Warum muss die Kirche in der Erfüllung ihrer Mission den Armen den Vorzug geben? Fühlen sich damit nicht die Wohlhabenden und Reichen ausgeschlossen und von der Kirche vernachlässigt? Im letzten Teil unserer Reihe „Mission heute“ stellt sich Pater Franz Weber der grundsätzlichen missionstheologischen Frage, warum sich die Kirche angesichts der zum Himmel schreienden, weltweit wieder zunehmenden Armut ohne Wenn und Aber auf die Seite derer zu stellen hat, die selbst keine Stimme haben.
Wohin mit den Armen?
Wer macht sich sonst in der Welt von heute zum Anwalt der Vielen, deren Recht auf ein menschenwürdiges Leben mit Füßen getreten wird? Für die Wirtschaft bringen die Armen nur etwas, solange sich in Billiglohn-Ländern durch ihre Arbeitskraft Gewinn erwirtschaften lässt. In den Augen mancher Regierungen sind die Elenden am Rande oder außerhalb der Wohlstandsgesellschaft nicht mehr als menschlicher Rest- und Problemmüll, dessen „Entsorgung“ zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Schreit eine solche Verachtung von Millionen von Menschen nicht zum Himmel?
Armut hat viele Gesichter
Die weltweite Armutsproblematik wird heute auf internationalen Konferenzen diskutiert, ohne dass daraus in der Realpolitik die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Andererseits ist es durchaus ein hoffnungsvolles Zeichen, dass sich viele Frauen und Männer persönlich und in internationalen Organisationen und lokalen Initiativen gegen Diskriminierung und Ausbeutung, gegen Menschenhandel und Sklavenarbeit, gegen Rassismus und Unterdrückung von Minderheiten einsetzen.
Eine Grundentscheidung christlicher Mission
Die von verschiedenen Seiten angefeindete „Option für die Armen“, zu der sich nicht nur die Theologie der Befreiung, sondern auch die Soziallehre der katholischen Kirche und mit Nachdruck vor allem Papst Franziskus klar bekennen, ist kein Programm linker Extremisten. Sie ist auch keine Aufforderung zum Klassenkampf, mit der „die da unten“ gegen „die da oben“ aufgehetzt werden, sondern eine pastorale Grundentscheidung, zu der sich die christlichen Kirchen bekennen, weil der Gott der Bibel und das Beispiel Jesu ihnen die Richtung für diesen Weg vorgibt.
Es braucht Heilmittel gegen das „große Virus der sozialen Ungerechtigkeit und der Ausgrenzung der Ärmsten“.
Papst Franziskus
Heilmittel gegen das Virus der Ausgrenzung
Was treibt Christen weltweit zu einem selbstlosen Dienst in Situationen, die nach Hilfe schreien? Durch die Corona Pandemie ist die ohnedies schon prekäre Lage der Armen vielerorts noch verzweifelter geworden. Papst Franziskus hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass es deshalb nicht nur Lösungen für die Bekämpfung des Krankheitserregers, sondern Heilmittel gegen das „große Virus der sozialen Ungerechtigkeit und der Ausgrenzung der Ärmsten“ brauche. Und er bezeichnet die Zuwendung zu den Armen, Kranken und Ausgegrenzten als entscheidendes Kriterium christlicher Authentizität, das sich dem Vorbild Jesu verpflichtet weiß, der in Wort und Tat die Zuwendung eines grenzenlos liebenden Gottes verkündet hat.
Israels Gott ergreift Partei für die Armen
Die Option für die Armen hat im wahrsten Sinn des Wortes „theologische“ Wurzeln. Denn Gott selbst steht auf der Seite der Armen. „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage … habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid“ (Ex 3,4). Mose erhält von Gott den Auftrag, die Israeliten von ihrem Sklavenlos zu befreien. Eigentlich sollte es dann in dem von Gott gesegneten Land der Verheißung „keine Armen mehr geben“ (Dt 15,4). Doch schon die Erfahrung Israels hat den Beweis geliefert, dass „die Armen niemals ganz aus diesem Land verschwinden werden“ (Dt 15, 11). Deshalb legt Gott selbst dem Volk im Gesetz erstaunlich konkret Verpflichtungen gegenüber den Randschichten der Gesellschaft auf (Dt 15,7-11).
