Und es geht gleich weiter
Da Feiertag ist, schreibe ich ein paar kurze Szenen vom Oktober und freue mich, gemeinsam mit euch noch einmal zu reflektieren.
Sauberkeit und Umgang mit Müll auf der Kinderstation
An das Problem mit der Sauberkeit gehe ich hier in Afrika gelassener heran und kann schon mal großzügig über eine Staubschicht hinwegsehen. Selbst die Krankenschwestern kennen das Wort Ordnung nicht, und ich frage mich, wer Ordnung in die Spritzentabletts gebracht hat, bevor ich kam. Einmal habe ich den Schrank mit den Verbandsmaterialien ausgewischt und den Dreck von hundert Jahren ans Tageslicht befördert. Dazu muss ich erklären, dass ein Verbandswechsel unter möglichst sterilen Bedingungen stattfindet, mit Pinzetten und Klemmen, niemals mit der Handschuh-Hand selbst. Wie kann es dann sein, dass der Schrank, oder der Tisch, auf dem die Kinder sitzen, um ihre Flexülen zu erhalten, so dreckig sind? Der Dreck der nackten Füße, Blut, Urin und Kot wird kurz mit dem Desinfektionsmittel-Tupfer weggewischt. Wenn eine Mitarbeiterin eine Flexüle legt, wird sofort losgelegt, ohne Vor- oder Nachbereitung. Anschließen bleiben offene Kanülen, leere Spritzen und Abfall einfach dort liegen, wo man sie hingeworfen hat. Vor zwei Tagen hätte ich mich beinahe an einer achtlos weggelegten Nadel gestochen.
Die kurze Geschichte von Lumokol
Ein weiteres Problem ist die hohe Sterblichkeit der Kinder. In meiner fünften Woche in Afrika kam während der Visite Unruhe auf. Der kleine Patient, Lumokol, sechs Jahre, sah aus wie drei Jahre, war abgemagert bis auf die Knochen und mehr tot als lebendig. Victor setzte eine Beatmungsmaske an, massierte die Brust und versuchte, den Schleim, der überall in dem Kind zu sein schien, abzuziehen. Die Beatmung kam nicht in der Lunge an, auch die Wiederbelebungsmaßnahmen von Dr. Byfa blieben erfolglos. Lumokol war tot! Ich war total geschockt, da stirbt ein Kind, weil es verschleimt ist und viel zu wenig ernährt, weil es keine Kraft hat zum Überleben. Für die Mitarbeiter und Ärzte ist das Alltag, auch die Mutter des Kindes war erstaunlich gefasst. Victor erzählte mir Unglaubliches: Lumokol war in der Nacht aus dem staatlichen Krankenhaus in Moroto (einer großen Distrikt-Stadt etwa vierzig Kilometer entfernt) gekommen. Dieses Krankenhaus zahlt seinen Doktoren sehr wenig Geld, demzufolge werden die Patienten ganz selten oder gar nicht behandelt. Nur wer Geld hat und den Arzt zusätzlich bezahlt, wird auch behandelt. Lumokol war schon EINE Woche dort. Im letzten Moment dann in einer Stunde Autofahrt nach Matany gebracht, stirbt das Kind wenige Stunden später.
Dienstags-Supper in der Parish
Freud und Leid wechseln sich hier schnell ab. Die Abende in der Mission sind immer sehr amüsant, Bruder Orlindo, Pater Marco, Pater John Bosco und Bruder Günther heißen uns sehr herzlich willkommen und freuen sich, den Abend mit uns zu verbringen. Fr. Bosco erzählte eines Abends Geschichten aus dem Busch, die mich fast hätten umfallen lassen vor Lachen. Beispielsweise die, dass er in einer Gemeinde ein Fahrrad bekam und fragte wofür, dann meinten die Bewohner, dass sie hier keine Toiletten haben und er möglichst weit weg fahren kann, um sein Geschäft zu verrichten.
