Seit fast einem Jahr ist Pater Hubert Grabmann mittlerweile in der Pfarrei Amakuriat in Kenia. Zuvor war er zehn Jahre in der Nachbarpfarrei Kacheliba eingesetzt. In beiden Pfarreien hat sich viel verändert – davon berichtet P. Grabmann in seinem Rundbrief:
Liebe Freunde und Verwandte,
ich bin seit fast einem Jahr in Amakuriat, der Nachbarpfarrei von Kacheliba, etwa 120km entfernt davon. Kacheliba entwickelt sich gut und meine Mitbrüder dort leisten gute Arbeit. Die Katecheten haben fast alle eine dreimonatige Ausbildung hinter sich und die, die sonntags den Wortgottesdienst leiten, sind auch sehr engagiert. Ich bin dankbar, dass sich die Pfarrei so gut entwickelt hat und das hat mir auch sehr geholfen, nach zehn Jahren in eine neue Pfarrei zu wechseln.
In unserer Pokot-Zone, Kacheliba und Amakuriat, haben wir glücklicherweise auch zwei Comboni-Mitbrüder, die ihren Missionarischen Dienst vor der Diakonenweihe hier leisten bzw. geleistet haben. In Kacheliba haben wir Abraham Sireu, der ab nächstem Jahr in Deutschland arbeiten wird und in Amakuriat ist Benjamin Avoga im Einsatz. Im April wurden beide in Lodwar (Turkana District) zu Diakonen geweiht. Es war ein sehr schönes und buntes Fest, das nebem dem christlichen Aspekt der Weihe auch noch einen starken sozialen Faktor hatte: Pokot und Turkana, die traditionell wegen der Rivalität um Weideland „Feinde“ sind, kamen hier zusammen. Etwa 100 Leute aus Kacheliba und 150 aus Amakuriat vertraten die Pokot bei diesem Fest. Für viele unserer Christen war es das erste Mal, dass sie in die Gegend der Turkana kamen und die Fahrt selber war wegen des Sandes und der steinigen Straßen ein Abenteuer für sich. Mit unseren Missionsfahrzeugen dauerte die Fahrt gerade einmal vier Stunden, aber da die Busse nicht alle Straßen meistern, dauerte die Hinreise mehr als einen Tag und die Rückreise ganze drei Tage.
Von diesem Fest in Lodwar nun in meine neue Pfarrei Amakuriat. Die Pfarrei könnte man in drei Filialen aufteilen, die jeweils ganz verschiedene pastorale Arbeit erfordern. Zur Zeit sind wir ein Bruder, ein Diakon und zwei Priester in der Pfarrei. Pater Maciej, ein Pole, kümmert sich um die nördlichen 30 Kapellen, die nahe an Amakuriat liegen. In diesen Dörfern haben wir relativ viele Christen und auch viele Taufbewerber. Im Süden der Pfarrei gibt es zwei Filialen, Chelopoy mit 15 Kapellen und Kasei mit 17 Kapellen, wobei Chelopoy als mögliche zukünftige Pfarrei bereits mit einem Pfarrhaus und Pastoral-Zentrum versehen ist. In dieser Gegend waren andere christliche Konfessionen, Freikirchen und Sekten vor der katholischen Kirche sehr aktiv und ziehen noch heute mit Keyboard und starken Lautsprechern die Leute an. Die Pastoren haben vielfach nur minimale Ausbildung, manche haben erst über die Erwachsenenbildung (oftmals sogar über die katholische Kirche organisiert) Lesen und Schreiben gelernt und eröffnen dann ihre eigene Kirche. Für unsere Katecheten bestehen wir zumindest darauf, dass sie einige Jahre Grundschule gemacht haben. Und doch sind hier selbst Leute mit solchen elementaren Grundlagen oftmals schwer zu finden, weil Schulbildung für die Pokot in dieser Gegend noch immer nicht sehr attraktiv ist. Das bedeutet, dass manche unserer Kapellen zeitweise ohne Wortgottesdienstleiter auskommen müssen.
Von Dienstag bis Sonntag schlage ich gewöhnlich meine Zelte in Chelopoy auf und besuche die hier in der „Nähe“ liegenden Dörfer (manche sind auch von hier noch bis zu 50km entfernt). Es ist eine sehr bergige Gegend. In der Regenzeit ist man immer mal abgeschnitten von Dörfern bis die Wege wieder trocken und passierbar sind. Auch gibt es hier nur in einzelnen Regionen Handyempfang (Festnetz funktioniert sowieso nur in den großen Städten) und so ist man eben auf gute Planung und auf sich selbst angewiesen. In vielen Dörfern (wie hier in Chelopoy) gibt es irgendwo ein bestimmtes Feld, einen Baum oder einen Hügel, wo sich die Leute treffen, um zu telefonieren, weil man nur dort Netz hat. Wenn man neu ist, fragt man eben nach dem Netz: „Iko wapi Network?“ oder auf Pokot „Mito Network onö?“. Leute sind da sehr auskunftsfreudig. Network ist sogar in die lokale Sprache der Pokot eingegangen und manch ein Kind, das in der Nähe so eines Ortes auf die Welt kommt, heißt auch schon mal „Network“.
