In einem sehr persönlichen Brief schreibt Pater Gregor Schmidt, auf welch schmalem Grad sich Vertreterinnen und Vertreter der Kirche im Südsudan bewegen. Die verfeindeten Parteien handeln nach dem Prinzip: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“
Der Südsudan steht politisch wie wirtschaftlich am Abgrund. Auch die traditionelle Weise, sich selbst durch Viehzucht und Ackerbau zu versorgen, gelingt wegen Vertreibung nicht mehr, so dass Hunderttausende vom Hungertod bedroht sind und schon jetzt unzählige Menschen unnötig sterben. Hinzu kommt die Aggression und Verrohung im Umgang miteinander. Es ist gefährlich, sich zwischen den Fronten zu bewegen. Die Kirchen suchen Versöhnung und Teilhabe aller Menschen in diesem Land. Das wird aber oft nicht verstanden, weil jede Partei nach dem Spruch handelt: “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.”
Die Situation ist letztes Jahr besonders für die katholische Kirche schwierig geworden. Der Verwalter unserer Diözese Malakal (wir haben seit 2009 keinen Bischof) war bis vor kurzem eher auf der Seite der Regierung, weil er mit ansehen musste, wie wilde Nuer-Milizen den Bischofssitz zerstört haben. Letztes Jahr verübten Regierungssoldaten jedoch ein Massaker mit über hundert Toten an seinem Volk, den Balanda. Da konnte er sich nicht mehr halten und predigte eines Sonntags in Juba sehr emotional gegen die Regierung. Das Ganze wurde auch noch live im Radio übertragen. Die Sicherheitskräfte nahmen ihn gleich nach der Messe fest. Präsident Salva Kiir, ein Dinka, übrigens auch katholisch und mit eigenem Sofa in der ersten Reihe der Kathedrale, gab dem „verlorenen Sohn” in einer Privataudienz die Möglichkeit, seinen „Fehler” zu widerrufen. Wohlgemerkt, es gibt hier keinen Rechtsstaat, wo eine Straftat vor Gericht verhandelt werden kann, sondern es geht zu wie zu Königszeiten, wo der Herrscher ein Gnadenurteil für reuige Untertanen spricht. Seit diesem Ereignis wird Priestern und Mitarbeitern der katholischen Kirche pauschal vorgehalten, einseitig die Opposition, die Nuer, zu unterstützen.
Im Januar 2017 war ich zur Provinzversammlung der Comboni-Missionare in Juba. Wir hatten mehrere Tonnen Bau- und Schulmaterial und auch Material für das Krankenhaus in Old Fangak eingekauft. Die Sachen wurden mit Lastern zum Flussufer gebracht. Einer dieser Laster wurde von der Polizei abgefangen. (An jeder Straßenecke stehen Polizisten, die so lange Fahrzeuge anhalten, bis sie genug Geld für den Tag erpresst haben.) Als sich herausstellte, dass die Ladung für Old Fangak bestimmt ist, wo die Nuer, also die „Rebellen“, wohnen, wurde die National Security eingeschaltet und der Laster konfisziert. Der arme Fahrer rief unseren Logistiker an. Dieser wurde bei seiner Ankunft auch festgenommen und rief mich an. Ich wurde ebenfalls wegen Kollaboration mit den Rebellen unter Arrest gestellt.
Kreuzverhör und Todesdrohung
Der Logistiker und ich wurden in getrennten Räumen ins Kreuzverhör genommen, um unsere Darstellung zu prüfen. Als ich einen Anruf von einem Comboni-Pater erhielt, der meinen Aufenthaltsort erfahren wollte, wurde mir das Handy weggenommen und abgestellt. Ein Mann sagte, dass er mich töten würde, wenn er das Kommando hätte. Das war keine Drohung, sondern eine Feststellung. Glücklicherweise hatte er anscheinend nichts zu sagen, und der Kommandeur war mir recht freundlich gesinnt. Er wollte genau wissen, was ich in Fangak mache, und natürlich, was die „Rebellen“ machen. Er freute sich auch über die Gelegenheit, mit einem Priester zu sprechen, und wollte ganz genau wissen, wie ein Papst gewählt wird. So erklärte ich die Funktion von Kardinälen und wie die Wahl abläuft. Den Gebrauch von anonymen Wahlzetteln fand er faszinierend. Die Szene würde in einen Monty Python Sketch passen. Der Kommandeur war so interessiert, dass unser Gespräch vergessen ließ, dass ich in Haft war. Nach fünf Stunden durften wir nach Hause. Aber viele Südsudanesen bleiben für lange verschwunden und werden gefoltert, wenn sie in die Hände des Sicherheitsapparates gelangen. Natürlich wurde mir und dem Logistiker das Bargeld abgenommen. Das war ein großer Betrag, weil an dem Tag eigentlich noch andere Ausgaben getätigt werden sollten.
Als Spion verdächtigt
In Old Fangak ist letztes Jahr folgendes passiert: Am Ende einer Messe werden immer Reden gehalten. Der Vater eines Schülers bedankte sich für das Engagement der Missionare und fügte dann hinzu, dass er nicht glaube, dass Pater Gregor für die Regierung arbeite. Dieser unscheinbare Satz offenbart, dass es in Old Fangak Leute gibt, die sich meine Kooperation mit dem Schulministerium nur dadurch erklären können, dass ich für die Regierung spioniere. Das ist für mich eine gefährliche Situation.