Meine ersten Erfahrungen mit ugandischem Mehl
Da ich gern backe, aber nur vormittags Gelegenheit habe, wenn das Feuer im Ofen brennt, habe ich mich eines Tages entschlossen, ein paar Doughnuts im Öl auf dem Gasherd zu braten. Der Teig wollte einfach nicht gehen. Nachdem ein paar verbrannte Krümelstückchen das Ergebnis waren, begann ich zu grübeln. Irgendwann fiel Peter dann auf, dass ich das Maismehl gemixt mit dem Mehl der Cassava-Wurzel genommen habe. Wie peinlich. Ich habe mich kurz gewundert, warum das Mehl so dunkel ist, gibt es hier doch nur helles Mehl.
Sonntagsstimmung und Gebetszeiten
Ich liebe die Sonntage: man kann länger schlafen, den ganzen Tag hört man Chorgesang aus der Kirche, ich kann zur Gitarrengruppe gehen, eine Spaziergang machen, ins Dorf fahren oder Mittagsschlaf machen, mit den Eltern telefonieren, mit den Kindern spielen oder im Internet surfen.
Den englischen Gottesdienst muss man erlebt haben. Zunächst sieht man keine vorwiegend grauen Köpfe, vielmehr junge Menschen zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren. Bei nahezu jedem Lied mit Trommel und Rassel werden die Hüften bewegt und die Hände geklatscht. Es macht unglaublichen Spaß. Zu den Fürbitten kann jeder nach vorn kommen und eine Bitte vortragen. Die Predigt ist manchmal eher ein Quiz, denn Pater Bosco steht mit Mikrofon vorn in der Mitte und stellt Fragen, nimmt die Gemeinde mit in seine Welt der Verkündigung des Evangeliums. Die Messe geht etwa zwei Stunden und wird in keiner Minute langweilig. Mal singt unser Chor der Krankenpflegeschule, dann der Chor der Comboni-Sekundarschule. An Festen gibt es eine Tanzgruppe mit etwa zwanzig Kindern im Alter von drei bis zehn Jahren, die mit bunten Bändern und Röcken, Schellen an den Beinen und manchmal wunderschönen Tierfellen um die Hüften zum Rhythmus der Musik tanzen. Die Gaben und der Altarschmuck werden immer in einer Prozession nach vorn gebracht. Wir feiern oft und gern mit viel Weihrauch und Weihwasser. Die Vermeldungen am Ende der Messe geben die wichtigsten Termine der nächsten Woche bekannt, wer von den Doktoren und Freiwilligen kommt und geht und Meldungen aus der Regierung. Zum Friedensgruß wird Beifall geklatscht und jeder gibt jedem die Hand.
In der zweiten Messe soll es noch viel mehr Kinder geben, dazu viel mehr und längere Gesänge. Deshalb geht sie auch mindestens zweieinhalb bis drei Stunden. Eine Art Kindergottesdienst wird momentan in der großen Gemeindehalle probiert.
St. Daniel Comboni Fest 2012
Der erste Sonntag im Oktober tat mir gut, denn Br. Günther gestaltete ein Abendgebet mit einem schönen Impuls zur Arbeit von Daniel Comboni gegen die Sklaverei. Bibelstelle war der barmherzige Samariter. Auch am Montag und Dienstag hatten wir solche Gebetszeiten, als Einstimmung auf das Combonifest, welches wir am 10. Oktober feierten. Alle Combonis aus Moroto, Kangole und Naurolem waren hier. Nach einem wunderschönen Gottesdienst mit den Students und Mitarbeitern im Krankenhaus gab es reichlich Abendessen in der Gemeinde. Es wurde ein lustiger Abend, an dem mich alle willkommen geheißen haben.
