Liebe Bekannte und Freunde!
Nach genau einem Jahr komme ich wieder zu Euch mit meinen Advent- und Weihnachtsgrüßen! In Neapel trägt der Vesuv bereits eine dünne Schneehaube, sonst sind die Temperaturen zu Mittag zwischen 10 und 15 Grad. Und es hat die Regenzeit begonnen, die mich auch in diesem Jahr wieder an meine Brasilienzeit erinnert. November und Dezember regnet es häufig und meist sehr intensiv, wie im Amazonas. Dann ist plötzlich wieder die Sonne da, auf die dann bald ein weiterer Regenguss folgt.
In der Gemeinschaft werden wir immer „afrikanischer“. In diesem Studienjahr haben wir 13 Scholastiker aus mehreren Nationen Afrikas und nur mehr einen aus Mexiko. Dazu kommen wir vier Patres. Das entspricht zwar genau dem Traum unseres Gründers Daniel Comboni, aber führt leicht dazu, zu einer Insel zu werden, die mit ihrem Umfeld immer weniger kommuniziert. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, haben wir für dieses Studienjahr die Priorität gesetzt, die süditalienische Kultur und Lebensweise besser kennenzulernen und uns mehr in die Realität vor Ort zu integrieren.
Während ich vom Lockdown in Österreich höre und von solchen Vorhaben auch in Deutschland, leben wir hier relativ entspannt, sicher auch, weil im Süden Italiens die große Mehrheit geimpft ist. Wir sind schon vorsichtig, aber wer die Lebenskultur der Süditaliener etwas kennt, weiß, dass soziale und körperliche Distanz ihnen eher fremd sind. Wie oft beobachte ich, dass die Leute beim Gottesdienst die Gesichtsmaske sehr strikt benützen, sich aber anschließend vor der Kirche herzlich umarmen.
Ich selbst lerne immer mehr die Ortskirche von Neapel kennen und integriere mich zunehmend in die italienische Provinz, die zahlenmäßig ca. fünf mal so groß ist wie die deutschsprachige. Sie ist auch überaltert und doch erstaunlich aktiv. Neben den pastoralen Aushilfen in unseren Pfarreien in der Nähe bin ich in ständigem Kontakt mit Castel Volturno, wo sich in den letzten Jahren aus einem kleinen Fischerdorf am entfernteren Strand von Neapel eine Stadt mit ca. 30. 000 Einwohnern entwickelt hat, bestehend aus afrikanischen Migranten und Flüchtlingen und ärmeren italienischen Familien. Drei Mitbrüder führen dort die Pfarrei, die speziell für Flüchtlinge ein Ansprechpartner sein will und einen Beitrag leisten möchte zur Verständigung zwischen den vielen Kulturen vor Ort. Es ist ein wunderschöner Ort am Strand, aus dem sich aber nicht nur die Badegäste zurückgezogen haben, sondern auch die politische Gemeinde fast gänzlich das Geschehen anderen Kräften überlässt.
Mit anderen Worten, die Menschen sind sich selbst überlassen und der neapolitanischen Camorra ausgeliefert. Sie hat dort das Sagen, betreibt und kontrolliert zugleich den Menschen- und den Drogenhandel. Im Hinterland, auf den großen Landwirtschaften, kann deutlich beobachtet werden, wie heute noch moderne Sklaverei funktioniert. Jeden Morgen werden afrikanische Flüchtlinge für den Gemüseanbau, die Orangen-und Tomatenernte angeheuert und nach einem Arbeitstag von bis zu zwölf Stunden unter praller Hitze mit 20-25 Euro abgespeist. Wenn sich jemand darüber beklagt, wird er bedroht oder gar verfolgt. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass überall dort, wo große Mengen Bargeld fließen, ohne Belege und ohne schriftliche Rechnungen, die Camorra im Spiel ist. Dazu kommt das oberste Gesetz des Schweigens, alle wissen darüber, niemand sagt etwas, oder besser, darf etwas sagen.
Aber erfreulicherweise muss ich dazusagen, dass dieses Schweigen durch den Mut einiger immer öfter gebrochen wird. Es gibt zunehmend Veranstaltungen, die öffentlich die Praktiken der Mafia anprangern, was noch vor zwanzig Jahren undenkbar gewesen wäre. Auch die Kirche hat sich weitgehend aus der heimlichen Umklammerung durch die Mafiabosse gelöst. (In Sizilien „gibt es da noch Luft nach oben“.) Immer öfter wird auch in Predigten gegen das „schlechte Leben“, wie die Leute hier die mafiösen Praktiken nennen, Stellung bezogen.
Hoffnung auf Veränderung ist auch das Programm von Weihnachten, wie sie in wunderbaren Bildern in den Jesaia-Lesungen jetzt so schön zum Ausdruck kommen. Es ist die Hoffnung, dass „man nichts Böses mehr tun, und kein Verbrechen mehr begehen wird“ (Jes 11).
Ich bedanke mich herzlich für jede Form von Unterstützung und bleibe Euch im Gebet verbunden. Es ist weiterhin mein Wunsch, „saluti e salute per tutti“, Grüße und Gesundheit für euch alle! Allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und die Erfahrung, dass der Herr auch im Neuen Jahr alle Wege mit Euch geht!
In Freundschaft und Dankbarkeit!
Pater Karl Peinhopf