistischeres Leben kennenlernen, ein Leben, welches mich gelehrt hat, was wirklich zählt: die Menschen, die uns etwas bedeuten. Das Dorfleben ist zwar einfach, doch ich glaube, dass die Bewohner dadurch, dass sie weniger besitzen, sich automatisch mehr auf Zwischenmenschlichkeit konzentrieren, als auf Materielles.
Ich konnte eine Kultur kennen und lieben lernen, mit all den Traditionen und Bräuchen, die mit ihr einhergehen. Manche Traditionen habe ich adoptiert, habe sie einen Teil von mir werden lassen, während andere nach wie vor ein Rätsel für mich sind oder mich nicht wirklich überzeugen. Doch auch solche Traditionen, die mir vielleicht nicht so sehr zusagen, wie dass niedergestellte Frauen zur Begrüßung hinknien, habe ich akzeptiert, denn es ist die Kultur der Langi, eine andere Kultur, die es zu respektieren gilt. Ich habe die andere Lebensweise angenommen und sie wird mich für immer in meinem zukünftigen Alltag in Deutschland begleiten.
Vor allem aber konnte ich die wundervollsten Menschen kennenlernen. Dazu gehören die Priester und Schwestern (Sisters), mit denen ich zusammen in einer Gemeinschaft gelebt habe. Vor allem die drei Sisters konnten mich so viele Dinge lehren, wie traditionelle Gerichte zubereiten, Hühnchen schlachten und Fisch ausnehmen, oder auch nur einfache Dinge, wie die Wäsche von Hand waschen.
Auch meine wundervollen und bezaubernden, wenn auch manchmal schwierigen, Schüler, mit denen ich so unglaublich viel Zeit verbringen konnte, gehören zu diesen wundervollen Menschen. Den Großteil von ihnen werde ich vermutlich nie wieder sehen, da die Internatsschüler zurück in ihre Dörfer kehren, nachdem ihre Ausbildung an der Nähschule abgeschlossen ist, oder auch schon früher, wenn das nötige Schulgeld fehlt. Unmittelbar danach werden die meisten wohl heiraten und Kinder kriegen. Die Schüler wurden nicht nur von mir unterrichtet, sondern wurden auch zu meinen Freunden und sind mir – wie alle in Alenga – sehr ans Herz gewachsen. Vor allem bei gemeinsamen Tanzsessions am Wochenende und stundenlangen Unterhaltungen in der Freizeit, die in einer Mischung aus Lango (der Stammessprache) und gebrochenem Englisch stattgefunden haben, konnten wir uns austauschen und besser kennen und verstehen lernen.
Und natürlich auch die Dorfbewohner gehören zu den wertvollsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte und von denen ich über Lebensfreude, Glauben und so vieles mehr gelernt habe. Diese Lebensfreude ist es, was mich an Alenga faszinierte und mich von Anfang an an diesen Ort schweißte. Noch nie in meinem Leben habe ich einen solchen freudigen Umgang mit dem Glauben gesehen. Nicht nur an Ostern und Weihnachten wird ausgelassen im Gottesdienst getanzt, gesungen und gelacht, sondern auch bei gewöhnlichen Sonntagsmessen. Der Glaube bedeutet dort Gemeinschaft und Verbundenheit, was bei uns in Deutschland in meiner Generation leider zu sehr verloren geht.
In Uganda zieht man den Kreis der Familie weiter, als wir es tun. Nicht nur die Eltern, die Geschwister und Großeltern, Cousinen, Tanten und Onkels zählen zur Familie. Wer mit jemandem gut befreundet ist, sich wohl fühlt und immer willkommen ist, gehört zur Familie. In Alenga habe ich eine weitere, ganz besondere Familie gefunden. Ich konnte mehrere Personen meine Mama nennen, und diese nannten mich auch ihre Tochter. Jederzeit war ich in diesen Familien willkommen, wir konnten zusammen lachen und, als es an den Abschied ging, haben wir zusammen geweint.