Eine kenianische Krankenschwester aus einem anderen Ort im Nuer-Gebiet musste innerhalb weniger Stunden evakuiert werden wegen eines kritischen Facebook-Eintrags gegen die Opposition. Soldaten waren schon auf dem Weg, um sie festzunehmen – glücklicherweise zu Fuß, weil es im Sumpfgebiet des Nil keine Straßen gibt. Das erlaubte es, einen Charterflug zu buchen und sie auszufliegen.
Missionare riskieren ihr Leben
Spätestens seit der Vergewaltigung von internationalem NGO-Personal durch Regierungssoldaten im Juli 2016 ist klar, dass Ausländer, auch das Missionspersonal, keinen Schutzstatus haben. Eine amerikanische Ordensschwester ist ebenfalls vergewaltigt worden. Eine tschechische Ordensschwester und zugleich Ärztin ist letztes Jahr in einem Krankenwagen an einem Checkpoint erschossen worden. Der Soldat sah sich bedroht. Da wurde geschossen, ohne zu wissen, wer im Wagen saß. (http:/www.steyler-mission.de/de/news-berichte/nachrichten/2016/schwester-veronika-nach-schussverletzung-verstorben.php). Diese Lagermentalität ist tragisch für uns. Wir verkünden ja eine Botschaft, die diese Mentalität überwinden will.
Wie zwischen Mühlsteinen
Im Januar fühlte ich mich wie zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben, und es hat mir einige schlaflose Nächte bereitet. Aber das ist paradoxerweise eine Situation, die eine Verheißung für Gottes Segen hat. „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht… Wir gelten als Betrüger und sind doch wahrhaftig; wir werden gezüchtigt und doch nicht getötet; uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich; wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles.“ (2 Kor 4,8; 6,8-10).
Mit den Worten „reich“ und „alles“ meint Paulus die Güter der Erlösung durch Christus und der Versöhnung mit Gott. Durch diese Versöhnung werden die Menschen befreit, auch zur Versöhnung miteinander. Daher ist die Versöhnung mit Gott der Kern der christlichen Missionsarbeit. (2 Kor 5,17-20).
Gott, der „Gute Hirt“
Jesus erzählt ein Gleichnis über Gott in der Gestalt eines Hirten, der sein verlorenes Schaf, den Menschen, sucht, bis er es gefunden hat (eine wunderbare Erzählung für Hirtenvölker wie Nuer und Dinka). Der Mensch ist nach der Bibel Abbild des Schöpfers. Ehrfurcht vor Gott zeigt sich daher gerade darin, dass wir sein Abbild in anderen Menschen achten. Deshalb sagt Jesus, dass das Gebot der Nächstenliebe (ich füge hinzu: Feindesliebe) dem Gebot der Gottesliebe gleichgestellt ist. Wer sich ernsthaft darauf einlässt, erfährt, dass dies oft menschliche Kräfte übersteigt. Aber gerade darin wird er im Glauben Gottes Kraft spüren.
Ich teile meine Überzeugung mit den Leuten in Fangak, aber ich schreibe es auch euch, falls jemand sich in einem menschlich ausweglosen Konflikt befindet.
Dieser Brief soll nicht hoffnungslos enden: Es gibt Südsudanesen, die nicht der Logik des Krieges folgen. Bei der Abfertigung der Schiffspapiere im Januar sagte mir der Beamte, ein Dinka, dass er auch gläubig sei und es gut finde, was die Kirche macht. Er informierte mich auch darüber, dass ich einen Antrag stellen könne, als kirchliche Organisation von den Steuern für den Transport befreit zu werden. Das hat mich überwältigt, nachdem mir die National Security so viel Geld geraubt hatte. Man muss wissen, dass in dem wirtschaftlichen Chaos Gehälter spät oder gar nicht gezahlt werden und Beamte oft nur das erhalten, was sie an Gebühren einnehmen. Indem der Mann uns, und damit auch den „Rebellen“, einen gebührenfreien Transport ermöglichte, hat er auf seinen eigenen Verdienst verzichtet.
Tränen der Freude
Eine andere Begebenheit: Die Neujahrsmesse habe ich in einer Kapelle gefeiert, die an ein Dinka-Gebiet grenzt. Dort gibt es auch Katholiken, die von unseren Nuer-Christen zum Gebet eingeladen worden sind. Mich hatte niemand informiert, und so wurde ich überrascht, als plötzlich jemand aufstand und vom Nuer ins Dinka übersetzte. Mir kamen vor Rührung die Tränen.
Hier ist der Beginn eines neuen Südsudan, ganz bescheiden und unscheinbar. Es war ein Taufgottesdienst, in dem neben Kindern auch mehrere Erwachsene getauft worden sind. Taufe bedeutet hier, dass der Stamm beziehungsweise die Ethnie zwar die Herkunft, aber nicht mehr die Identität ausmacht. Das ist jedenfalls die Hoffnung, dass Christen in der Krise sich ihrer neuen Identität in Christus bewusst sind und danach handeln.