Lang ist es her, dass ich mich aus Karamoja gemeldet habe. Das afrikanische Leben geht zwar langsamer voran als das europäische, trotzdem hat man den ganzen Tag etwas zu tun.

Der (Stations-)Alltag

Acht Wochen arbeite ich schon auf der Kinderstation und schaffe es nun, Blut abzunehmen und eine Flexüle zu legen. Auch das Geben einer Bluttransfusion ist kein Problem mehr. Ich habe Verbände gewechselt, Medikamente verabreicht und Betten bezogen. Das klingt nicht so schwer, war aber doch nicht leicht, wenn man die Sprache noch nicht allzu gut versteht. Unser Dienst startet immer mit einem Gebet, dann geht es 45 Minuten von Bett zu Bett, um die neuesten und wichtigsten Fälle kennen zu lernen. Nach zehn Minuten Besprechung gehen wir eine Runde um den Compound (Hof) und schauen nach – kein Scherz – menschlichem Stuhl. Die Karimojong gehen nicht auf die Toilette, da dort der böse Geist des Vorgängers ist, lieber setzt man sich in die Landschaft.  Kein Wunder, dass man immer auf seine Füße achten sollte. Nach der Besprechung der Stationsleitung gibt uns Victor, Ersatz-Stationsleiter und studierter Krankenpfleger, Seife und Handschuhe, die Oberflächen werden gesäubert und die Tabletts neu bestückt. Jede Woche hat man eine neue Zuteilung, ich war schon in Medikamentenwagen, Infusionsraum, Verbandswechsel, genereller Pflege und Visite. Gegen 10 Uhr starten die Verbandswechsel, gegen 12 Uhr und bei Anordnung auch zwischendurch gibt es die intravenösen Medikamente. Gegen 11 Uhr gibt es eine Pause mit heißem Tee, dann ist Gelegenheit sich kennen zu lernen und Fragen zu stellen wie „Gibt es das … in Europa auch?“ Die häufigsten Erkrankungen der Kinder sind Malaria, Lungenentzündung, Abszesse und Tuberkulose. Gegen 13 Uhr ist meine Schicht beendet und ich gehe schweißnass nach Hause. Bis 15 Uhr ist Pause, dann geht es für drei Stunden in die Bibliothek. Mal kommen die students und wollen etwas im Internet suchen, meine Aufgaben sind auch Bücher verleihen und in Empfang nehmen, Ordnung schaffen, Mails schreiben, manchmal auch skypen. Außerdem kommen mittlerweile viele Schüler, um ein bisschen zu erzählen. Das sind die lustigsten und schönsten Momente des Tages. Einmal habe ich eine Einladung in ein 6er-Zimmer angenommen, Bush-Porridge (ein besonderes Mehl mit Zucker und Wasser in der Tasse, das wie Pudding mit Wasser schmeckt, sehr lecker) bekommen, wir saßen zusammen und haben erzählt. Die Mädchen dürfen die Schule nur zur Arbeit verlassen.

Die liebe Gesundheit

Gleich in der dritten Woche in Uganda habe ich meine erste Malaria durchlebt. Man quält sich mit Fieber, die ganz Zeit ist einem schlecht, ich habe mit Mühe etwas gegessen und viel getrunken. Behandelt wird mit Coartem, Paracetamol und Tabletten gegen die Übelkeit. Zwei Wochen später bekam ich eine fiesen Schnupfen, und jetzt fange ich erneut an mit Schnupfen und Halsweh. Vielleicht liegt es auch an dem vielen Staub und Sand.

Der erste Besuch

Nach der zweiten Chorprobe wurde ich von Jennifer, einer Lehrerin an unserer Schule und Hebamme, in ihr Haus in den Mitarbeiterwohnungen eingeladen, eine weite Fläche mit ordentlichen kleinen Häuschen. Jennifer und ihre kleine Schwester bewohnen ein recht großes Zimmer, hell und sauber, mit Tisch, zwei Stühlen und zwei Betten, davor eine Kochnische und einen Lagerraum. Gekocht wird draußen auf einem kleinen Ofen. Mittlerweile habe ich dort ein zweites Zuhause und bin jederzeit willkommen.

Vom Spielen mit den Kindern

An meinem dritten Sonntag hatte ich die Idee, mit den Kindern auf der Station zu spielen und packte Luftballons, eine Spieluhr, Seifenblasen, einen Ball und einen kleinen Traktor aus. Die Kinder greifen nach allem und wollen am liebsten alles für sich. Ich musste erst erklären, dass wir gemeinsam spielen wollen und ich die Spielsachen wieder einsammle. Hier fehlen die Mittel, um Spielzeug zu kaufen, und die Kinder spielen mit Sachen, die die Natur ihnen gibt. Am Ende haben wir es doch geschafft, im Kreis Ball zu spielen. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ich mit den Kindern spiele, und ich habe schon Puzzle, Stifte und Sticker von Peter und Sr. Rosaria bekommen.

