Schwester Margit Forster hilft in Berlin Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution
Ein dicker schwarzer Balken zieht sich unten über die gesamte Breite der Leinwand. Darüber erstreckt sich ein hellblaues Gewölbe, über das wiederum ein strahlend gelbes Firmament erglüht, in dem zahlreiche Herzen leuchten. „Es war das erste Bild, das die Frau bei uns gemalt hat“, erklärt Schwester Margit Forster und gibt die Deutung der Malerin wieder: „Sie tritt langsam aus dem Dunkel heraus und erkennt bereits das leuchtende Licht, die Hoffnung auf ein neues Leben.“
Die Frau, die dieses Bild ihrer Seele auf die Leinwand brachte, kommt aus einem westafrikanischen Land. Sie wurde nach Deutschland geschleust, um in der Prostitution gnadenlos ausgebeutet zu werden – ein Opfer von brutalem Menschenhandel. „Diese Frauen leben in einer Art psychischer Gefangenschaft“, klärt Schwester Margit auf. In der Hoffnung auf ein besseres Leben für sich und ihre Familie schwören sie während einer okkulten Voodoo-Zeremonie ihren späteren Menschenhändlern bedingungslose Treue. Der Juju-Priester bekommt bei diesem Ritual Fingernägel, Schamhaare, ein paar Tropfen Blut von den Frauen, die er in seinem Götterschrein als spirituelles Faustpfand verwahrt. „In diesem Glauben geben die Frauen ihr Schicksal in die Hände eines Voodoo-Gottes, in Wirklichkeit begeben sie sich allerdings in die Gewalt einer schrecklichen Mafia.“
An den Schwur und dem daraus resultierenden Gehorsam gefesselt, sollen sie in Deutschland eine hohe fünfstellige Summe, sogenannte „Vermittlungs- und Reisekosten“, auf dem Strich abarbeiten. Erst dann seien sie wieder frei, erst dann würde ihnen und ihren Familien nichts passieren, erst dann würde der Schwur gegenüber der Gottheit erfüllt. „Eingeschnürt in ein solches Korsett der Angst, ist diese psychische Abhängigkeit etwas, aus dem sie ohne Hilfe nur schwer rauskommen“, weiß Schwester Margit um die scheinbar aussichtslose Situation der Frauen.
Unfassbare Not
In ihrem Büro in Berlin-Neukölln berichtet die Ordensfrau von dem Unfassbaren, das sie tagtäglich aus dem Mund der Opfer hört. Die Comboni-Missionarin leitet die Beratungs- und Kontaktstelle von SOLWODI, Solidarität mit Frauen in Not. Die katholische Anlaufstelle sorgt sich um geflüchtete Frauen in Notsituationen sowie um Opfer von Menschenhandel. Mehr als 300 neue Kontakte pro Jahr, vor allem Afrikanerinnen, verzeichnet das vierköpfige Team, das neben Schwester Margit aus zwei Sozialarbeiterinnen und einer Psychologin besteht. Etwa 30 dieser Frauen geben sich als Opfer von Menschenhandel zu erkennen.
