27. September 2024

Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge
(Sonntag, 29. September 2024)

Liebe Brüder und Schwestern!

Am 29. Oktober 2023 ging die erste Sitzung der 16. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode zu Ende, die es uns ermöglicht hat, das Verständnis von Synodalität als ursprünglicher Berufung der Kirche zu vertiefen: „Die Synodalität wird vor allem als gemeinsamer Weg des Volkes Gottes und als fruchtbarer Dialog der Charismen und Dienste für das anbrechende Reich Gottes behandelt“.

Die Betonung ihrer synodalen Dimension erlaubt es der Kirche, das ihr eigene Unterwegssein wiederzuentdecken. Sie ist unterwegs in der Geschichte als das dem Himmelreich entgegen pilgernde, wir könnten auch sagen „migrierende“, Volk Gottes (vgl. Lumen gentium, 49). Der Bezug zur biblischen Exodus-Erzählung, die vom Volk Israel auf dem Weg ins Gelobte Land spricht, liegt auf der Hand: ein langer Weg von der Sklaverei zur Freiheit, der den Weg der Kirche zur endgültigen Begegnung mit dem Herrn vorwegnimmt.

Ebenso kann man in den Migranten unserer Zeit, wie in denen einer jeden Epoche, ein lebendiges Abbild des Gottesvolkes auf dem Weg in die ewige Heimat sehen. Ihre Wege der Hoffnung erinnern uns daran, dass „unsere Heimat aber […] im Himmel [ist]. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter“ (Phil 3,20).

Die beiden Bilder – das des biblischen Exodus und das der Migranten – zeigen mehrere Analogien. Wie das Volk Israel zur Zeit Moses fliehen Migranten oft vor Unterdrückung und Übergriffen, vor Unsicherheit und Diskriminierung, vor mangelnden Entwicklungsperspektiven. Wie die Israeliten in der Wüste stoßen Migranten auf viele Hindernisse auf ihrem Weg: Sie sind vor Durst und Hunger erschöpft; sie sind von Mühsal und Krankheit ausgelaugt; sie werden von der Verzweiflung versucht.

Aber das Wesentliche des Exodus, eines jeden Exodus, ist, dass Gott seinem Volk und allen seinen Kindern – aller Zeiten und aller Orte – vorausgeht und sie begleitet. Gottes Gegenwart in der Mitte des Volkes ist eine Gewissheit der Heilsgeschichte: „Denn der Herr, dein Gott, er zieht mit dir. Er lässt dich nicht fallen und verlässt dich nicht“ (Dtn 31,6). Für das aus Ägypten ausgezogene Volk zeigt sich diese Gegenwart in verschiedenen Formen: Eine Wolken- und Feuersäule weist und erleuchtet den Weg (vgl. Ex 13,21); das Zelt der Begegnung, das die Bundeslade beherbergt, macht Gottes Nähe erfahrbar (vgl. Ex 33,7); die Stange mit der bronzenen Schlange gewährleistet göttlichen Schutz (vgl. Num 21,8-9); Manna und Wasser (vgl. Ex 16-17) sind Gottes Gaben an das hungernde und dürstende Volk. Das Zelt ist eine Form der Gegenwart, die dem Herrn besonders teuer ist. Während der Regierungszeit Davids weigert sich Gott, sich in einen Tempel einschließen zu lassen, um weiterhin in einem Zelt zu wohnen und so mit seinem Volk „von Zelt zu Zelt, von Wohnung zu Wohnung“ zu wandern (1 Chr 17,5).

Viele Migranten erfahren Gott als Weggefährten, als Führer und Anker des Heils. Ihm vertrauen sie sich an, bevor sie aufbrechen, und an ihn wenden sie sich in Zeiten der Not. Bei ihm suchen sie Trost in Zeiten der Verzweiflung. Dank ihm gibt es entlang des Weges gute Samariter. Ihm vertrauen sie im Gebet ihre Hoffnungen an. Wie viele Bibeln, Evangelien, Gebetsbücher und Rosenkränze begleiten die Migranten auf ihren Wegen durch Wüsten, Flüsse, Meere und über die Grenzen aller Kontinente!

Gott ist nicht nur mit seinem Volk unterwegs, sondern auch inmitten seines Volkes, in dem Sinne, dass er sich mit den Männern und Frauen auf ihrem Weg durch die Geschichte identifiziert – insbesondere mit den Letzten, den Armen, den Ausgegrenzten –, als wolle er das Geheimnis der Menschwerdung ausdehnen.

Deshalb ist die Begegnung mit Migranten wie mit jedem Bruder und jeder Schwester in Not „zudem Begegnung mit Christus. Das hat er selbst uns gesagt. Er ist es, der hungrig, durstig, als Fremder, nackt, krank und als Gefangener an unsere Tür klopft und um Begegnung und Hilfe bittet“ (Predigt bei der Eröffnungsmesse des Treffens von Flüchtlingshelfern unter dem Motto „Frei von Angst“, Sacrofano, 15. Februar 2019). Das Letzte Gericht, von dem Matthäus im 25. Kapitel seines Evangeliums berichtet, lässt keinen Zweifel: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ (V. 35); und weiter: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (V. 40). Jede Begegnung auf dem Weg ist also eine Gelegenheit, dem Herrn zu begegnen; und sie ist eine Gelegenheit voller Heil, denn in der Schwester oder dem Bruder, die unsere Hilfe benötigen, ist Jesus gegenwärtig. In diesem Sinne retten uns die Armen, weil sie uns ermöglichen, dem Antlitz des Herrn zu begegnen (vgl. Botschaft zum 3. Welttag der Armen, 17. November 2019).

Liebe Brüder und Schwestern, an diesem Tag, der den Migranten und Flüchtlingen gewidmet ist, beten wir gemeinsam für all jene, die ihre Heimat auf der Suche nach einem Leben in Würde verlassen mussten. Fühlen wir uns zusammen mit ihnen auf dem Weg, begeben wir uns gemeinsam auf „Synode“, und vertrauen wir sie alle – wie auch die nächste Synodalversammlung – „der Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, die ein Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes auf dem Weg des gläubigen Gottesvolkes ist“.

Papst Franziskus


Gebet

Gott, allmächtiger Vater,

wir sind deine pilgernde Kirche
unterwegs zum Himmelreich.
Jeder von uns lebt in seinem Vaterland,
aber so, als wären wir Fremde.
Jede fremde Gegend ist unsere Heimat,
und doch ist jedes Heimatland für uns fremder Boden.
Wir leben auf der Erde,
aber wir sind Bürger im Himmel.
Lass nicht zu, dass wir zu Besitzern werden
dieses Teils der Welt,
den du uns als vorübergehende Bleibe gegeben hast.
Hilf, dass wir niemals aufhören,
gemeinsam mit unseren Brüdern und Schwestern Migranten
zur ewigen Wohnung unterwegs zu sein, die du uns bereitet hast.
Öffne unsere Augen und unsere Herzen,
damit jede Begegnung mit einem Menschen in Not
zu einer Begegnung mit Jesus wird, deinem Sohn und unserem Herrn.

Amen.