Mission als Lernprozess in der Schule der bleibenden Neuheit des Evangeliums Jesu Christi. Eine Annäherung aus der Perspektive einer „Theologie in den Zeichen der Zeit.“
Für das Symposium bei den Comboni-Missionaren am 7. Oktober 2017 konnte Roman Siebenrock, Professor für Systematische Theologie an der Universität Innsbruck gewonnen werden. Im Folgenden finden Sie maßgebliche Auszüge aus seiner Rede:
Mission in der Kritik
„Ich könnte aus meiner Schulzeit eine ganze Reihe von Erfahrungen die Mission betreffend nennen. Damals war noch nicht die Rede von der Krise der Mission. Doch während des Studiums wurde „Mission“ zu einem Unwort. Man brachte Mission mit Kolonialismus, Gewalt und Geringschätzung, ja mit Verachtung der ursprünglichen Kulturen und Zementierung der korrupten politischen Zustände zusammen.
Doch bereits das Konzil (1962 – 1965) hatte den Satz formuliert: „Die pilgernde Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch.“ Offen für alle sowie ansprechbar von allen sollte die Kirche sein. Sie kann es sich nicht leisten, eine zurückgezogene, eine geschlossene Gesellschaft zu sein, sondern mit einem Selbstverständnis, dass die Kirche sich nicht entgegensetzen muss und die ohne Machtmittel ist.
Mystik – Mitte der Mission
Die Mitte der Mission ist die Mystik, eine profunde Gottesbeziehung. Diese Mystik hat offene Augen, geht bis an die Grenzen und macht dabei neue Entdeckungen. Mystik ist ein Lernprozess, der stets neu gegeben ist. Sie ist überraschend mit auf dem Weg, welcher immer auf seine oft fremde Weise da sein wird. Dazu muss ich nicht in fremde Länder gehen, an eigene Grenzen! Gott ist da, er kommt mir entgegen, nimmt schwere Arbeit auf sich, für dich und mich, für jede und jeden Einzelnen.
Universaler Heilswille Gottes
Das Konzil sieht den universalen Heilswillen Gottes, die Gegenwart des Reiches Gottes. Christus ist in den Menschen zugegen, die um Würde und Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit und gerade auch heute um die Wahrung der Schöpfung ringen.
Mission bedingt durch die gegenwärtigen Zeichen der Zeit
Voraussetzungen für eine Mission „in den Bedingungen der gegenwärtigen Zeichen der Zeit.“ Zum einen ist die Räumlichkeit aufgehoben und zum anderen besteht eine veränderte Konstellation von religiösem Glauben, Zivilgesellschaft und politischer Regierung.
Der Auszug in ferne Länder war ein wesentlicher Aspekt des traditionellen Missionsverständnisses. Früher war man wochenlang mit dem Schiff unterwegs. Heute sind es beispielsweise rund neun Stunden Flug von Deutschland nach Südafrika. Doch nicht nur diese Schnelligkeit, sondern die neuen Medien sind maßgeblich geworden: Alle können für alle gegenwärtig sein. Und jeder Auftritt in diesen Medien ist gleichzeitig potentiell überall. Deshalb gibt es keine abgetrennten Missionsgebiete mehr. Überall ist Sendung und missionarisches Handeln gefragt.
Papst Franziskus spricht davon, die Zeit dem Raum vorzuziehen. Wir sollen Prozesse anstoßen, nicht primär Räume besetzen. Eine solche Option beruht auf einem vorgängigen Vertrauen auf Gott und auf das Wirken des Heiligen Geistes.
Geschärftes Profil
Die Kirche könnte ihr Profil durch zwei Grundoptionen schärfen. Erstens: Aufgrund des Evangeliums soll sie die wirkliche Begegnung von Mensch zu Mensch vorziehen – also keine virtuellen Adressen, welche nur dazu dienen, sich der Verantwortung und der sozialen Verpflichtung zu entziehen.
Die zweite Grundoption betrifft das Verhältnis von Glaube und Politik. Das postkonstantinische Zeitalter – also die Zeit nach Kaiser Konstantin im Anfang des 4. Jahrhunderts – stellt die Kirche als Akteurin mitten in die Zivilgesellschaft und in der bleibenden Bedeutung der Befreiungstheologie an die Seite der Opfer, Leidenden und Marginalisierten. Mission, die kirchliche Sendung ist im strengen Sinne „postkolonial“ und ein „katholischer Staat“ nicht einmal mehr gewünscht.
Einheit von innerer und äußerer Mission
Wesentlich bei allem ist die Einheit von „innerer“ und „äußerer“ Mission: Die innere Mission zielte immer auf die Erneuerung der Glaubenden selbst. Mission und Reform können nicht getrennt werden. In der Gegenwart müssen aber die großen Transformationen immer auch einen inneren Wandel zur Folge haben. Es kann keinen Dialog nach außen ohne einen Dialog nach innen geben. Die innere Erneuerung wird Bedingung für die „äußere Mission, weil durch das Leben der Kirche selbst die Einladung an die anderen ergeht, dem Weg Christi und seines Evangeliums zu folgen. Diese Einladung aber ergeht allein auf Grund des bloßen und dadurch auch immer schwachen und gewaltfreien Zeugnisses.
