In Brasilien, wo Gefängnisse Stätten der Gewalt sind und die Rückfallquote bei bis zu 80 Prozent liegt, gibt es auch Strafanstalten, in denen es den Gefangenen gelingt, sich zu ändern. Das Geheimnis? Vertrauen, denn niemand ist jenseits der Erlösung. Eine Erfahrung, die aus einem christlichen Zusammenhang entstanden ist.
Cleubert wurde von einer alkoholkranken Mutter in eine arme und bedrängte Familie geboren. Schon im Alter von 13 Jahren war er straffällig und wurde bald in verschiedenen Jugendstrafanstalten eingesperrt. Sobald er volljährig war, wurde er zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Es war eines jener brisanten brasilianischen Gefängnisse, Orte echter Gewalt und tatsächlicher Folter, mit Szenen wütender Rebellion der Gefangenen, unter denen der Anteil der Wiederholungstäter bis zu 80 Prozent betrug. Cleubert erhielt zufällig eine unerwartete und lebensverändernde Chance. Er wurde verlegt und verbüßte die letzten zweieinhalb Jahre seiner Strafe in einem Zentrum des Vereins für Schutz und Hilfe für Verurteilte (APAC).
Dabei handelt es sich um ein Gefängnis, das von einem Verein zum Schutz und zur Unterstützung von Gefangenen geführt wurde. Vor 47 Jahren im Bundesstaat São Paolo gegründet, wird sein Konzept heute von der UN als eines der besten Gefängnissysteme anerkannt. Sie nennen es „Gefängnis ohne Riegel“, da die Häftlinge, die „sich Erholende“ genannt werden, selbst für die Sicherheit innerhalb der Anlage verantwortlich sind: Es gibt keine Wachen oder Waffen, und die Gefangenen sind nicht nur Zahlen, verlorene Straftäter, sondern Menschen, die die Chance erhalten, ihr Leben in die Hand zu nehmen und zu wandeln.
Sie müssen sich mit ihren Vergehen auseinandersetzen und sie hinter sich lassen, sich mit ihren Familien und mit der Gesellschaft versöhnen und sich in neue Menschen verwandeln. „Hier in diesem Gefängnis entdeckte ich den wahren Sinn des Lebens, die Bedeutung von Achtung für andere und die Bedeutung von Worten wie Liebe und Familie“, sagt Cleubert, inzwischen verheirateter Vater von zwei Kindern, der sich um seine Mutter kümmert.
Im Gefängnis konnte er studieren und erwarb einen Abschluss in Rechtswissenschaften. Er ist jetzt Mitglied der APEC in Betim und in Belo Horizonte und arbeitet für die brasilianische Bruderschaft zur Unterstützung von Gefangenen (FBAC), die Mitte der siebziger Jahre von dem Anwalt Mario Ottoboni in São José dos Campos gegründet wurde, um „den Verbrecher zu töten und den Menschen zu retten“. Ottoboni starb am 14. Januar.
„Ottoboni besuchte mit einer Gruppe von Freiwilligen, die in der Gefängnispastoral engagiert waren, das Gefängnis Jacarei und war betroffen von den unmenschlichen Lebensbedingungen der Gefangenen. Das veranlasste ihn dazu, ein Konzept zu entwickeln, das es diesen Menschen ermöglichen würde, ihr überschattetes ‚Bild und Ebenbild Gottes‘ zurückzugewinnen durch Hoffnung, Vertrauen und Barmherzigkeit, die drei Säulen dessen, was die APAC-Methode werden sollte“. Die Geschichte wird von Valdeci Antonio Ferreira erzählt, Comboni-Laienmissionar und Generaldirektor der Bruderschaft, der sich erinnert: „Das Experiment zeigte bald positive Ergebnisse, so sehr, dass die Schlüssel für die Zellen den Freiwilligen gegeben wurden, die die Verantwortung für die Verwaltung hatten. Damals arbeitete ich in der Metallindustrie in Itaúna im Bundesstaat Minas Gerais, und auch ich war schockiert, als ich das Stadtgefängnis besuchte. Als ich von der ersten APAC hörte, entschied ich mich, hinzugehen und mir selbst ein Bild zu machen. Ich blieb ein Jahr lang und lebte mit Ottoboni und den Gefangenen von São José dos Campos zusammen. Dann kehrte ich nach Itaúna zurück, um dort eine weitere Niederlassung zu gründen.“
„Es dauerte viele Jahre voller Widersprüche und Herausforderungen, und wir wären aus Geldnot fast gescheitert, aber mit Hilfe der katholischen und evangelischen Kirchen nahm das Projekt Gestalt an. Zahllose erfolgreiche soziale Rehabilitationen ehemaliger Häftlinge halfen uns, die Behörden von der Richtigkeit des Konzepts und den Überlegungen dahinter zu überzeugen: Die Gesellschaft zu schützen, den Opfern Hilfe zu bringen und Gerechtigkeit zu fördern. Seitdem haben sich die APECs in Geazil vervielfacht: Heute wird die Methode in fünfzig Zentren in sechs Staaten mit insgesamt rund 3.500 Häftlingen in vollem Umfang angewandt; weitere hundert Zentren werden errichtet.“
„Die Menschen kommen herein, die Verbrechen bleiben draußen.“ Diese Maxime – dem Spanier Beccaria Manuel Montesinos y Molina zugeschrieben – steht in großen Buchstaben an den Wänden dieser besonderen Strafanstalten, in denen es keine überfüllten Zellen oder kriminellen Banden gibt, die „Ordnung halten“, oder Gruppen, die sich gegen die Gewalt der Wachen verteidigen. So ist es leider in den 1.436 Haftanstalten in Brasilien der Fall, dem Land mit einer Viertel alle Gefangenen weltweit.