Ein Jahr mag kurz sein, wenn man es in Relation zu dem ganzen Leben sieht. Doch dieses eine Jahr hat mir mehr gegeben, als jedes andere Jahr, das ich bisher gelebt habe. Ich habe so unglaublich viel aus dieser Erfahrung mitgenommen, vor allem weil die Kultur so anders ist. Unterschiede sind das, was uns Menschen interessant machen und ich würde jederzeit wieder in den Flieger steigen, um zurück zu dem Ort zu gehen, den ich mein zweites Zuhause nennen darf.
Patricia Blank – Mein Jahr in Uganda:
„Klar kenne ich einen Elefanten! Ich kann ihn beschreiben, habe schon oft einen gesehen, auf Bildern, als Zeichentrick, als Plüschtier. Ich weiß genau, was ein Elefant ist, und ich weiß es doch nicht. Das wird mir klar, genau dann, als ich zum ersten Mal einen wirklichen Elefanten berühre. Ich stehe da und vergesse alles, was ich zuvor zu wissen geglaubt habe. Und so ist es ungefähr mit der Welt …“
Diesen Text aus einem Buch hat mir meine Freundin vor über einem Jahr geschickt. Doch erst jetzt, nachdem ich vor kurzem wieder über ihn gestolpert bin, habe ich das Gefühl, ihn wirklich zu verstehen. Denn ja, genau so verhält es sich auch mit der Welt. Habe ich nicht vor meinem Freiwilligendienst gedacht, ich würde die Welt kennen? Extra auswendig gelernt habe ich sie noch, all die Staaten Afrikas mit ihren Hauptstädten, habe Filme gesehen mit bunten Bildern und Bücher gelesen von fernen Orten, und im Erdkundeunterricht in der Schule zwölf Jahre lang zumindest meistens die Ohren gespitzt. Und doch, die Welt, ich kannte sie nicht. Und auch jetzt, nachdem es mich in die weite Welt gezogen hat, kenne ich eigentlich nur ungefähr einen Quadratkilometer mehr: Alenga, das Dorf, in dem ich das letzte Jahr als Missionarin auf Zeit verbracht habe. Und doch ist es, als hätte mir dieses Jahr die Augen geöffnet, meinen Blick geweitet und etwas in meinem Herzen berührt.
Jetzt, nachdem ich mit meinem Studium angefangen habe, werde ich ständig gefragt: „Woher kommst du?“ oder „Wo ist dein Zuhause?“. „In Tettnang, am Bodensee“ antworte ich darauf, doch in meinem Herzen weiß ich, dass ich genauso hätte sagen können: „An abedo Langi, Alenga obedo paschowa“. Ich bin eine Langi*, mein Zuhause, das ist Alenga. Von einem fremden, unbekannten Ort, an dem ich niemanden kannte und nichts verstanden habe, ist Alenga im Laufe des Jahres zu einem Ort geworden, an dem ich mich daheim fühlte. Ein Jahr habe ich mit den Menschen Alengas zusammengelebt, habe tagein tagaus Maispolenta und Bohnen mit ihnen zusammen gegessen, habe mit ihnen im Chor gesungen, habe auf Hochzeiten ihre Kultur miterlebt und die Weihnachts- und Osterfreude mit ihnen geteilt. In meiner Arbeit auf der Kranken- und Geburtenstation habe ich viel über das Leben der Menschen in Alenga gelernt, habe schöne, traurige und manchmal auch schwierige Momente mit ihnen geteilt, und habe versucht, mit meinen Kollegen zusammen so gut wie möglich für sie dazu sein. Und ja, auch wenn Herkunft und Hautfarbe mich von den Einheimischen unterscheiden mag, habe ich mich nicht als eine Fremde gefühlt, sondern als eine von ihnen. Eben als eine Langi.
