Beginn in Nürnberg
Als ich Anfang Januar ins Provinzialat in Nürnberg eingezogen bin, hatte ich gewisse Vorstellungen, wie ich meine Arbeit als Provinzoberer angehen wollte. Für mich war es ein guter Einstieg, da Pater Karl Peinhopf, mein Vorgänger, noch in Nürnberg war. Er half mir, die Dokumentenfülle im Büro des Provinzialats zu entdecken, sie langsam zu verstehen und mich mit den verschiedenen Aufgaben vertraut zu machen.
Mitte Januar kam der Provinzrat zur ersten Konsulta (Besprechung) zusammen. Ich bin froh, dass Pater Roberto Turyamureeba, Pater Franz Weber, Bruder Hans Eigner und Pater Hans Maneschg mir im Provinzrat zur Seite stehen. Wir können gut zusammenarbeiten und ich bin froh, dass ich bei aufkommenden Fragen immer auf sie zurückgreifen kann.
In der Sitzung Ende Januar haben wir einen Plan für das bevorstehende Jahr ausgearbeitet. Dabei werden wichtige Themen der Generalleitung, wie zum Beispiel die Überarbeitung unserer Lebensform und Themen zu unserem diesjährigen Schwerpunkt, das Jahr des Dienstamtes, umgesetzt. Als weiteren Höhepunkt für 2020 planen wir einen Festakt in Ellwangen am 10. Oktober, mit dem an die 100jährige Präsenz der Comboni-Missionare in Deutschland, konkret in Josefstal, erinnert wird.
Treffen aller Provinzoberen in Rom
Mitte Februar fand das erste internationale Treffen aller Comboni-Provinzoberen in Rom statt. Meine fünf europäischen Kollegen hatte ich schon vorher kennengelernt, in Rom hatte ich die Möglichkeit, mit 20 weiteren Provinzen in Kontakt zu kommen.
Das Amt des Provinzoberen ist eine große Herausforderung. Zum einen muss man die Abläufe in der DSP (Deutschsprachigen Provinz) im Auge behalten, zum anderen aber die weltweite Dimension unserer Kongregation mit ihren teilweise sehr unterschiedlichen Bedürfnissen. Beim Treffen in Rom wurde dies mehr als deutlich. Es ist wichtig, sowohl als Kontinent, als auch als Provinz klare Anliegen zu formulieren und der Generalleitung gegenüber auch einzubringen.
Was bedeutet es, andere zu leiten, welche Verantwortung hat man nun zu tragen?
Für uns neu gewählte Provinzobere gab es zunächst eine Einführung in die Struktur der gesamten Kongregation und ihre Gremien. Ebenso, welche Erwartungen die Gesamtkongregation an den einzelnen Provinzoberen stellt. Was bedeutet es, andere zu leiten, welche Verantwortung hat man nun zu tragen? Aber auch problematische Themen wie Missbrauch, der die Kirche überall noch erschüttert, oder Mitbrüder, die krank sind oder in schwierigen Situationen stecken, wurden nicht ausgeklammert.
Spannend waren die persönlichen Begegnungen mit Mitbrüdern aus den verschiedenen Provinzen. Gespräche mit Provinzoberen von Provinzen, in denen auch Mitbrüder aus unserer Deutschsprachigen Provinz leben und arbeiten, waren sehr herzlich. Andererseits nahmen wir auch Anteil an schwierigen Situationen im Kongo oder in Zentralafrika. Sehr interessant war ein Bericht unseres Mitbruders und Provinzoberen der Provinz Brasilien Dario Bossi, der von der Amazonas Synode und von Brasilien selbst berichtete.
Gerade für unsere Deutschsprachige Provinz, die praktisch keinen Nachwuchs mehr hat, ist das Thema der Internationalität von großer Bedeutung.
Wie so oft, macht es einen großen Unterschied, ob ich mit jemand in E-Mail-Kontakt stehe oder ob ich persönlich mit ihm spreche. So konnte ich auf kurzem Wege in verschiedenen Gesprächen über mögliche neue Mitbrüder sprechen, die zukünftig aus anderen Provinzen in unsere Provinz kommen könnten. Gerade für unsere Deutschsprachige Provinz, die praktisch keinen Nachwuchs mehr hat, ist das Thema der Internationalität von großer Bedeutung.
Auf meiner Heimreise Anfang März waren bereits einige Orte in Italien vom Ausbruch des Corona-Virus betroffen, so dass ich die älteren Mitbrüder in Castel d’Azzano, die ich von meiner Zeit in Kenia her kannte, nicht besuchen konnte.
Arbeit angesichts der Corona-Pandemie
Wieder zurück in der DSP machte ich meine ersten Erfahrungen mit Skype-Videokonferenzen. Als verantwortlicher Provinzoberer für die europäische Gruppe der Comboni-Laienmissionare nehme ich regelmäßig an diesen Konferenzen teil, durch die wir mit den Koordinatoren der Gruppen in Italien, Spanien, Polen, Portugal und Deutschland Kontakt halten. Bei der Konferenz Anfang März planten wir noch die europäische Vollversammlung, die im August in Krakau stattfinden sollte. Letztlich wurde sie, wie so viele andere Treffen auch, wegen Corona abgesagt.
