Vom 6. bis zum 27. Oktober 2019 fand in Rom die Amazonas-Synode statt. Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von Misereor und stimmberechtigter Teilnehmer an der Synode, berichtete beim Missionarischen Forum der Comboni-Missionare in Ellwangen.

Vor zwei Jahren haben die betroffenen Bischöfe am Amazonas den Papst über die Situation vor Ort informiert: über den rücksichtslosen Umgang mit dem Menschen und den natürlichen Ressourcen, über die Ausbeutung der Bodenschätze, die Vergiftung des Wassers, die Zerstörung des biologischen Gleichgewichts. Bei 25% Verringerung des Amazonas-Regenwaldes besteht die Gefahr des Kippens, wobei der Urwald sich nicht mehr selbst erhalten kannt. Amazonien, das größte zusammenhängende tropische Waldgebiet, ist ein Stabilitätsfaktor für das Weltklima und birgt eine enorme Artenvielfalt von 40.000 verschiedenen Pflanzen. Viele Tier- und Pflanzenarten sind noch gar nicht bestimmt.

Die Bewohner und ihre Ängste

Derzeit leben rund 34 Millionen Menschen im Einzugsgebiet des Amazonas, wobei die Indigenen zusätzlich 2,5 Millionen Menschen zählen – aufgeteilt auf fast 400 Völker mit über 250 Sprachen, eigener Kultur und Religion. Etwa 110 Völker wollen keinerlei Kontakt nach außen und leben in freiwilliger Isolation.

Die Ureinwohner, Afrobrasilianer, Migranten und Kleinbauern, welche sich in Amazonien niedergelassen haben, sind voller Angst. Es geht um ihre Lebensgrundlage, um ihr Sein oder Nichtsein. Jair, der Kazike („Bürgermeister“) des Volkes der Maraguá, stellt fest, dass man beim Besuch eines fremden Hauses an die Tür klopft und um Einlass bittet. Er fährt fort: „Bis heute wird nicht an die Türen der Ursprungsvölker geklopft. Unser Leben ist durch Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt und die Verletzung der Menschenrechte bedroht.“

An vielen Orten im Amazonasgebiet wird brandgerodet. Diese Flächen bringen im ersten Jahr einen guten Landwirtschaftlichen Ertrag beispielsweise an Soja. Ein bis zwei Jahre später ist der Boden mit seiner dünnen Humusschicht völlig ausgelaugt. Die gerodeten Gebiete werden zu trockenen Savannen. Vielen Bewohnern wird damit die Existenzgrundlage entzogen. Illegaler Holzeinschlag und die Ausbeutung von Bodenschätzen stehen dem Leben der Indigenen diametral entgegen. Goldschürfer benutzen giftiges Quecksilber, um an das Edelmetall zu kommen, und das Gift gelangt in das Wasser der Flüsse. So verschwinden Lebensräume, unschätzbares Wissen und Weisheit. Misereor und andere Organisationen fordern deshalb kein Herabstufen des Schutzgebiets-Status vieler Schutzgebiete, keine Ausweitung von landwirtschaftlichen Nutzflächen, dafür aber Wiederaufforstungen.

Kirchliches Engagement gefordert

Der Bedarf an Bodenschätzen kommt durchaus auch von anderen Ländern und deren imperialem Gehabe. Das Ergebnis einer der zwölf Arbeitsgruppen lautet: „Bei der Gier nach großen Wirtschaftsprojekten auch in indigenen Gebieten, angesichts von Ökozid und Ethnozid sowie der Ermordung und Kriminalisierung von Führungspersönlichkeiten, ist es Aufgabe der Kirche, die Abgrenzung und den Schutz  von indigenem Land und afro-brasilianischen Nachkommen sowie die Rechte anderer traditioneller Gemeinschaften zu verteidigen.“

Der Papst hörte zu, denn es ging ihm um eine synodale Kirche, wo man sich gegenseitig wahrnimmt und zuhört. Er will, dass das Leben, die Erde und die Kulturen verteidigt werden. Vorbild dafür ist Gott selber, welcher Moses wissen lässt: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage gehört.“

Arbeitspapier und Synode

Insgesamt beteiligten sich im Vorfeld der Synode 87.000 Menschen in Amazonien durch ihre Beiträge am Entstehen des Instrumentum Laboris (Arbeitspapier). An der Synode nahmen 186 stimmberechtigte Bischöfe teil. Dazu kamen Vertreter der kontinentalen Bischofskonferenzen. Mit den Bischöfen berieten außerdem Vertreter*innen der Ureinwohner, geladene Expert*innen und Ordensleute, darunter dreißig Frauen: Dennoch waren nur Männer stimmenberechtigt! Alle Redner verfügten über vier Minuten für ihren Beitrag. Vom Papst selber wurde nach vier Rednern eine Stille von vier Minuten erbeten, damit die Anwesenden das Gehörte aufnehmen und einordnen konnten. Zwischendurch wurden spontan immer wieder Lieder angestimmt, was der Versammlung ein eigenes Gepräge gab. Ein maßgebliches Lied hatte den Titel: „Alles ist miteinander verbunden“. Einige kirchliche Würdenträger missbilligten, dass Menschen vom Amazonas mit Federschmuck im Petersdom auftraten. Papst Franziskus antwortete mit aller Liebenswürdigkeit: „Ihr habt ja auch farbiges auf dem Kopf und in euren Gewändern“.

