Ende November trafen sich in Portugal die Mitglieder des europäischen Missionsrats der Comboni-Missionare, um sich zu vernetzen, die kontinentale Mission zu überdenken und zu vertiefen, und um Aktivitäten und Begegnungen auf dem europäischen Kontinent anzuregen und zu koordinieren. Pater Franz Weber, Vertreter der Deutschsprachigen Provinz, war dabei und berichtet:
Der europäische Missionsrat traf sich in Portugal
Nun konnten wir uns endlich wieder treffen, nachdem sich die Corona Situation zwischenzeitlich in Portugal durch eine hohe Durchimpfungsrate deutlich entspannt hatte. Wir, das waren auch diesmal wieder die Leiter des jeweiligen Provinzsekretariates für Mission, das es in jeder der europäischen Provinzen der Comboni-Missionare gibt. Versammelt waren wir diesmal vom 29. November bis 3. Dezember in Santarem, einer unserer portugiesischen Niederlassungen etwa siebzig Kilometer südlich der Hauptstadt Lissabon. Und es waren auch diesmal wieder die Vertreter aus der London Province, aus Polen, Italien, Spanien und Portugal und aus unserer Deutschsprachigen Provinz, die sich mit dem Generalsekretär für Mission aus Rom zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch und zur Planung von gemeinsamen Initiativen auf europäischer Ebene zusammenfanden. Sprachlich haben wir bei solchen Versammlungen kaum eine Schwierigkeit. Ob Italienisch, Spanisch, Portugiesisch oder Englisch: Comboni-Missionare sprechen fast immer mehrere Sprachen, zwar nicht perfekt, aber zumindest so, dass man sich gut untereinander verständigen kann. Nur mit polnisch oder deutsch kann man bei solchen Zusammenkünften nicht landen.
Mission – weit weg oder ganz nah?
Für viele, auch für nicht wenige in kirchlichen Kreisen, ist das, was man gemeinhin unter Mission versteht, noch immer „sehr weit weg“ und verwirklicht sich irgendwo in Afrika, Asien, Ozeanien oder Lateinamerika. Ja, dieses Verständnis von Mission war auch unter uns Comboni-Missionaren lange und noch bis vor kurzem vorherrschend. Für unseren Gründer Daniel Comboni war Zentralafrika der Ort und das Ziel seiner Mission, für das er sich leidenschaftlich einsetzte. Später haben die Comboni-Missionare eine Reihe von Arbeitsfeldern in verschiedenen Ländern Lateinamerikas übernommen. Schon vor einiger Zeit begann eine bescheidene Präsenz in China, Taiwan und auf den Philippinen und zuletzt erfolgte eine Gründung in Vietnam, wo wir bereits einige Eintritte in unsere Kongregation zu verzeichnen haben.
Ist aber auch Europa als „Missionsland“, ja sogar als der „schwierigste Missionskontinent“ (Johannes Paul II.) zu betrachten? Nach bereits seit mehreren Jahren zum Teil unter uns auch manchmal heftig geführten Diskussionen hat sich unser letztes Generalkapitel im Jahr 2015 im Schlussdokument zur Dringlichkeit einer missionarischen Präsenz der Comboni-Missionare auf unserem Kontinent bekannt. „Auch in Europa sind/sollen? wir“, so wird mit einem Hinweis auf Papst Franziskus festgestellt, „den Mut zu haben, alle Randgebiete zu erreichen, die das Licht des Evangeliums brauchen.“ (Apostolisches Schreiben über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, n. 20).
Flüchtlinge – eine Mission mit Menschen am Rand
An die Ränder zu gehen und dort präsent zu sein, wo Menschen an den Rand gedrängt werden, gehört seit unserem Gründer schon immer zum Missionsverständnis der Comboni-Missionare, auch wenn sich viele von uns aus menschlich verständlicher Bequemlichkeit und aus einem mit dem Älterwerden verbundenen Ruhebedürfnis lieber nicht mehr zu weit hinauswagen, sondern lieber in ruhigen, traditionell abgesicherten kirchlichen Gefilden tätig sein möchten. Das Generalkapitel von 2015 spricht für Europa vom „Drama der Flüchtlinge“ als „einem Zeichen der Zeit, das uns herausfordert“. Die europäischen Comboni Provinzen und ihre Hausgemeinschaften werden aufgefordert gemeinsam mit den Ortskirchen diesbezüglich eine „spezifische Pastoral zu entwickeln“. Wir müssen ehrlich zugeben, dass es unter uns trotz mancher Ängste und Widerstände diesbezüglich zwar nicht an grundsätzlicher Offenheit gefehlt hat, dass es aber in letzter Konsequenz immer nur einzelne sind, die sich dieser Herausforderung „in der Tat“ gestellt haben. Vor allem seit der Flüchtlingswelle, die vor einigen Jahren über Europa hereinbrach, haben sich vor allem die Provinzsekretariate für Mission und ihre Mitglieder auf verschiedenen Treffen immer wieder mit der Frage unserer missionarischen Präsenz unter den Migranten befasst und einige Initiativen dieser Art begleitet.