Sie kommen, weil sie den Druck nicht mehr aushalten. Die SOLWODI-Kontaktstelle dient ihnen als erste Anlaufstelle. Sie bildet einen Schutzraum, in dem die Frauen sich öffnen können. Männer haben keinen Zutritt, Fotoaufnahmen sind nicht erlaubt, beraten wird nur mit Termin, damit sich die Betroffenen nicht untereinander begegnen. „Wir hören zunächst einmal zu und schauen dann, was dran ist“, erklärt Schwester Margit das Hilfsangebot aus psychosozialer und Traumafachberatung. „Wir helfen, wenn nötig, die Frauen abzuschotten, bringen sie ins Frauenhaus oder in eine Unterkunft für besonders Schutzbedürftige, beantragen einen Sperrvermerk.“ Das Team unterstützt die Frauen dann dabei, Deutsch zu lernen, mit der Ausländerbehörde Kontakt aufzunehmen, medizinische und psychologische Hilfe zu finden. Weitere Angebote wie kreativer Tanz, Malen und Basteln, Theaterspiel und Selbstverteidigung sollen die Frauen in ihrer Persönlichkeit festigen. „Wichtig ist uns, dass sie eine innere Stabilität wiedergewinnen, um mit dem Leben umzugehen.“
Innere Stabilität gewinnen
„Sister, let’s pray“, ein Satz, den Schwester Margit mehrmals am Tag hört. Die meisten der afrikanischen Frauen sind Christinnen, auch wenn sie sich von traditionellen Religionen, wie dem Voodoo, nur mühsam lösen können. Sie besitzen die Fähigkeit, völlig offen und frei über Gott zu sprechen, ganz anders, als wir das hier in Europa gewohnt sind“, bewundert die Comboni-Missionarin ihre Klientinnen. Die 63-jährige Ordensfrau aus Oberfranken kennt diese Offenheit im Glauben, hat sie doch bereits selbst zwölf Jahre in Afrika, zunächst in Kenia und dann in Uganda, gewirkt. „Die Frauen sehen in Gott ihre große Hoffnung und das, obwohl sie so viel durchgemacht haben. Trotz ihrer Gebrochenheit erfahren sie, dass sich Gott in ihrem alltäglichen Leben zeigt. Sie sind überzeugt davon, dass Gott weiterhin bei ihnen ist.“
In diesem tiefen, spirituellen Bewusstsein sehen Schwester Margit und ihr Team die Chance, den Frauen gezielte Hilfe für ihre seelischen Nöte anzubieten. Mit einem gezielten spirituellen Angebot versuchen sie seit neuem, den inneren Heilungsprozess der Frauen zu fördern. „Auf der Ebene des Glaubens besitzen wir die Möglichkeit, sie etwas Befreiendes erleben zu lassen“, ist die Ordensfrau überzeugt, „wenn sie aufgrund ihres Glaubens wieder anfangen, über ihr Leben nachzudenken und von ihren Träumen zu erzählen, werden diese Frauen wieder lebendig.“ Das neue Angebot von SOLWODI in Berlin besteht aus individueller, spiritueller Begleitung mit persönlichem Gebet und Schriftgespräch, mit Weihwasser und Bibellosungen. Zudem versucht Schwester Margit, Gemeinschaftsorte des Glaubens aufzubauen, die der expressiven Religiosität der afrikanischen Frauen entsprechen. Gleichzeitig schult sie Ehrenamtliche und Seelsorger, um sie für die Spiritualität der afrikanischen Frauen zu sensibilisieren.
Unterstützt durch das Bonifatiuswerk
Bei diesem Projekt wird die SOLWODI-Kontaktstelle durch das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken unterstützt. Das Spendenhilfswerk finanziert die Projektstelle von Schwester Margit für zwei Jahre. Die Ordensfrau hat damit Anteil an einem Förderprogramm, das das Bonifatiuswerk seit zehn Jahren erfolgreich betreibt. Das Hilfswerk, das traditionell Bauprojekte und Fahrzeuge unterstützt, investiert im übertragenen Sinn in „lebendige Steine“. Über 60 Personalstellen wurden seit 2007 bereits in Deutschland und Nordeuropa mit einer Gesamtsumme von mehr als drei Millionen Euro gefördert. „Gerade in der Diaspora, wo finanzielle und strukturelle Kapazitäten knapper und wo neue Formen des Dialogs mit Konfessionslosen gefragt sind, braucht es Raum und Zeit für exemplarische Projekte, die als Leuchtzeichen fungieren, inspirieren und Mut machen“, betont Monsignore Georg Austen, Generalsekretär des Bonifatiuswerkes.
„Als Christen leben wir in Berlin in der Diaspora“, verweist auch Schwester Margit auf diese besondere Problematik. „Die sehr religiösen afrikanischen Frauen finden in der Aufnahmegesellschaft kaum einen Ort, an dem sie ihren Glauben in ihrer ihr eigenen Emotionalität leben können. Dabei könnte genau das ihnen helfen, ihre Not zu überwinden.“ Dieser schwierigen Situation möchte Schwester Margit mit ihrem Projekt nun entgegenwirken.
Text: Alfred Herrmann
Quelle: Bonifatiuswerk
Fotonachweis: Alfred Herrmann/Bonifatiuswerk