In Amakuriat und Chelopoy haben wir im Abstand von zwei Monaten Planungsseminare mit unseren Katecheten, wo wir pastorale und soziale Probleme in den Kapellen anschauen und Besuche in den Dörfern planen. Da viele Dörfer kein Telefonnetz haben, muss ich mich mit den Katecheten gut abstimmen, damit ich bei meinen Dorfbesuchen Leute antreffe und in zwei Monaten die 31 Kapellen wenigstens einmal besuchen kann. Wegen der Entfernungen besuche ich eine Woche lang die Kapellen in der Nähe von Chelopoy, während ich die darauffolgende Woche vier bis fünf Tage in Kasei zubringe und in den dortigen Dörfern Gottesdienst feiere. In meiner Abwesenheit kümmert sich dann vor allem eine franziskanische Schwester um die pastoralen Belange von Chelopoy, wo wir während der Woche Gottesdienste für das Gymnasium und eine Grundschule haben und einige kleine christliche Gemeinschaften in den Familien betreuen.
Während manche Dörfer es kaum erwarten können bis man wieder einmal zu ihnen ins Dorf kommt, um Gottesdienst zu feiern oder die Familien zu besuchen, trifft man an anderen Orten kaum jemanden zu Hause an. An den Festtagen, wie Palmsonntag, Ostern oder Fronleichnam, kommen aber immer sehr viele zusammen. Die Leute lieben Feste und besonders wenn sie mit Umzügen verbunden sind.
Bei den Besuchen in den Dörfern sind wir natürlich Ansprechpartner nicht nur für Glaubenssachen. Politik, Schule, Wasserversorgung, alle Dinge, die den Menschen hier „im Magen liegen“ sind selbstverständlich auch Gesprächsstoff. Wo es in unserer Macht liegt versuchen wir, zu informieren, zu vermitteln oder suchen gemeinsam nach Lösungen. Vor kurzem war ich in Ngaswa, einem Dorf ca. 15km von Chelopy entfernt. Kein einziger der Leute hier ist getauft. Im Gespräch kamen wir auch auf Kranke zu sprechen und so fragten mich die Leute, ob ich denn einem zehnjährigen Buben helfen könnte, der ein geschwollenes Bein hat. Mein Vorgänger, Pater Tomas, hat schon seinem Bruder geholfen, der dann aber doch an Krebs verstorben ist. Ich sah mir den Buben an. Sein linkes Bein sah schlimm aus; es war doppelt so dick wie sein normales und übersät mit Wunden. Die Familie versuchte, ihm seit Jahren vergeblich mit traditioneller Medizin zu helfen, weil sie kein Geld für ein Krankenhaus hatte. Selbst die nächste kleine Krankenstation ist von Ngaswa zehn Kilometer entfernt. Die einzige wirkliche Medizin, die sie ihm besorgen konnte, waren Schmerztabletten. Ich kann mir kaum vorstellen, wie der Junge tagtäglich noch auf den Beinen ist. Wir planten für einen günstigen Tag, ihn ins nächste Krankenhaus nach Kapenguria (etwa 200km entfernt) zu schaffen. Im Dorf gibt es nur zwei Leute, die Kiswahili sprechen, doch sie waren noch nie in der Stadt, so bat ich die Schulleiterin unserer katholischen Schule im nächsten Dorf, die Familie zu begleiten. Nach einer Woche bekam ich die Nachricht vom Krankenhaus, dass er an einer seltenen Krankheit leidet, die schon zu weit fortgeschritten ist. Das eine Bein müsste amputiert werden, doch das andere, das auch schon angegriffen sei, könnte mit Medizin behandelt werden. Ähnliche Fälle gibt es immer wieder.
Die Comboni-Schwestern und jetzt auch die Franziskanerinnen in Chelopoy leiten je eine kleine Krankenstation, von der aus sie ab und zu auch Dörfer besuchen. Immer wieder stoßen wir auf Kinder, die vernachlässigt werden oder wegen Behinderungen versteckt leben müssen. Gott sei Dank helfen uns Freunde und Entwicklungshilfeclubs in Wien schon seit vielen Jahren mit Geldmitteln, um Kinder mit Behinderungen ärztlich versorgen und wenn nötig operieren lassen zu können.