Camarate – Afrika an der Peripherie von Lissabon
Auf unserem Treffen wurde dieser Art unserer Mission in Europa vor allem dadurch besondere Aufmerksamkeit geschenkt, dass wir die Gelegenheit hatten, an der Peripherie der portugiesischen Hauptstadt Lissabon ein von der Generalleitung und den europäischen Provinzen gemeinsam ins Leben gerufenes und unterstütztes Projekt kennen zu lernen und zu evaluieren. In Camarate, einem direkt hinter dem Flughafen liegenden Stadtteil, dessen Bevölkerung sich überwiegend aus Menschen aus verschiedenen Ländern Afrikas und aus Sinti und Roma zusammensetzt, fehlt es nicht an sozialen Herausforderungen. Armut und Elend, Arbeitslosigkeit und Krankheit, Unterernährung und Kinder ohne Gelegenheit zum Schulunterricht, Drogen und Konflikte unter den verschiedenen Gruppen bestimmen hier den Alltag der Menschen. Genau hier leben in einer kleinen Mietwohnung seit kurzem drei Comboni-Missionare: Zu den beiden Portugiesen, einem Bruder und einem Pater, ist jetzt auch ein junger Bruder aus dem Kongo gestoßen.
Sie begleiten gemeinsam mit zwei Comboni Schwestern, mit einigen Comboni Laienmissionaren und in Zusammenarbeit mit Sozialarbeiterinnen und zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedene soziale Initiativen: Wir treffen unter anderem auf eine Gruppe quicklebendiger Kinder, die neben der schulischen Nachhilfe in einem improvisierten Lagerraum auch etwas zum Essen erhalten. Wir kommen mit Frauen ins Gespräch, die hier einen Nähkurs machen und sich mit ihren Arbeiten ein wenig Geld verdienen. Mit einigen Ausnahmen sind hier fast alle afrikanischer Abstimmung. Die zahlreichen Roma Familien, die hier an der Peripherie auch nach einer Bleibe suchen, sind viel schwieriger anzusprechen. „Mission – nicht im fernen Afrika, sondern in einem ehemals sehr traditionell katholischen europäischen Land – und unter Afrikanern am Rande …
Die kleine Gruppe der Combonis begleitet seit kurzem auch die vielen Afrikanerinnen und Afrikaner, die nicht weit von hier entfernt auf den riesigen Gemüseplantagen – ohne Arbeitsverträge und soziale Absicherung und in menschenunwürdigen Camps hausend – ihren Dienstherrn zu einem guten Gewinn verhelfen. Unsere Combonis versuchen gerade auch mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um den Schwestern und Brüdern aus dem fernen Afrika dadurch nahe zu sein, dass sie sich für eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen einsetzen. Gehört das nicht auch zur „Mission“ der Missionare – und zwar ganz im Sinn ihres Gründers?
Mission in und durch internationale Gemeinschaften
Was wir hier „am Rande“ von Lissabon zu hören und zu sehen bekommen reflektieren wir in unserer Gruppe auch im Blick auf ähnliche neue „Missionserfahrungen“ – etwa in einer ebenfalls kleinen Hausgemeinschaft im südspanischen Granada, wo inzwischen auch vier junge Mitbrüder aus Afrika mit ihrem Theologiestudium begonnen haben. Daneben aber arbeiten sie auch in der Begleitung der zahlreichen afrikanischen Migranten mit, die hier gestrandet sind. Es ist ein neuer Versuch, die zahlreichen Berufungen, die unserer Kongregation zurzeit vor allem in einigen afrikanischen Ländern geschenkt werden, nicht in großen Seminaren, sondern in kleinen internationalen Ausbildungsgemeinschaften auf ihren späteren missionarischen Dienst vorzubereiten.