Lange Vorgeschichte der Synode

Die Amazonas-Synode hat eine lange Vorgeschichte – eigentlich seit dem 2. Vatikanum: Volk Gottes auf sein Ziel zu unterwegs. Es ist interessant, dass Papst Franziskus zuerst die Enzyklika „Evangelii Gaudium“ (zur Verkündigung der Frohbotschaft) gefolgt von seiner berühmten Enzyklika „Laudato si“ (über die Sorge um das gemeinsame Haus der Erde“) geschrieben hat. Diesen folgte die Synode, welche sich ganz an der Wirklichkeit der Menschen in Amazonien orientierte.

Seit 1972 gab es verschiedene Arbeitstreffen. Die letzte dieser Versammlungen fand 2018 im peruanischen Puerto Maldonado statt. Dabei wurde festgehalten, dass Ureinwohner bei den Mächtigen als Entwicklungshindernis gelten. Rohstoff verbrauchende Industrien und Großprojekte entstehen, während bei den Menschen vor Ort Armut, Hunger und Gewalt zunehmen. Landansprüche der Konzerne, um Bodenschätze abbauen zu können, kollidieren mit den Rechten der Indigenen, auf ihrem Land leben zu können. Umwelt- und Klimaschutz sind unerlässlich.

Pastoral der Präsenz

Eine Entkolonialisierung der Kirche ist angesagt: Sie soll ein „amazonisches Gesicht“ erhalten und nicht mehr zentralisiert sein. Das bedeutet nun, dass Priester und Schwestern nicht von einer Zentrale her kommen und das Jahr über die Gemeinden besuchen – eine „Pastoral des Besuchens“.  Viele Christen können so nur zwei bis dreimal im Jahr miteinander Eucharistie feiern. Das muss geändert werden. Es  geht jetzt um eine Pastoral der Präsenz durch Priester und Leiter*innen der Gemeinden, die vor Ort leben. Aber davon gibt es bei weitem nicht genügend. Zweidrittel der Kirchengemeinden werden von Frauen geleitet. Auf diesem Hintergrund haben vor allem die Ordensfrauen während der Synode Klartext gesprochen.

Viri Probati und Diakoninnen

Gemeindeleitung durch Viri Probati, also durch bewährte und fähige, auch verheiratete Männer und Diakone  war ein wichtiges, ja heikles Thema, zumal das Ganze mit dem Zölibat zu tun hat. Außerdem stand die Frage von geweihten Diakoninnen im Rahmen der Synode. Die entsprechenden Dokumente benutzen allerdings nicht die Begriffe „Viri Probati“ oder  „Diakoninnen“, um die Türen im Vatikan offen zu halten. Es bleibt jedoch weiterhin die Herausforderung der Gemeindeleiter*innen bestehen. Bei der Abstimmung zu diesen Dokumenten wurde leicht eine Zweidrittel-Mehrheit erreicht – aber doch weniger als bei den anderen Texten. Inzwischen hat der Papst eine Kommission eingerichtet, welche die biblischen Texte zur Weihe von Diakoninnen untersuchen soll.

Kurz zusammengefasst waren die wichtigsten Themen der Synode: Integrale Ökologie, neue Wege für die Kirche, Urbanisierung und Selbstverpflichtungen sowie der Katakombenpakt für das gemeinsame Haus.

Katakomben-Pakt

Bereits 1965 entstand ein Pakt in den Domitilla-Katakomben in Rom – daher der Name. Eine Gruppe von Bischöfen unterzeichnete damals eine Selbstverpflichtung zu einem einfachen Lebensstil und zum Dienst an den Armen. Im Zusammenhang mit der Amazonas-Synode entstand jetzt der Katakomben-Pakt für das gemeinsame Haus der Schöpfung. Er steht für eine Kirche mit einem amazonischen Gesicht, arm und dienend, prophetisch und samaritanisch.

Ein Ausschnitt im aktuellen, neuen Dokument lautet: „Vor der Lawine des Konsums führen wir einen Lebensstil, der freudig, nüchtern, einfach und solidarisch mit denen ist,  die wenig oder gar nichts haben; wir reduzieren die Abfallproduktion und Vermarktung agroökologischen Produkten, und wenn immer möglich, nutzen wir öffentliche Verkehrsmittel.“ Jeder und jede kann diesem Pakt beitreten.

Wie geht es weiter?

Bei der Synode wurde deutlich, dass Menschen mit Optionen und Positionen keine Bittsteller sind, sondern mitreden wollen. Es steht außerdem die Umkehr der Kirche zu kultureller Vielfalt an: Man sprach während der Synode beispielsweise auch von einer eventuell zu schaffenden Amazonasliturgie. Die Ämter am Amazonas müssen von den Erfahrungswelten in den Gemeinden her gedacht werden.

Und wie geht es nun in den Gemeinden Amazoniens und in Bischofskonferenzen weiter? Die bei der Synode erstellten Dokumente wurden Papst Franziskus übergeben. Er wird darauf in einem apostolischen Schreiben voraussichtlich noch vor Weihnachten reagieren.

Pater Anton Schneider