Aufgrund der zunehmenden Ausbreitung der Corona-Pandemie schrieb die Generalleitung aus Rom Anfang März an alle Mitbrüder, dass bis auf weiteres keine Treffen durch die Generalleitung mehr wahrgenommen würden, dass die Mitbrüder in den verschiedenen Provinzen ebenfalls Veranstaltungen absagen und zu Hause bleiben sollten. Auch die staatlichen Verordnungen in Deutschland zeigten, dass man die Krise ernst zu nehmen hatte. Unsere Pläne, die wir für die DSP 2020 ins Auge gefasst hatten, standen plötzlich unter einem ganz anderen Vorzeichen und es galt, auch unsere alltägliche Arbeit zu überdenken.
Konferenzen mit den Mitbrüdern im Provinzrat organisierten wir online über Skype.
Nachdem die Diözesen dann auch die Gottesdienste aussetzten, wurden wir, zumindest was die Seelsorge betrifft, alle auf einmal „arbeitslos“ mit wenig Kontaktmöglichkeiten. Da ich jedoch noch einige Dinge aufarbeiten musste, Dokumente zu lesen hatte und das eine oder andere für die Mitbrüder auch übersetzen wollte, kam mir dieses Mehr an Zeit natürlich gelegen. Konferenzen mit den Mitbrüdern im Provinzrat organisierten wir online über Skype, mit den CLM (Comboni-Laienmissionaren) war ich ebenfalls über Skype und Zoom in Kontakt, und E-Mails und WhatsApp-Nachrichten ermöglichten einen relativ guten Kontakt zu den Mitbrüdern.
Wie sicher viele andere auch genoss ich es, plötzlich mehr Zeit zu haben für andere Dinge, die sonst hintenanstehen, wie Bücher lesen oder meinen neuen Wohnort Nürnberg erkunden. Auch die Erfahrung, jeden Tag mit den Mitbrüdern bei den Mahlzeiten und beim Gebet zusammen sein zu können, empfand ich als ein besonderes Geschenk.
Die Kontaktsperren hatten natürlich auch negative Auswirkungen. So konnte ich Mitbrüder nicht besuchen, die in den letzten Wochen runde Geburtstage gefeiert haben, darunter auch der 99. Geburtstag unseres Nestors in Ellwangen, Pater Karl Wetzel. Da musste dann eben ein Anruf oder eine Grußkarte genügen.
Ich bin unseren Mitarbeiterinnen in Ellwangen, die unsere älteren Mitbrüder betreuen, sehr dankbar, dass sie sich in dieser Zeit noch intensiver um deren Sicherheit und Wohlergehen kümmern. Wie in einer echten Familie, das ist nicht selbstverständlich. Gleiches gilt für die Bereitschaft aller Mitarbeiter/Innen, sich den Erfordernissen der Corona-Situation anzupassen und entweder im Homeoffice oder in veränderten Stundenplänen weiterhin mit uns zu arbeiten.
Corona Situation in anderen Ländern
Gerade als Provinzoberer bekomme ich viele Anfragen aus anderen Teilen der Welt, wo unsere Missionare tätig sind und wo die Menschen viel existentieller mit den Folgen der Corona-Pandemie konfrontiert werden.
In Kenia oder Uganda gibt es zwar nicht so viele Infektionen wie in Europa, aber die Ausgangsbeschränkungen und das Verbot im informellen Sektor, am Straßenrand oder auf dem Markt zu arbeiten, ermöglicht es vielen Menschen nicht mehr, das Essen für den jeweiligen Tag zu erwirtschaften. Sie leben nicht aus dem Geldbeutel, sondern wirklich von der Hand in den Mund. Selbst die UNO warnt die Welt vor einer Hungersnot von „biblischen Ausmaßen“. Hunger, nicht Krankheit, könnte in manchen Ländern, wie Südafrika, Kenia, Peru und Brasilien, aber auch in Indien, Pakistan oder Bangladesch, die Todesursache Nummer eins in dieser Krise sein.
Die Briefe und Nachrichten, die ich aus diesen Ländern bekomme, bewegen mich sehr. In vielen dieser Ländern leben und arbeiten die Comboni-Missionare gerade mit den am stärksten gefährdeten Menschen zusammen (in den Elendsvierteln in Kenia, mit den Indios im Amazonas, in den Favelas von Südamerika) und stehen den Bedürftigsten bei, besorgen Lebensmittel und medizinische Hilfe, denn jedes gerettete Leben ist von unschätzbarem Wert.
Lockerungen und die Auswirkungen
Jetzt, nachdem sich die Corona-Beschränkungen langsam lockern, kann ich wieder Gottesdienste mit der Gemeinde feiern. Außerdem werde ich damit beginnen, unsere einzelnen Hausgemeinschaften in Ellwangen, Neumarkt, Mellatz, Graz und Brixen zu besuchen, worauf ich mich schon sehr freue. Mitbrüder, die in anderen Provinzen leben und arbeiten, müssen sich mit einem Besuch leider noch ein wenig gedulden.
In dieser außergewöhnlichen Zeit haben mir auch viele Gespräche geholfen, neue Möglichkeiten unserer Präsenz in Europa zu sehen. Es stellen sich viele Fragen. So zum Beispiel, ob wir noch gezielter auf Gruppen zugehen müssten, die unsere interkulturelle Kompetenz nötig hätten? Menschen, die Migrationshintergrund haben und so in den Seelsorgsbereichen manchmal übersehen werden? Wie behandeln wir unser Thema Mission zukünftig, inwieweit sind wir bereit, unseren Glauben mit anderen wirklich zu teilen und uns entsprechend auch in Frage stellen zu lassen?
So ist der Spruch in dieser Zeit besonders wahr geworden, dass der Mensch denkt, aber dass Gott es ist, der alles lenkt – und am Ende sicher zum Guten.
P. Hubert Grabmann (Provinzoberer der DSP)