Mit Pater Mai ist ein Mitbruder gestorben, der, wie wenig andere, die Comboni-Missionare in Deutschland in den letzten Jahrzehnten geprägt hat. Das gilt vor allem für die Rolle der Brudermissionare in der Kongregation. Bernhard Mai kam nicht, wie die meisten Mitbrüder, aus dem traditionell ländlich-bäuerlichen Milieu, sondern aus der Großstadt. Geboren ist er am 29. April 1933 in der Industriestadt Mannheim. Er war erst sechs Jahre alt, als der 2. Weltkrieg ausbrach. Anfang der 40er-Jahre wurden immer mehr Großstädte bombardiert, so am 3. Juli 1944 auch Mannheim. Dabei wurde auch sein Elternhaus zerstört. Bernhard erlebte das als Elfjähriger mit. Seine Familie siedelte nach Mengen bei Sigmaringen um, wo das Unternehmen, in dem sein Vater arbeitete, eine Niederlassung hatte. Dort waren sie sicherer.
In normalen Zeiten hätte der begabte Junge sicher eine Höhere Schule besucht und wäre, als er sich zum Ordensleben berufen fühlte, Priester geworden. So aber begann er nach Abschluss der Grundschule zunächst eine Ausbildung als Bäcker. Wegen einer Mehlallergie, aber vor allem weil er sich mit seinem künstlerischen Talent mehr zu Malen und Gestalten hingezogen fühlte, machte er eine Lehre als Maler und Restaurator. In seiner Freizeit engagierte sich der inzwischen 16jährige in der katholischen Jugend und organisierte als Gruppenleiter Ausflüge und Zeltlager.
In Mengen erlebte er die Primiz der beiden Comboni-Missionare P. Karl Wetzel (1950) und P. Franz Xaver Kieferle (1951). Sie waren wenige Jahre vorher aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt. Davon beeindruckt und gestützt von einer engagierten und lebendigen Kirchengemeinde suchte er 1951 mit 18 Jahren in Josefstal um Aufnahme als Brudermissionar an. Nach dem Noviziat legte er am 19. März 1954 die Ersten Gelübde ab.
Arbeit gab es für den gelernten Maler in der Nachkriegszeit genug: beim Wiederaufbau des Josefinums in Ellwangen, beim Neubau in Neumarkt und der Renovierung anderer Niederlassungen. Seine Art war es aber nicht einfach Befehle auszuführen. Er wollte auch gestalten und hatte auch konkrete und gut begründete Vorstellungen. Sein Selbstbewusstsein und seine Begabung machten ihn so, speziell unter den Brudermissionaren, zu einem etwas unangepassten Mitbruder. Er passte nicht so recht in die gängige Rollenverteilung, nach der die Brudermissionare mehr oder weniger widerspruchslos zu tun hatten, was die Oberen – ausnahmslos Patres – anordneten, selbst dann, wenn diese von der konkreten Arbeit weniger verstanden. Br. Bernhard rebellierte nicht verbissen gegen dieses System, setzte aber mit Geduld, mit Argumenten und vor allem mit schlagfertigem Humor oft genug seine Sicht der Dinge durch. Er erreichte auch, nicht ohne Widerstände, dass er die Meisterprüfung und als erster Bruder den Führerschein machen durfte. Es gab natürlich schon einige Mitbrüder, auch unter den Brüdern, die ihm diese Rolle nicht so recht gönnten.
In den 60er-Jahren ging die Zeit des Wiederaufbaus und Neubaus in der Kongregation dem Ende zu. P. Josef Pfanner eröffnete ihm da eine ganz neue Perspektive. Er war als Missionare in Tarma in Peru und dachte, Br. Mai könne der richtige sein für eine Restaurierung der Altäre der dortigen Kathedrale. So kam Br. Bernhard 1966 nach Peru. Es sollte für einige Monate sein und es wurden drei Jahre. Nach erfolgreicher Restaurierung in Tarma fanden auch andere Mitbrüder in Peru Gefallen an seiner Arbeit und baten ihn um die Restaurierung ihrer oft sehr schönen kolonialen Kirchen, so in Ulcumayo, Cerro de Pasco, Huánuco und anderen. Br. Bernhard mit seinem künstlerischen Talent war hier in seinem Element. Doch war er nicht nur künstlerisch begabt und interessiert. Er wollte nicht nur mit Materialien, sondern mit Menschen zu tun haben, vor allem mit jüngeren. So war es ihm nicht unrecht, dass er nach drei Jahren, 1969, wieder zurückgerufen wurde.
Sein Einsatz war jetzt im Seminar in Neumarkt. Hier kamen der Jugendgruppenleiter von damals voll zum Zug und ebenso sein handwerkliches Geschick. Neben Zeltlagern, Freizeiten und Theaterspielen war es vor allem eine große Hobbywerkstatt, in der er mit den Schülern zum Teil wundervolle Arbeiten in allen möglichen Techniken herstellte: Intarsien, Kupferarbeiten, Uhren etc.