50 Jahre Unabhängigkeit in Uganda
Auch den Unabhängigkeitstag am 9. Oktober, haben wir nicht vergessen. Peter, Martin und ich planten, an diesem freien Tag nach Kangole zu fahren, ein Dorf etwa zwölf Kilometer von Matany, um die Combonis dort zu grüßen und Martin verabschieden zu lassen. Bei wunderschönem Sonnenschein fuhren wir in mein erstes afrikanisches Dorf seit meiner Ankunft. Kangole ist größer und älter als Matany, eher eine kleine Stadt mit festen Häuschen. Die Gemeinde ist riesig und besteht aus einer Vielzahl von Schulen, einem großen Gemeindezentrum und natürlich der Kirche. Wir aßen mit Fr. Mauro aus Italien und Diakon Benjamin aus Mexiko ausgiebig und lange. Nachdem wir am Nachmittag wieder in Matany waren, gab es von den Students eine spontane Einladung, zum Tanzen zu kommen. Bei moderner, meist afrikanischer Musik tanzten die Students ausgelassen und genossen den Augenblick, bis um halb elf die Kabel heißliefen und vorzeitig abgebrochen werden musste.
Polio-Impfung
Die beste Erfahrung, die ich bisher in Karamoja gemacht habe, war die Chance, am 20. und 22. Oktober mit Valentina zum Impfen in die Dörfer zu gehen. Am ersten Tag zogen wir mit einer Kühltasche und 15 Ampullen Polio-Impfstoff los. Die Regierung schreibt drei nationale Impftage vor, verteilt den Impfstoff an alle Krankenhäuser und kümmert sich mithilfe von freiwilligen Mitarbeitern, die ein Taschengeld bekommen, um die Verteilung. Man muss Papiere ausfüllen, das Haus markieren, den Kindern den Impfstoff auf die Zunge träufeln und den linken kleinen Finger mit Edding markieren, um sie nicht erneut zu impfen. Später kommt die Regierung zur Kontrolle. Insgesamt hundert kleine Knirpse konnte ich an diesem ersten Tag impfen. Aber es gab noch viele ältere Kinder es in den Dörfern.
Die einzelnen Höfe, also jeder Bereich einer Familie, sind sauber und aufgeräumt. Sie sind von dem nächsten durch einen Dornenbusch oder einen Holzzaun getrennt, die kleinen Eingänge in die Manyatas sind sehr eng und oft mit einem Dornenstrauch geschlossen. Es gibt Vorrichtungen für Getreide und Gemüse. Ausgehöhlte Kürbisse, die als Flaschen dienen, natürlich auch Geschirr aus Plastik und Tücher, hängen an den Wänden der Lagerhütten.
War ich drin, musste ich sofort Platz nehmen. Am zweiten Tag fuhren wir wieder in das Dorf, um die restlichen Knirpse zu impfen. Dabei kam ein Mann, der uns beide pries und Gott dankte, dass wir diese Arbeit machten. Dann haben die Kinder für mich getanzt und sich an einem Video gefreut, das ich von ihnen gemacht habe. Hier ist es friedlich, die Volksgruppen sind zufrieden mit dem, was sie haben. Ich weiß, dass ich hier wieder hinfahren werde! Den Weg zurück sind wir zu Fuß gegangen, eine gute Stunde durch afrikanisches Buschland. Man kann schön durch die Ebene laufen, es gibt überraschend viele Fußwege.
So geht ein ereignisreicher Monat zu Ende. Der Wind weht stärker, die Temperaturen haben sich bei 22-28° C festgesetzt, es regnet fast täglich. Die Samstagabende verbringen wir mit Binokel spielen. Ich habe eine zweite Gitarrengruppe eröffnet, beide machen schnelle Fortschritte und haben viel Spaß am Musizieren. Auf der Station wird übers Wichteln und die Weihnachtsparty gesprochen. Starten wir also in einen neuen Monat, Ihr im Winter-Deutschland, ich im Sommer-Uganda. Euch allen eine gute Zeit.
Maria