Die Beter der Psalmen sind davon überzeugt, dass Gott dem Armen zur Seite steht (109, 31) und dem Gebeugten zu seinem Recht verhilft (140,13). Der Prophet Amos kündet denen, die die Armen verfolgen und die Gebeugten im Land unterdrücken (Am 8,4) und betrügen (8,5-8), das Strafgericht Gottes an. Am Ende des Buches Jesaja ist von einem Gesalbten des Herrn die Rede, auf dem der Geist des Herrn ruht und der sich gesandt weiß, „um den Armen frohe Botschaft zu bringen, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind“ (Jes 61, 1).
Jesu Herz schlägt für die Armen
Diese messianische Vision erfüllt sich für Jesus von Nazaret in seiner Person und Mission. In der Synagoge seiner Heimatstadt stellt er damit sein Programm und seine Option vor, die er in seinem Wirken in die Tat umsetzt. Sein Herz schlägt für die Armen. Sie preist er selig und ihnen spricht er das Reich Gottes zu (Mt 5,3). Nach dem Zeugnis aller Evangelien wendet er sich bevorzugt denen zu, die am Rande stehen. Er schließt aber auch die Reichen und Mächtigen seiner Zeit nicht aus. Aber er redet ihnen ins Gewissen und verlangt von ihnen, dass sie ihr Vermögen mit den Armen teilen (Lk 19, 1-8).
Armut schafft Konflikte und führt zum Teilen
Diesem Beispiel Jesu wissen sich auch die ersten christlichen Gemeinden verpflichtet, die sich immer wieder mit sozialen Problemen und Konflikten konfrontiert sehen. Sie spitzen sich vor allem in Korinth gefährlich zu und führen zu einer Zerreißprobe in der Gemeinde. Paulus ergreift entschieden Partei für die Benachteiligten, wenn er schreibt. „Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen“. (1 Kor 1,2). Ähnlich im Jakobusbrief: Eine gottesdienstliche Versammlung, in der den Reichen der Vorzug gegeben und die Armen an den Rand gedrängt werden, wird vom Verfasser des Schreibens scharf kritisiert.
Die Option Combonis und der Comboni-Missionare
Daniel Comboni verwirklichte seine Mission im Einsatz für die Völker Zentralafrikas. Sie erschienen ihm zu seiner Zeit als die „Ärmsten und am meisten Vernachlässigten der ganzen Welt“ (Lebensform der Comboni-Missionare). Diese Option ihres Gründers betrachten die Comboni Missionare als bleibenden Auftrag. Sie versuchen ihn heute vor allem dort zu verwirklichen, wo Comboni einmal selbst wirkte und starb, im heutigen Südsudan, aber auch in vielen anderen missionarischen Situationen, in denen sie zur Zeit tätig sind.
Was gibt den Armen Würde und Heimatrecht in der Kirche?
Unsere vorrangige Option für die Armen verwirklicht sich nicht nur in der Verkündigung des Evangeliums und im konkreten Einsatz für Menschen, die an den Rand gedrängt werden. Wir sind überzeugt, dass die Armen unsere Weggefährten und Lehrer sind, von denen wir viel lernen können (Kapitelsdokumente).
Die „Option für die Armen“ zeigt sich nicht nur in der „Armenfürsorge“ oder im Eintreten für deren Rechte. Zu ihrer Würde und Freiheit als Töchter und Söhne Gottes gelangen Menschen dort, wo sie aktiv an der Mission der Kirche teilnehmen.
P. Franz Weber