Liebe Freunde,
nach neunmonatigem Exil, bedingt durch Corona, konnte ich dann Ende November vergangenen Jahres endlich wieder nach Juba zurückkehren.
In den täglichen Nachrichten begegnen uns selten freudige und aufmunternde Beiträge. Dabei komme ich mir selbst wie so eine Art „Kriegsberichterstatter“ vor. Wie gerne möchte ich mal was wirklich Erbauliches berichten; Ereignisse, die eine positive zukunftsweisende Tendenz erkennen lassen. Aber nix da!! Es gibt freilich Einzelschicksale, die strahlen und dabei Freude und Glück erkennen lassen – Gott sei Dank! Aber es geht mir eher um die Gesamtsituation, und die strahlt weniger. Ganz in der Nähe unseres Straßenkinder-Projektes kam es um die Weihnachtszeit zu heftigen und blutigen Auseinandersetzungen. Es fing damit an, dass bei den traditionellen Ringkämpfen ein Kontrahent seinem Gegenüber eine heftige Ohrfeige verpasste. Gleich darauf wurde geschossen, und es gab Tote und Verletzte. Das Ganze ist dann in Viehdiebstähle ausgeartet, und die Zahl der Toten und Verletzten hat sich in der Folge deutlich erhöht. In unserem Straßenkinder-Projekt fanden ca. 800 Frauen und Kinder sowie ältere Menschen für mehr als eine Woche Zuflucht. Jetzt ist Ruhe; wie lange?
Verlassen wir die Bühne der „Weihnachts-Schießerei“ und wenden wir uns einem anderen Thema zu. Als nach vierzig Jahren Bürgerkrieg mit unsagbarem Leid der Südsudan nun endlich seine Unabhängigkeit erkämpft hatte, dachte man, jetzt geht´s aufwärts. Von wegen!! Ich kam zum ersten Mal 1987 in den Südsudan und habe das teils hautnah miterlebt. Die aufkeimende Hoffnung vieler Menschen nach Aufbau und Fortschritt wurde bitter enttäuscht. Dabei muss man freilich erwähnen, dass bei einer Analphabetenquote von siebzig Prozent so etwas seine Zeit braucht. Aber die Hauptverantwortung für eine zukunftsträchtige Entwicklung lag in den Händen der Regierung und der Upperclass. Aber jene haben die Erwartungen nicht erfüllt und nur sich selbst gemästet. Die Folge war ein kontinuierliches Ansteigen der Armut und der sozialen Ungerechtigkeit. Man stelle sich vor, dass bei der Einführung der neuen Währung im Jahre 2005/2006 der Wechselkurs des südsudanesichen Pfund zum US Dollar wie 2:1 betrug. Vor meiner kurzfristigen „Evakuierung“ im Februar 2020 war das Kräfteverhältnis bereits auf 300:1 gesunken. Nach meiner Rückkehr im November 2020 (neun Monate später) lag der Kurs bei 600:1
Das zeigt nicht nur die krebskranke wirtschaftliche Entwicklung des Landes, sondern signalisiert eine himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit und in der Folge eine unkontrollierbare Massenarmut. Keinen weiteren Kommentar! Was es braucht, sind gottesfürchtige Frauen und Männer, die ehrlich und kompetent sind ein Land zu führen, und denen das Wohl der Menschen am Herzen liegt. Die gäbe es auch; nur müsste man sie ranlassen. Darum beten wir und das erhoffen wir. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, aber wir möchten zumindest erleben, dass das Fundament gelegt wird; und dann sehen wir weiter.
Liebe Freunde,
ich sage immer und immer wieder, dass ich an die Zukunft des Südsudan glaube – was ich bezweifle ist, dass ich das mit meinen 75 Jahren noch erleben darf. Aber Wunder gibt es immer wieder.
In diesem Sinne wünsche ich ein gesundes Jahr. Wie ich schon in meinem letzten Brief vom Juni erwähnte, dachten viele Menschen des 21. Jahrhunderts, wir hätten alles im Griff. Und da kommt plötzlich so ein kleiner „Corona-Unhold“ und stellt die ganze Welt auf den Kopf. Bitten wir Gott unablässig, ER möge uns von diesem Unheil schnell befreien.
Nochmals herzlichen Dank für die freundliche Unterstützung meiner Arbeit. Möge unser Herr Jesus Christus Sie täglich begleiten und segnen.
Liebe Grüße
Br. Hans Dieter Ritterbecks