In den Slums von Nairobi

August 1986. Ich muss Abschied nehmen von den Ärmsten in den Slums von Nairobi. Meine Begleiter zeigen auf die Hütte eines Mannes. Ein großer Mann steht an der winzigen Fensterluke. Die Frau sitzt mit sechs Kindern auf dem Boden. Der Mann freut sich über den Besuch eines Priesters. Er ist blind und erzählt uns seine Geschichte. Ja, er sei blind geboren. Nie habe er die Schönheit der Natur gesehen. Er sei immer sehr, sehr traurig gewesen. Eines Tages sei ein Besucher gekommen. Er war wohl ein Missionar und er erzählte ihm viel über Jesus Christus und das Evangelium. Das habe ihn tief berührt. Er glaubte mit ganzem Herzen und er wurde sehr froh. Dann kam das unvergessliche Wort: „Ich weiß nicht, ob das, was ihr mit euren Augen seht, so schön ist wie das, was ich mit meinem inneren Auge sehen darf.“ Sein Gesicht strahlt Freude aus. Betroffen beten wir und verlassen das Haus. Erst draußen sehe ich Tränen in den Augen meiner Begleiter. Auch mir kommen die Tränen. Wir fragen uns: „Wer ist denn der wirklich Blinde? Sind das nicht wir?“ Wir sind Gott begegnet, geboren in einem Blinden.

 

Pater Josef Gerner war seit 1971 – mit einer zehnjährigen Unterbrechung in der Deutschsprachigen Provinz – in Kenia und Uganda im Einsatz. Seit 2015 arbeitet er in der Pfarrei Opit mit ihren vierzig Außenstellen.