Zusammengefasst
Die Mitte der Mission ist mystisch. Sie bedeutet, teilzunehmen am Gottesprojekt einer erneuerten Menschheit in einer Welt, die ein Garten sein könnte und doch verwüstet wird. Wie Gott trotz alledem an seinem Projekt festhält, erzählt die Bibel in tausend Varianten und mit allem Auf und Ab von Abraham bis Jesus. Es geht bei Jesus im Grund um das Reich Gottes als Fülle des Lebens.
Gottes verwundetes Herz
Mission bedeutet daher für uns Glaubende, mitzumachen bei der Sendung Jesu. Dieser wiederum schaut auf die Welt von den Peripherien her. Deshalb ist der Glaube zu aller erst keine Menge von Überzeugungen, die verteidigt werden sollen. Er ist vielmehr der Weg der Bergpredigt, der ein Hungern nach Gerechtigkeit und gelebte Friedfertigkeit bedeutet. Gott hat ein verwundetes Herz für die Menschen. Mission ist eine Mystik des offenen Herzens, ein Grundsymbol der Comboni-Missionare. Gottes Lieblingsort ist nicht der Thron der Mächtigen. Gott ist in erster Linie gern bei den Armen, Schwachen, Ausgegrenzten. Was in der Welt nichts zählt oder als Torheit angesehen wird. Gerade ein verwundetes Herz spürt die Not und die Verletzung der Anderen – und beantwortet sie auf jesuanische Weise.
Wo Gott gefunden werden will
Aller Einsatz für die Menschen am Rand, in ihrem Gebrechen und ihrer Sehnsucht, ist der Ort, an dem Gott gefunden werden will. Deswegen ist die Frage nach den geflüchteten Menschen und Migranten und unser Einsatz für sie, wenn sie ein integraler Bestandteil christlicher Mission ist, eine Einladung Gottes an uns: Ihm in ihnen zu begegnen. Denn das Reich Gottes strahlt dort auf, wo Friede und Gerechtigkeit sich küssen und Menschen ganz neue Gemeinschaft erfahren. Wenn Frieden und Gerechtigkeit sich küssen, dann ist es gut, dass auch in Ellwangen durch eine solche Gemeinschaft der Comboni-Missionare körperlich erfahrbare Weltkirche da ist. „Christliche Mission“ in einer globalen Weltgemeinschaft weiß, dass wir alle nur miteinander eine Zukunft haben, nicht mehr ohne oder gar gegen die Anderen. Wir sitzen alle in einem Boot – und dieses Boot schaukelt auf einem Planeten, der zerbrechlich geworden ist. Mission ist daher Austausch. Gemeinschaften wie die Comboni-Missionare und die Comboni-Schwestern sind die Pionier*innen einer kommenden Weltgemeinschaft, die sich der Herausforderung der Gerechtigkeit gestellt haben. Daher gibt es Schwaben in den Anden von Peru und Brasilianer und Ugander hier. Nur in der Begegnung mit konkreten Menschen – so das Zweite Vatikanische Konzil – werden „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ der anderen für uns erfahrbar.
Eine Geschichte zum Schluss
An irgendeinem Ort im Sudan musste sich eine muslimische Mutter einem Kaiserschnitt unterziehen. Der Eingriff misslingt und die Ärzte geben die Patientin aufgrund ihrer hohen Blutverluste auf. Comboni-Schwestern, die bei der Operation assistiert hatten, fanden sich nicht damit ab. Deshalb gehen sie hinaus und fragen den Ehemann, ebenfalls Muslim, ob sie zu Daniel Comboni beten dürften. Dieser stimmt zu. Die Schwestern beten – und die Blutung hört auf. Die Mutter wird gerettet. Und dann kommt’s: Sie macht eine Wallfahrt, um Daniel Comboni zu danken, und geht, um Allah zu danken nach Mekka! Mit dieser Heilung, so die ganz offizielle Begründung der vatikanischen Behörde für die Heiligsprechung, wurde ein ganz neues Verhältnis zwischen Christen und Muslimen an diesem Ort im Sudan gestiftet.
Das ist Mission und das ist wirklich ein Wunder. Denn in der Mission und in Wundern geht es nicht um Spektakel und um Ausnahmefälle, sondern um die Heilung und Versöhnung unserer Geschichte und unserer Gegenwart. Dafür haben sich die Comboni-Missionare über Jahrzehnte eingesetzt und jetzt schon 150 Jahre gearbeitet und ihr Leben hingegeben. Wir wissen heute nicht, wie es weitergehen wird. Ellwangen jedenfalls wird ohne sie ärmer sein, viel ärmer.
Verneigung
Ich jedenfalls verneige mich vor euch, die ihr euer Leben diesem Einsatz gewidmet habt. Ich werde es nie verleugnen, wie dankbar ich bin, neun Jahre meines Lebens hier verbracht zu haben.“
Zeichen des Dankes
Als Zeichen der Anerkennung und des Dankes konnte Provinzial Pater Karl Peinhopf ein Set der noch druckfrischen „Schriften“ von Daniel Comboni an Professor Roman Siebenrock überreichen.
zusammengefasst von Pater Anton Schneider