Auch in unserer Hausgemeinschaft in Graz Messendorf startet demnächst ein ähnliches Experiment. Zwei junge afrikanische Mitbrüder, die schon als Priester in Westafrika im Einsatz waren und dort – oft unter sehr schwierigen Bedingungen – wertvolle Missionserfahrungen gesammelt haben, werden nun zusätzlich zu ihrem Doktoratsstudium durch ihre Mitarbeit im Seelsorgeraum Graz Süd einen wertvollen Beitrag zu einer missionarischen Pastoral leisten. Es ist vorgesehen, dass dort in naher Zukunft ebenso eine kleine internationale Ausbildungsgemeinschaft entsteht.
Wir sind sehr dankbar, dass unsere missionarische Präsenz auch in Deutschland mit dem Einsatz einiger engagierter afrikanischer Mitbrüder eine große Bereicherung erfährt. Unsere Generalleitung in Rom und die Leitungen der einzelnen europäischen Provinzen werden schon in nächster Zukunft darauf hinarbeiten, dass unsere Mission in Europa durch multikulturelle Gemeinschaften ein neues weltkirchlich und wahrhaft „katholisches“ und zukunftsfähiges Gesicht bekommt.
Mission vor der Tür
Doch nicht nur Erfahrungen mit Migranten, wie sie von einigen Mitbrüdern vor allem auch in Italien, vereinzelt auch in der London Province und auch hierzulande gemacht wurden, waren Thema unseres Treffens in Portugal. Wie können wir als Missionare in Europa den gewaltigen Herausforderungen der Umweltkrise und des bedrohlichen Klimawandels begegnen? Was können wir selbst durch eine Veränderung unseres eigenen Lebensstils, durch eine Bewusstseinsbildung in unseren Medien und in unserer Verkündigung dazu beitragen, dass die Wahrnehmung der Verantwortung für „Mutter und Schwester Erde“ als Teil unseres Missionsauftrags verstanden und praktiziert wird?
Manche „altgedienten“ Missionare, die in ihrem Leben in anderen und traditionellen Formen der Missionstätigkeit der Kirche Großes geleistet haben, tun sich da verständlicherweise nicht selten etwas schwer, dieses ganz andere und „integrale“ Verständnis von Mission in ihre Spiritualität und Theologie einzuordnen. Hier stehen in unseren eigenen Reihen ohne Zweifel immer wieder Lernprozesse an, die vonseiten des Generalsekretariats in letzter Zeit vor allem durch digitale Weiterbildungsangebote angestoßen wurden. In diesem Zusammenhang ist auch das ökosoziale Projekt des Vintlerhofes in Milland/Brixen, wie es von der Leitung der Deutschsprachigen Provinz gutgeheißen und begleitet wurde, sowohl bei der Generalleitung in Rom als auch in den Provinzen auf reges Interesse gestoßen. Hier und auch im nahegelegenen „Haus der Solidarität“, wo vor allem auch Asylanten aus Afrika wenigstens eine Zeit lang Aufnahme finden, haben wir die „Mission in Europa“ gewissermaßen „vor der Tür“.
An die erneuernde Kraft des Evangeliums glauben
Ich bin von der Begegnung und dem Austausch mit meinen Mitbrüdern aus den Missionssekretariaten der europäischen Provinzen wieder sehr bereichert heimgekehrt. Wenn man als Missionar „in die Jahre kommt“ und zurückblickt, darf man dafür dankbar sein, dass die Mission der Kirche und auch von uns Comboni-Missionaren immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird und deshalb auch eine neue Gestalt annehmen darf und muss – auch in Europa, ohne dass dadurch unsere Mission in den Kirchen des Südens ihre Bedeutung verliert. Das erfordert von uns Missionaren Flexibilität, Kreativität und Lernbereitschaft. Der tiefste Grund für diese Veränderungsprozesse, die der Mission der Kirche abverlangt werden, liegt wohl im Evangelium selbst. Denn dort, wo es mit Freimut verkündet wird, bewirkt es Veränderung. Darin besteht, wie es Papst Paul VI. in einem seiner bekanntesten Dokumente (Evangelii nuntiandi n. 18) einmal meisterhaft zum Ausdruck gebracht hat, die innere Dynamik der Mission. Denn „Evangelisieren besagt für die Kirche, die Frohbotschaft in alle Bereiche der Menschheit zu tragen und sie durch deren Einfluss von innen her umzuwandeln und die Menschheit selbst zu erneuern.“
P. Franz Weber