Es kamen die 70er- und 80er-Jahre. Die Seminare gerieten in eine Krise und wurden nacheinander geschlossen, auch das in Neumarkt. Br. Bernhard war inzwischen Direktor des Seminars geworden. Um den Rückgang der Schülerzahlen zu kompensieren und als Antwort auf die neuen Zeitverhältnisse hatte er auch Tageschüler aufgenommen und einen Teil des Hauses als Tagungshaus für Einkehrtage, Kurse für Firmbewerber etc. umgestaltet. Doch die Provinzleitung sah darin keine Option für die Zukunft und beschloss, das Haus 1992 zu schließen. Br. Bernhard konnte das nicht verstehen. Er war inzwischen 59 Jahre alt und sah auch keine Rolle mehr für sich in der Kongregation. Einen Platz als Erzieher gab es nicht mehr, auch nicht als Maler und Restaurator, wie in den Nachkriegsjahren.
Er sah seine Berufung immer schon vor allem als Seelsorger. Da wurde der langgehegte Wunsch, Priester zu werden, was wegen der Zeitumstände früher nicht möglich gewesen war, wieder lebendig, diesmal als Spätberufener. Das Talent dazu hatte er, doch seine Oberen wollten nichts davon wissen. Es folgten fünf Jahre des Suchens. Ein Jahr war er als Seelsorger in einem Hospiz für Aidskranke in Oberharmersbach im Schwarzwald. Dann lernte er das Evangelisierungszentrum „Lumen Christi“ in Maihingen bei Nördlingen kennen. Diese bauten gerade ein Sozialprojekt im russischen Kaliningrad, dem früheren deutschen Königsberg, auf. Dort konnte er Seelsorger sein unter einer wirtschaftlich und seelisch bitter armen Bevölkerung und sich mit seinen handwerklichen Fähigkeiten am Aufbau der Strukturen einbringen. Es war eine glückliche und erfüllte Zeit, von der er später immer wieder erzählte.
Nebenher hatte er schon seit seiner Zeit in Neumarkt im Fernstudium Theologie studiert, weitgehend unbeachtet von seinen Oberen, und schließlich alle Voraussetzungen für die Priesterweihe erfüllt. Dafür gewann er Erzbischof Kondrusiewicz von Moskau, zu dessen Diözese Kaliningrad gehört. Mit Hartnäckigkeit, gespeist von innerer Überzeugung und, wie er sagte, begleitet vom Gebet vieler Menschen, überwand er alle Hindernisse, die ihm in den Weg gelegt wurden. Am 20. April 1997 empfing er in einer aus Fertigteilen zusammengebauten Holzkirche, die er selbst zusammengebaut hatte, von Erzbischof Kondrusiewicz die Priesterweihe. Die Ordens- beziehungsweise Provinzleitung gab ihre Zustimmung unter der Bedingung, dass er anschließend innerhalb der Provinz in der Begleitung des „Werk des Erlösers“ mitarbeite. Das bedeutete auch, dass er Kaliningrad wieder verlassen musste. Ob das ihm und auch dem Erzbischof gegenüber fair war, sei dahingestellt. Doch P. Bernhard Mai schluckte die bittere Pille und engagierte sich fortan – ohne Verbitterung – voll und ganz in seiner neuen Aufgabe. Ja, er setzte dabei neue und nachhaltige Akzente.
Die Begleitung der Förderinnen und Förderer des „Werk des Erlösers“ brachte ihm Kontakt mit vielen Menschen, die ihm ihre Sorgen anvertrauten. P. Mai hat viele, oft lange Briefe geschrieben und vielen Menschen Trost und Orientierung gegeben. Er war spiritueller Begleiter von zahlreichen Pilgerfahrten, vor allem nach Medjugorje. Diese Pilgerfahrten mit vielen Stunden im Beichtstuhl waren für ihn wahre Sternstunden. Überhaupt war dieser Wallfahrtsort in Kroatien ein zentrales Thema seiner letzten Lebens- und Priesterjahre. In der Pfarrseelsorge dagegen tat er sich zusehends schwerer. Seine Theologie und vor allem Pastoral lagen nicht ganz im „Mainstream“. Aber die Rolle aus Außenseiter war ihm ja schon von früher her vertraut.
Wie auch immer man zu ihm stehen mag: Er war immer authentisch, nie ein Opportunist oder Funktionär. Auf ihn trifft voll und ganz das geflügelte Wort zu: „Wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über“. Auch an das Wort Jesu vom „Rufer in der Wüste“, – auch wenn niemand zuhört -, kann man sich erinnern. An seiner Berufung zum Ordensmann und dann zum Priester hatte er nie Zweifel. Nie kam Verbitterung auf. Und nie, auch nicht in den letzten Jahren der Krankheit und Hilflosigkeit, verließ ihn sein oft geistreicher Humor, ein Humor, der nie verletzte. Er starb am 5. April 2019 in Ellwangen.
P. Reinhold Baumann