Obwohl ich bereits jetzt nach wenigen Wochen merke, dass ich viel von meinen Lango-Sprachkenntnissen schon wieder vergesse, wird mir ein Wort wohl immer in Erinnerung bleiben: Apwoyo. Danke. Mit Dankbarkeit blicke ich auf dieses prägende, wunderschöne und glückliche Jahr zurück, in dem ich im Dorfleben die Gemeinschaft, die keinen Platz für Einsamkeit lässt, erfahren durfte, in dem ich mich anstecken lassen konnte von der Gelassenheit und Spontanität im alltäglichen Leben, und in dem ich Gott und Religion in einem Umfeld erleben konnte, weil der Glaube ganz selbstverständlich und allzeit dazugehört. Nicht nur in den fröhlichen Sonntagsgottesdiensten, sondern auch vor dem Essen, vor Versammlungen und sogar vor Fortbildungen wird sich die Zeit genommen an Gott zu denken und ihm zu danken.
Dieses eine Jahr „anders Leben“, fernab von medialen Einflüssen, die einem scheinbare Perfektion vor Augen führen, fernab von Gruppendruck und den deutschen Urteilen darüber, was nun angemessen ist und was nicht, hat meinen Blick dafür geschärft, wer ich bin. Es hat meinen Blick auf die wesentlichen Dinge im Leben gelenkt, darauf, was eigentlich zählt, es hat mich gelehrt, die kleinen und großen Wunder dieser Welt zu sehen. So durfte ich bei meiner Arbeit im Health Center immer wieder erfahren, was für ein Geschenk das Leben ist. Denn auch wenn Geburten bei meiner Arbeit zu meinem Alltag gehörten, wurden sie für mich doch nicht alltäglich, sondern blieben einzigartige Wunder, und ich war jedes Mal aufs Neue glücklich über den ersten Schrei des Babys. Ja, das Jahr hat mich gelehrt, genauer hinzublicken, und nicht vorschnell zu urteilen. Themen wie Kinderreichtum, Armut und Entwicklungshilfe sehe ich nun aus einem anderen Blickwinkel.
„Die Welt, ich kannte sie nicht“ habe ich zu Beginn geschrieben, doch diese, meine eigene Aussage, muss ich eigentlich korrigieren oder besser gesagt konkretisieren. Selbst wenn ich jedes Fleckchen der Erde bereist hätte, so würde sich an der Aussage wenig ändern, bis ja, bis sich der Blick auf das Wichtigste lenkt: die Menschen. Denn sie sind es, die mich die Welt ein bisschen besser verstehen lassen. Beinahe täglich durfte ich erfahren, dass mich und die Menschen Alengas, obwohl wir in ganz verschiedenen Kulturen großgeworden, von unseren Eltern anders erzogen und unter ganz anderen Umständen leben, unglaublich viel vereint. Meine Kolleginnen sind zu guten Freundinnen geworden, sodass wir viel Zeit bei der Arbeit mit Lachen verbracht haben, denn wir hatten einfach den gleichen Sinn für Humor. Zusammen lachen, über die gleichen Dinge glücklich sein, ähnliche Hoffnungen fürs Leben teilen, all dies habe ich auch im Zusammensein mit den Schülerinnen des Internats bei uns immer wieder erfahren dürfen. Genau wie in Deutschland sind die Charaktere natürlich auch hier ganz einzigartig und unterschiedlich, und doch sind sie mir alle ans Herz gewachsen. Dort in meinem Herzen werde ich sie in Erinnerung behalten, all die Langi mit ihrer Dickköpfigkeit und der anfänglichen Schüchternheit, aber vor allem mit ihrer Lebensfreude, Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit.
Die Erkenntnis, dass uns Menschen dieser Erde doch so unglaublich viel verbindet, wird mich mein Leben lang begleiten und es auf eine ganz eigene Art prägen. Für mich ist es eine Erkenntnis voller Hoffnung und Kraft, dafür, dass wir die Vielfalt dieser Erde lieben, auf die Gemeinsamkeiten blicken, füreinander als Menschen da sind und damit nicht an Grenzen halt machen. Eine Erkenntnis, die nun zu einer Botschaft wird.
*Anmerkung: Fiona und ich haben im Norden Ugandas beim Volksstamm der Langi mitgelebt. In Uganda unterscheiden sich die einzelnen Stämme nicht nur hinsichtlich ihrer Sprache, sondern auch was Kultur, Traditionen und vieles mehr angeht.
Fotos: Fiona Trittler und Patricia Blank