Wenn ich die Dörfer besuche, nehme ich mir auch die Zeit, die Grundschulen vor Ort aufzusuchen, die Kinder zu grüßen und mich mit dem Schulleiter zu unterhalten. Das Schulsystem bereitet uns noch immer starke Kopfschmerzen, da viele Lehrer in den Schulen einfach nicht da sind. Der Staat hat jetzt zwar ein Anwesenheitsregister eingeführt, was aber nichts nützt, da der Schulleiter selbst oft abwesend ist und so das Buch überhaupt nicht kontrollieren kann. Die Abwesenheit der Lehrer in den Schulen ist ein großes Problem überall in Kenia, aber in unserer Gegend, wo staatliche Verantwortliche für Ausbildung kaum einmal eine Schule besuchen, ist die Versuchung der Lehrer sehr groß. Es ist aber auch nicht ganz einfach für die Lehrer. Oftmals gibt es vor Ort keine Lehrerwohnungen oder sie teilen sich zu viert ein Zimmer. Viele Schulen haben auch keine Toiletten und Unterricht findet unter dem Baum statt. Wir unterstützen mit Hilfe von Wohltätern Schüler und Schulen mit dem Allernötigsten und helfen auch immer mal wieder, Toiletten oder Lehrerwohnungen zu bauen. Wir helfen manchen Internatsschülern bei ihren Schulgebühren und zahlen einige Lehrer, die sonst von den Eltern bezahlt werden müssten. Vor kurzem hatte ich ein Treffen mit den Schulleitern unserer katholisch unterstützten Schulen, wo wir Probleme von Abwesenheit oder Alkohol ansprachen. Wie eine Lehrerin erzählte, prallen manchmal auch Tradition und Bildung aufeinander:
In der Schule hatte ein Lehrer ein 16-jähriges Mädchen in der vierten Klasse geschwängert. Die Schulleiterin brachte dies zur Anzeige und wollte den Lehrer suspendieren. Die Angehörigen des Mädchens wollten dagegen davon nichts wissen. Sie wollten das Mädchen als zweite Frau mit dem Lehrer verheiraten und die Mitgift „kassieren“. Obwohl der kenianische Staat Missbrauch von Minderjährigen offiziell mit Gefängnis ahndet, reicht der „Arm der Gerechtigkeit“ selten bis in unsere Dörfer. Die Schulleiterin wurde vor das Dorfgericht mit den Ältesten zitiert und gezwungen, die Schule zu verlassen.
Überhaupt sind die Medien voll von Berichten über Skandale und Korruption. Nächstes Jahr sind Wahlen in Kenia und der Wahlkampf ist schon lange voll im Gange. Die Opposition ist nicht zufrieden mit den Verantwortlichen im Wahlgremium und will eine Neubesetzung. Obwohl das nur durch das Parlament gehen kann, machen sie Demos und Kundgebungen, um eine Neubesetzung außerhalb des Parlaments zu erzwingen, da sie im Parlament die Minderheit sind. Es gab wöchentliche Montags-Demonstrationen, die ganz und gar nicht friedlich verliefen; und so starben bei jeder Veranstaltung Menschen. Die Polizei rückte dabei auch sehr stark ins Blickfeld, da sie unverhältnismäßig viel Gewalt einsetzte. Die Abgeordneten kommen auch nicht ihren Verpflichtungen nach. Nur in der ersten Amtssitzung waren sich alle einig, als es um die Erhöhung ihrer Diäten ging. Ansonsten sind viele ständig abwesend, reisen auf Staatskosten um die Welt und verschwenden Gelder in unglaublichen Summen. In den Medien wird von etlichen Abgeordneten berichtet, die in den Jahren ihrer Amtszeit im Parlament offiziell nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht haben.
Aber natürlich ist nicht alles schlecht im Lande. Das Leben ist einfach zu kurz, um es mit Klagen zu vergeuden. Ich bin sehr glücklich hier und kann mir im Augenblick keinen anderen Ort vorstellen, wo ich lieber sein wollte.
Natürlich möchte ich mich auch ganz herzlich bei Euch allen bedanken, die ihr mich in diesen letzten Monaten und Jahren wieder viel unterstützt habt. Vieles ist möglich, weil viele kleine Hände an vielen kleinen Orten ihren Teil beitragen. Vergelt’s Gott Euch allen und liebe Grüße
Euer Hubert Grabmann
Kontakt:
PS: Für alle, die unsere Mission oder eines unserer Projekte für Schule oder Pfarrei unterstützen wollen, gebe ich Euch hier auch die aktuelle Bankverbindung bekannt:
Für Deutschland
Comboni-Missionare, IBAN DE66 6145 0050 0110 6170 15, Verwendungszweck „P. Hubert Grabmann“
Für Österreich
Comboni-Missionare, KöR, Tiroler Sparkasse Innsbruck – IBAN AT26 2050 3001001 36753, Verwendungszweck „P. Hubert Grabmann“