Solche Aufschreie hat es in der Geschichte Europas immer wieder gegeben. Sie kamen in Wellen aus fernen und unwirtlichen Gegenden, plünderten und eigneten sich an, was Generationen von Menschen mit viel Fleiß und Schweiß im Lauf von Jahren aufgebaut hatten. Sie redeten in unbekannten Sprachen und Dialekten, kleideten sich anders, praktizierten fremdartige Sitten und Gebräuche. Manche kehrten wieder an ihren Ursprungsort zurück. Andere hatten die Unverschämtheit, sich bei uns niederlassen und auf unserem Grund und Boden leben zu wollen, uns auszunutzen. Unmöglich! Sie sollen in ihre Heimat zurückkehren und uns in Ruhe lassen. Wir werden uns mit allen Mitteln vor ihnen schützen. Wir wollen nicht unsere Umwelt, unser Hab und Gut, unsere Kultur, unsere Kirche, unseren Lebensstil verlieren oder aufs Spiel setzen.

Im Laufe unserer Überlegungen in Limone zu Migration und Mission: ein neues Europa: von Migranten zu Staatsbürgern, sind wir uns  bewusst geworden, dass im Grunde viele – auch heute, auch gute Christen, die wir in unseren Kirchen antreffen, auch Missionare – ähnlich denken: ähnliche Gefühle, Ängste, Unduldsamkeit, Ermüdung, Ablehnung! Es ist richtig, ihnen zu helfen, mit ihnen zu teilen, sie aufzunehmen, aber zu viel ist zu viel.

Auch Persönlichkeiten von Format wie der hl. Augustinus fürchteten die Migration ihrer Zeit und lehnten sie ab. Jedoch hat Augustinus früher und vor seinen Zeitgenossen intuitiv erkannt, dass die Migration von Völkern ins Römische Reich – die zur Eroberung und Plünderung von Rom im Jahre 410 führen würden – keine zufälligen Ereignisse sondern eine epochale Erscheinung war, die die Römische Welt in ihren Fundamenten erschütterte und eine neue Ära einleitete, deren Umrisse man noch nicht voraussehen konnte, die aber immer von der Vorsehung Gottes geleitet wurden.

Diese grundlegende Intuition hat uns während der Arbeiten beim Symposium begleitet. Die Migrationen sind eine strukturelle, nicht eine temporäre Erscheinung. Sie sind eine Herausforderung, aber auch eine Ressource; nicht nur ein Bedürfnis und eine Notwendigkeit, sondern auch eine Einladung, die Grenzen und menschlichen, soziologischen, „christlichen“, kirchlichen und missionarischen Wirklichkeiten zu überschreiten, die bis jetzt Europa gekennzeichnet haben. Es gilt, die Verteidigungsmauern der „Festung Europa“ zu überwinden.

Migranten und Migrationen sind Zeichen einer „Krise“ auf der ganzen Linie. Jede Krise, auch wenn sie Sorge und Leid verursacht, öffnet uns einer neuen Denk- und Lebensweise; hilft uns, anderen Platz zu machen; der Kirche und Gesellschaft (dem neuen Volk Gottes) ein neues Gesicht zu geben; Wege der Versöhnung zu suchen; unsere Redeweisen und die Inhalte der Integration neu zu definieren.

Eine Krise zwingt uns, schwierige Zugeständnisse zu machen; den Zugewanderten mehr als Protagonisten und als Geschenk zu betrachten; uns ihnen im christlichen Geist zu öffnen; uns zu bekehren und den Dialog zu pflegen; von der Mildtätigkeit zur Gerechtigkeit und von der mono-ethnischen zur wirklich katholischen Kirche überzugehen; von der egoistischen Verteidigung unserer angestammten Rechte zu mehr Miteinander und größerer Aufnahmebereitschaft zu kommen. Auf diese Weise werden wir entdecken, dass wir auch mit etwas weniger auskommen können, unser Leben nicht an Qualität verliert, ja wir sogar besser dastehen.

Wir Missionare fühlen uns erneut berufen, Brücken zu bauen, die Verschiedenheiten zu nutzen und sie gemeinsam zu meistern. Es geht darum, unseren heutigen Lebensstil, unsere sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Modelle radikaler und offener als bisher zu hinterfragen. Limone hat uns zu solchen Schritten und zu bewusstem Handeln ermutigt. All das wollten wir in einfacher und brüderlicher Weise mit euch teilen.

Übersetzung aus dem Italienischen: P. Alois Eder