Wenn ich alle Zeitungsberichte, Internetseiten und sonstige Informationen über unsere hiesige Lage täglich lesen würde, wäre mehr als der halbe Tag dahin. Dabei ließe sich doch vieles, auf das Wesentliche bereinigt, in ein kleines Paket stopfen. Zugegebenermaßen enthielte dieses Päckchen eine Menge Sprengstoff. Dieser Sprengstoff wäre eine Bombe besonderer Art und würde zumindest einige Hintergründe ausleuchten wie unsere führenden Herren versuchen den jungen Staat des Südsudan in den Griff zu bekommen. Letzteres darf man wörtlich verstehen. Lassen Sie mich das mal näher erläutern:

Die Regierungsorgane sind angefüllt mit den teils kontroversen Ergebnissen der am 4. August 2012 abgeschlossenen Addis Abeba Verhandlungen. Es war nicht überraschend, dass man sich auf eine Wiederaufnahme der Erdölförderung einigen konnte. Ebenso die Öffnung der Grenzen zwischen beiden Staaten um den Warenaustausch wiederzubeleben. Dies gilt für Luft, Straßen und Wasserwege. Man hat sich auch über die sog. „four freedoms“ verständigt. Dabei handelt es sich um eine Bewegungsfreiheit für die Bürger beider Länder was Aufenthalt, Reisen, geschäftliche Aktivitäten und den Erwerb oder Verkauf von Eigentum betrifft. Das alles verbindet wirtschaftliche Interessen beider Staaten und war längst überfällig.

Das heikle Thema um das ölreiche Gebiet um Abiyei und sonstige umstrittene Grenzgebiete blieben ungelöst auf dem Tisch liegen. Der Südsudan wirft nun dem Chef-Unterhändler der Afrikanischen Union (AU), dem ehemaligen Präsidenten Südafrikas, Thabo Mbeki, vor, er habe sich nicht energisch gegenüber Khartum durchsetzen können. Solange es über den Grenzverlauf keine Einigung gibt, lauert im Hintergrund der Dämon des Krieges.

Trotz gebotener Vorsicht gegenüber einer vorschnellen Kritik glaube ich, dass der Südsudan dieses ganze Instrumentarium auch dazu benutzt, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Die Anfangseuphorie ist bei vielen verpufft und hat einer Enttäuschung Platz gemacht. Man ist über den Verlauf der Dinge seit der Unabhängigkeit nicht zufrieden. Die Macht ist in den Händen der Militärs SPLA/SPLM. Eine Karikatur in einer Tageszeitung drückt das treffend so aus: Der Präsident Salva Kiir fragt sich, wie man Nation und Zivilisation aufbauen sollte? Dabei hält er in der Linken einen dicken Ordner mit der Aufschrift „Strategische Planung“ und in der Rechten eine Peitsche.

Es sind oft die kleinen alltäglichen Begebenheiten die aufmerksam machen können. Heute gab beispielsweise „The Citizen“, eine führende und teils kritische Tageszeitung, bekannt, dass man innerhalb einer Woche die Produktion einstellen müsse. Grund ist die Weigerung der in Juba ansässigen kenianischen Handelsbank (Kenya Commercial Bank – KCB) 30.000 US-Dollars für den Einkauf notwendiger Papiermaterialien freizugeben. Die KCB steht unter Druck der südsudanesischen Zentralbank. Auch ist der Vertrieb ausländischer Zeitungen, besonders aus Kenia und Uganda, untersagt. Eine derartige Beschneidung der Pressefreiheit ist ein alarmierendes Signal. Man fragt sich auch, warum die einheimische Zentralbank trotz fortschreitender Inflation den Wechselkurs der einheimischen Währung zum US Dollar eingefroren hat? Auserwählte Kreise verdienen dabei eine Menge Geld, wenn sie die ausgelutschten Südsudanesischen Pfundnoten zum Vorzugskurs gegen harte Dollars eintauschen können.

Nun will der Finanzminister das ganze Steuersystem zentralisieren. Damit hat er sich erheblichen Ärger von einigen Gouverneuren (in etwa ein Posten zwischen Landrat und dem Ministerpräsidenten eines Bundeslands) eingehandelt. Die Regierung möchte die ganze Angelegenheit besser kontrollieren. Es wird befürchtet, dass auf regionaler Ebene zuviel verschwindet. Die Länderbosse kontern und werfen der Regierung vor, dass im Falle der Änderung der bestehenden Regelung das Ausmaß der Korruption zunehmen würde. Was soll man davon halten? Es hat den Anschein, man streitet darüber, wem nun vorrangig das Recht eingeräumt werden sollte, sich als erster die Taschen vollzustopfen.