„Die APAC“, erklärt Ferreira, „wird von Vereinen koordiniert, die in einer virtuellen Partnerschaft zwischen dem Staat und der organisierten Zivilgesellschaft mit den judikativen und exekutiven Behörden bei der Bewachung der Häftlinge und nach Verbüßung der Strafe bei der sozialen Wiedereingliederung zusammenarbeiten. Auch wenn sie nur in besonderen Fällen vom Staat finanziert werden, stellen sie in jeder Hinsicht eine Alternative zum herkömmlichen Strafwesen dar: Die Häftlinge verbüßen ihre Strafe in Zellen, aber es gibt keine Gefängniswärter. Die Häftlinge haben selbst die Schlüssel für die Anlage und sorgen in Zusammenarbeit und Mitverwaltung mit den Verantwortlichen der APAC für Reinigung und Kochen sowie für die Organisation von Sicherheitsmaßnahmen.“
Das wirft die Frage auf: Wie kommt es, dass die Gefangenen nicht zu fliehen versuchen? „Am Eingang zu allen APAC steht ein Satz geschrieben, der einst von einem Häftling formuliert wurde: ‚Niemand läuft vor der Liebe weg.‘ Wenn die Methode mit ihren zwölf Punkten, die ineinander greifen, mit dem Engagement und der Verpflichtung des gesamten Personals, der Freiwilligen und der Gesellschaft, bei der Besserung der Gefangenen richtig angewendet wird, bringt man sie dazu, über sich selbst nachzudenken und zu erkennen, dass ihre Haft nicht nur ein physischer Zustand ist, sondern auch eine mentale und geistige Verfassung, die überwunden werden muss“, erklärt der Direktor des FBAC.
„Die Methode verlangt, dass die betreffende Person lernt, Verantwortung für ihr eigenes Handeln zu übernehmen, andere zu respektieren, zu lieben und in einer Gemeinschaft zu leben, auf die sie vertrauen. Das sind Werte, die im Zusammenhang mit der Wertschätzung des Menschen, der Akzeptanz der Realität, der Arbeit und des Lernens zu einer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, der Familie und sich selbst führen. Deshalb erlauben das Bewusstsein, für ihre Fehler einstehen zu müssen, und die Anerkennung der Bemühungen um ihre Besserung ihnen nicht zu fliehen, auch wenn es einfach wäre, aus den Mauern der APAC zu entkommen. Letztendlich wissen die Häftlinge, dass ein Scheitern ihrerseits die Türen für andere Gefangene schließen würde, die in Brasilien und anderswo lautstark die Gelegenheit einfordern, ihr Leben in einer unserer Anstalten zu ändern.“ Um das Böse zu erkennen, das man getan hat, ist es notwendig, Gutes zu erfahren: Das ist zusammengefasst die Bedeutung der von Ottoboni erfundenen Methode. Trotzdem ist es nicht so einfach, wie es scheinen mag, eine Strafe in einem APAC-Gefängnis zu verbüßen.
In den Anstalten, die in der Regel geringe Größe haben und mit Zustimmung der Kommunen an Orten abseits großer Zentren errichtet werden, herrscht sehr strenge Disziplin. „Es genügt nicht, damit aufzuhören, Unrecht zu tun; wir müssen beginnen Gutes zu tun.“. Die Tätigkeiten in dem vollen Zeitplan beginnen um sieben Uhr morgens und dauern bis 22 Uhr. Die Erfahrungen der Vereine für den Schutz und die Unterstützung von Häftlingen wurden in einem christlichen Kontext geboren, sind aber offen für Gefangene aller Konfessionen, die in Übereinstimmung mit ihrem jeweiligen Glauben unterstützt werden. „Die wichtigste Erfahrung bei uns ist, Gott kennenzulernen“, erklärt Valdeci Antonio Ferreira noch einmal. „In all den Jahren gab es verschiedene Fälle von Gefangenen, die sich nicht zu einer bestimmten Religion bekannten, die aber nach dem Beispiel im Zusammenleben mit anderen während ihres Aufenthaltes beschlossen Katholiken zu werden.“
Darüber hinaus gibt es viele ungewöhnliche Belege für diese Gefängnisse ohne Riegel. Zum Beispiel liegt hier die Rückfallquote, die sich in den regulären brasilianischen Gefängnissen auf 70 bis 80% beläuft, bei 10-20%. Ein weiterer Grund für Investitionen in dieses Modell ist, dass die Kosten ein Drittel dessen betragen, was für die gleiche Anzahl von Gefangenen in gewöhnlichen Gefängnissen ausgegeben wird. Erwähnenswert ist auch, dass es in 47 Jahren in den APEC-Anstalten noch nie zu Rebellionen, Aufständen oder Gewalttaten gekommen ist, wie es leider in den gewöhnlichen Gefängnissen Brasiliens der Fall ist.
Chiara Zappa für Combonimissionaries.co.uk