Ab und zu mal eine Schlange

Glücklicherweise ist mir noch keine Schlange begegnet, aber sie schleichen sogar am Tage herum: In der dritten Septemberwoche sonnte sich eine 2m lange Kobra in der Gemeinde und wurde getötet. Schlangen sind wohl so gut wie immer im Paar unterwegs, und tatsächlich wurde ein paar Tage später das Weibchen entdeckt, es konnte sich aber verstecken und ist bis heute nicht aufgetaucht. Interessant ist auch, dass Pythons keine Menschen angreifen. Fr. Marco meinte, dass es  in anderen Krankenhäusern mit mehr Gras im Umland viel mehr Patienten mit Schlangenbissen gibt. Auch hier gibt es den einen oder anderen Biss, der sogar tödlich endet. Normalerweise sind Schlangen sehr empfindlich und längst fort, wenn sie einen Menschen hören. Es kommt jedoch vor, dass man versehentlich auf eine tritt, die dann bevorzugt in die Fersen beißt. Deshalb gilt: nachts mit Lampe gehen, feste Schuhe anhaben, auf den Boden achten und möglichst geräuschvoll gehen. Zum Schutz haben wir vor unseren Zimmern Leisten oder „Zugluftstopper“ liegen.

Mir ist zum ersten Mal klar geworden…

.. wie gut wir es in Deutschland haben. Milde Sommernächte, keine Schlangen oder Skorpione, keine Dunkelheit ab 18.30 Uhr, keine Hurrikans oder sintflutartige Regenschauer. Die meisten haben Geld, ein festes Dach über dem Kopf, zu essen, Arbeit, Freunde und Familie, die nicht an ansteckenden und tödlichen Krankheiten leiden. Wir haben keine Malaria-Erreger, höchstens ein paar Grippeviren. Wir können uns im Dunkeln bewegen, ohne von Tieren gebissen oder von Menschen angegriffen zu werden. Wir sollten unsere Natur und unsere günstigen Lebenskonditionen zu schätzen wissen.

Allerhand Viehzeug

Regnet es ein paar Tage nicht, haben wir nächtliche Besucher in Massen. Sie springen überall hin, es hilft nur die Fliegenklatsche. Dabei erwischt es manchmal auch einen kleinen Frosch. Wir haben Ameisen auf dem Tisch, im Schrank laben sich trotz intensiver Reinigung Kakerlaken. Spinnen lässt man hängen, weil sie die Moskitos fressen, auch die Geckos (fast durchsichtige Eidechsen, welche im Haus auch Moskitos fressen, bleiben drin.

Die Sache mit den Süßigkeiten

Eines Tages habe ich Süßigkeiten vor das Krankenhausgelände mitgenommen und wurde förmlich überrannt. In der Sprache der Karimojong gibt es für DANKE gar kein Wort, sie kennen es gar nicht, sich zu bedanken. Man hat nie genug, so kann ich Süßes und Spielzeug nur noch im geschlossenen Rahmen verteilen. Später wollte ich beim Fußball Fotos machen, zwei Kinder stürzten sich gleich auf die Kamera, alles musste geknipst werden. Fast wäre die Kamera dabei kaputt gegangen. Die Menschen hier sind zwar freundlich, aber auch sehr rau und robust.

Über Kirche und Ehe

Am vorletzten Sonntagabend im September hatte ich ein gutes Gespräch mit Pater Bosco über Armut und Kirche. Wir sprachen auch über die Beschneidung von Frauen und die Polygamie, über Alkohol und das Gewaltverhalten vieler Männer. Eine Frau gehört dem Mann, nachdem der die Kühe und Ziegen als Brautpreis für sie bezahlt hat. Nimmt sich ein Mann eine zweite, dritte und vierte Frau, muss sie das akzeptieren. Die Männer sitzen den Tag über unter einem Baum, trinken Bier, spielen Karten und diskutieren, während die Frauen und Kinder alle Arbeit verrichten, sogar Holz schlagen und Bier brauen. Sicher, es gibt auch andere, modernere Männer, die nur eine Frau haben und diese auch wirklich lieben und ihr im Haushalt helfen.

Die Geschichte von Valentina

Valentina ist 31 Jahre alt und arbeitet auf der Kinderstation als Assistant Nurse (sie hatte eine Schulung im pflegerischen Bereich). Ihre Eltern sind beide an Malaria gestorben, sie hat noch zwei jüngere Brüder und eine Schwester. Sie ist mit einem Mann verheiratet, der seit Jahren bei einer der anderen drei Frauen lebt und sich nicht um sie und die vier gemeinsamen Kinder kümmert. Von Ihrem Gehalt bezahlt sie die Miete, Schulgeld für drei Kinder, das Studium ihres Bruders und die Lebensmittel. Was muss diese Frau alles leisten! Sie arbeitet so viel sie kann und versucht, so oft es geht Geld dazu zu verdienen. Letzte Woche hatte sie Nachtdienst und fuhr trotzdem tagsüber zum Impfen auf die Dörfer, obwohl sie eigentlich gar nicht in der Lage war zu arbeiten. Die 12 Euro waren es am Ende wert, bekommt sie doch monatlich nur etwa 80 Euro. Der Ehemann lässt sie einfach im Stich, als ob sie nicht existieren würde. Für mich eine unglaublich traurige Geschichte, die mich zugleich wütend macht.

Was sagt ihr nun?

Eine Vielzahl an Berichten, die ich hoffentlich anschaulich beschrieben habe. Mir geht es trotz Schnupfen gut, der liebe Gott hat mich in eine wunderbare Gemeinschaft geschickt, in der ich mich wohl fühle wie in einer zweiten Familie. Dazu die Arbeit, die vielen Erlebnisse, Chancen zur Weiterbildung, Chor und Gitarrengruppe. Ich bin unendlich froh, diesen Schritt gegangen zu sein.

Maria Wolf