Während sich die Elite am Wohlstand mästet, geraten weite Teile der Bevölkerung immer mehr unter massivem sozialen Druck. Und dazu gehört alles, was eine soziale Ungerechtigkeit nach sich zieht: Massenarbeitslosigkeit, steigende Kriminalität, Drogen, Alkohol, Prostitution, HIV/Aids, miserable Gesundheitsvorsorge, fehlende Trinkwasserversorgung, keine sanitäre Entsorgung, katastrophales Straßennetz und so anderes mehr. Nicht wenige sehen keinen Unterschied mehr zum totalitären System in Khartum und fragen sich, wofür man Jahrzehnte lang gekämpft und gelitten hat. Auch ich lasse meinem Frust freien Lauf. Ich habe seit 1987 den ganzen Schlamassel des Krieges mit angesehen.

Was wir hier vermissen ist eine auf die Zukunft ausgerichtete, halbwegs ehrliche und brauchbare Entwicklungsstrategie, die zumindest längerfristig Ergebnisse erwarten ließe. Leider kann man hier einen solchen visionären Ausblick nicht erkennen. Mir ist die komplexe Problematik bestens bekannt. Es gibt so viele Sprachen, Kulturen, Fehden zwischen ethnischen Gruppen, Vetternwirtschaft und ein niedriges Bildungsniveau.

Es wird wohl ein Traum oder Alptraum bleiben zu glauben, dass man einen gestandenen Viehhirten von heute auf morgen hinter eine Drehbank kriegt. Das erwartet hier auch keiner ernsthaft. Aber es muss eine Zielvorgabe her. Stattdessen sonnt sich hier eine Clique, der es um das Jetzt und nicht um die Zukunft des Landes geht. Der Südsudan könnte sich zum Brotkorb für andere afrikanische Länder entwickeln. Aber wer kurbelt die Landwirtschaft ernsthaft an?

In Liedern und Gebeten werden die Helden der Vergangenheit besungen. Ich aber denke, die wahren Helden dieses Landes warten noch auf ihren Auftritt. Es werden die sein, welche für die anderen die glühenden Kohlen aus dem Feuer holen. Jene Handvoll Narren und Verrückter, die Kopf und Kragen riskieren, um diesem Land eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Diese paar Leutchen, welche die hohle und schweigende Masse mit ihrem Sauerteig anständig durchkneten. Und glauben Sie mir, einige stehen schon in den Startlöchern.

Wir können nur beten und hoffen, dass eine Umwälzung friedlich verläuft. Dabei gilt meine Sorge weniger einer beherzten Opposition als vielmehr der Gewaltbereitschaft derer, die sich im Augenblick in den dicken Sesseln räkeln. Man kann es nun glauben oder nicht, es bleibt dabei, dass Gott der Herr der Geschichte ist. Wie und wann Er eingreift, muss man Ihm überlassen. Das stellt für uns Menschen von jeher ein bleibendes Rätsel dar. Aber das unterliegt seiner absoluten Souveränität. Wir glauben jedoch, dass Er es gut mit uns meint. Wenn also die Menschen hier jahrelang für ein Ende des Krieges gebetet haben, wäre es jetzt nötig, für eine menschengerechte Zukunft zu bitten.

Erzbischof Oscar Romero sagte einmal, dass man sich die Option für die Armen folgendermaßen vorstellen muss: Man steht vor einem brennenden Haus in der Menge und diskutiert mit anderen, ob alle gerettet seien. Dann kommt einer und sagt Dir, dass im Haus noch Deine Mutter und Deine Schwester sind. In diesem Moment verändert sich alles für Dich. Dein Reden verwandelt sich in Tun und Du bist bereit, alles aufs Spiel zu setzen um zu retten. In diesem brennenden Haus ist noch einer: Jesus, der Freund der Armen. Ich gestehe bei meinem ganzen Geschribsel, dass ich noch vor dem Haus stehe. Deshalb verneige ich mich tief vor all jenen, die durch ihr selbstloses Tun für Wahrheit und Gerechtigkeit in dieser Welt alles riskieren. Und diese sind eben jene Handvoll Narren und Verrückter, auf die auch der Südsudan sehnsüchtig wartet. Die wahren Helden oder besser, die wahren Heiligen. Und da Gott bekanntlich durch Menschen wirken will, sind diese wahren Propheten, die mit der Kraft von „oben“ ausgerüstet die Welt verändern.“

Bruder Hans-Dieter Ritterbecks