Ende 2020 veröffentlichte Papst Franziskus seine dritte Enzyklika „Fratelli tutti” über Brüderlichkeit und soziale Freundschaft. Diese Sozialenzyklika fordert uns als Comboni-Missionare heraus und regt uns an, über unseren missionarischen Dienst nachzudenken. An dieser Stelle sollen Überlegungen über verschiedene missionarische Perspektiven aus den einzelnen Kapiteln der Enzyklika und Einsichten aus dem Dokument als Ganzes angestellt werden.
Die Enzyklika „Fratelli tutti“ stellt gleich zu Beginn fest, dass wir hinter den Errungenschaften Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zurückbleiben. Die derzeitigen Globalisierungsprozesse führen zu einer neokolonialen Dynamik der kulturellen Invasion, sozialen Ausgrenzung und wirtschaftlichen Ausbeutung. All dies bringt eine zunehmende Entmenschlichung mit sich, die uns als Comboni-Missionare herausfordert. Im Mittelpunkt des Charismas von Daniel Comboni steht nämlich die Einladung zur Regeneration, zur Wiedergeburt zum Leben in seiner Fülle, zur vollen Humanisierung der Menschen und der Völker. Eine Erneuerung, die sich auf die Ganzheit der Person bezieht und das Geheimnis der Gottmenschlichkeit Jesu in den Blick nimmt, in dem wir uns als Kinder Gottes, als Schwestern und Brüder aller Menschen erkennen.
Papst Franziskus beklagt den Verlust des Gemeinschaftssinns, des Sinns für das menschliche Leben, das sich nicht auf das Individuum beschränken lässt, das immer mehr isoliert und auf einen Verbraucher und Zuschauer reduziert wird. Die Gesellschaft muss tiefe und bedeutende menschliche Beziehungen, ein Gefühl der gegenseitigen Zugehörigkeit und der Gemeinschaft wiederentdecken, d. h. sie muss die Horizonte wiederentdecken, die uns in der Einheit zusammenführen können. Der Dialog mit dem kulturellen und spirituellen Erbe Afrikas und der indigenen Völker im Allgemeinen ist ein Weg, der den Wandel verspricht, den die Welt heute braucht. Wir sehen es vor allem in der Erfahrung von Utu – in der Swahili-Sprache, Ubuntu in anderen Sprachen des südlichen Afrikas -, was bedeutet, ganz Mensch zu sein. Es handelt sich um eine Realität, die in den westlichen Sprachen nur schwer wiedergegeben werden kann, die aber die Idee des In-Beziehung-Seins vermittelt: „Ich bin, weil wir sind“, d. h. jeder Mensch verdankt sein Dasein den anderen Menschen. Utu drückt die Erfahrung der Gemeinschaft, der Harmonie, des korrekten und rücksichtsvollen Umgangs mit anderen aus. Die Realität von Utu zeigt sich in Gastfreundschaft, Großzügigkeit, Mitgefühl, Freundschaft, Einfühlungsvermögen, Freundlichkeit und Dienstbereitschaft. Das eigene Menschsein ist nämlich untrennbar mit dem der anderen verbunden. Die Wiederherstellung eines Gefühls der Zugehörigkeit und der menschlichen Gemeinschaft ist von grundlegender Bedeutung für einen sozialen Wandel in Richtung Brüderlichkeit und ökologische Nachhaltigkeit, wie uns auch das Apostolische Schreiben Querida Amazonia (QA 20) in Erinnerung ruft. Es fordert insbesondere „ein neues soziales und kulturelles System, das den solidarischen Beziehungen Vorrechte einräumt und sie in einen Rahmen stellt, der die verschiedenen Kulturen und Ökosysteme anerkennt und achtet als auch in der Lage ist, sich jeder Form von Diskriminierung und Vorherrschaft unter den Menschen zu widersetzen “ (QA 22).
Als Missionare sind wir aufgerufen, Räume des Zuhörens und des Dialogs mit diesem Erbe der indigenen Völker zu schaffen. Es erscheint uns unerlässlich, die Lebensweise, die Beziehungen, die Organisation der Gesellschaften und vor allem den Sinn der Existenz zu überdenken, wie Papst Franziskus uns dazu auffordert, der in QA (22) erneut klarstellt: „Christus hat den ganzen Menschen erlöst und will in jedem die Fähigkeit, mit den anderen in Beziehung zu treten, wiederherstellen. Das Evangelium bietet uns die göttliche Liebe an, die aus dem Herzen Christi hervorströmt und ein Streben nach Gerechtigkeit bewirkt, die zugleich ein Loblied auf die Brüderlichkeit und Solidarität, eine Anregung zur Begegnungskultur ist. Die Weisheit des Lebensstils der ursprünglichen Völker – auch mit all den Grenzen, die er haben mag – regt uns an, dieses Bestreben zu vertiefen.“ Regeneration, Herz Jesu, Humanisierung: Das Charisma Combonis ruft uns zu einem neuen missionarischen Engagement auf.
P. Alberto Parise