Liebe Freundinnen und Freunde!
Da ich Euch schon lange nicht mehr schreiben konnte, nutze ich diese Quarantänezeit, um Euch meine Grüße zu senden und ein frohes Osterfest zu wünschen. Möge dieses Ostern unsere Hoffnung angesichts der größten Herausforderung, vor der wir heute als Mensch stehen, stärken, die Covid-19-Pandemie, die keinen Unterschied zwischen Rassen, Nationen, Reichen oder Armen macht, zu bewältigen. Was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass es auch „andere“ Pandemien gibt, die täglich Menschenleben fordern, wie Gleichgültigkeit, Hunger, Korruption, Umweltverschmutzung, Gewalt, der unwürdige Umgang mit der Natur usw.
Wenn Ostern den „Schritt“ vom Tod zum Leben bedeutet, frage ich mich und Euch, welchen Schritt müssen wir tun? Welchen Schritt muss ich machen? Welchen Schritt müsste die Welt unternehmen, damit es Leben gibt, das Leben in Fülle, wie wir bei Joh 10,10 lesen? Diese Quarantäne bringt das Beste und das Schlimmste in jedem von uns und so auch in der Gesellschaft hervor. Gehöre ich zu denen, die in dieser Osterzeit erkannt haben, dass ich den Schritt von der Verzweiflung zur Hoffnung machen kann? Von der Dunkelheit zum Licht? Von der Traurigkeit zur Freude? Von der Einsamkeit zum Miteinander? Von Intoleranz zu Geduld? Vom Hass zur Vergebung? Von Selbstsucht zu Solidarität? Von Gleichgültigkeit zu Verantwortung und von Undank zu Dankbarkeit? Möge Gott uns helfen, aus dieser Zeit der sozialen Isolation herauszukommen, uns zu verwandeln und zu stärken.
Ich verfolge die Nachrichten aus Italien, Österreich und Deutschland. Ich fühle viel Schmerz, besonders jenen gegenüber, die ihren Job verloren haben oder die um einen lieben Menschen trauern. Die Art und Weise, wie unter diesen Umständen die Verabschiedung eines geliebten Menschen stattfindet, ohne die Möglichkeit zu haben, seinen Kummer entsprechend zu leben, ist sehr traurig. Ich fühle mich mit Euch verbunden, spreche Euch meine Solidarität aus und bete für Euch.
Wir in Peru leben auch unsere Quarantäne und die angeordnete soziale Isolation. Unsere Regierung, die sich der prekären Situation unseres Gesundheitssystems bewusst ist, hat von Anfang an radikale Entscheidungen getroffen. Wir sind bereits fast einen Monat in Quarantäne, seit dem 16. März wurden die Maßnahmen verschärft, um den „Ausnahmezustand“ auf nationaler Ebene zu beschließen, einschließlich der Ausgangssperre ab 18.00 Uhr. Mit einem Haftbefehl für diejenigen, die diese Maßnahmen nicht einhalten. Alle Grenzen sind geschlossen und damit der Luft, Land- und Flussverkehr, einschließlich der Einstellung des Inlandverkehrs. Niemand kann zur Arbeit gehen oder jemanden besuchen, außer um Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen. Alle Schulen und Kirchen sind wie in vielen Teilen der Erde geschlossen. Peru ist seit einem Monat wie gelähmt.
Wir brauchen eine Strategie, die unserer Realität entspricht, sonst wird es Menschen geben,
die nicht am Virus sterben, sondern am Hunger!
Die große Sorge, die wir haben, ist, dass wir viele verzweifelte und hungrige Menschen haben. In Peru leben 72% der Bevölkerung von einem Tag auf den anderen. Wenn sie heute arbeiten, essen sie, wenn sie nicht arbeiten, essen sie nicht. Hinzu kommen fünf Millionen Peruaner, die keinen Zugang zu Trinkwasser haben, eine halbe Million von ihnen lebt in Lima. In unserer Gemeinde gibt es mehrere junge Viertel ohne Wasser oder Abwasser. Wie können sich die Leute vor dieser Pandemie schützen, wenn Hygiene unerlässlich ist? Hinzu kommt, dass viele Familien in einfachsten Häusern zusammengedrängt leben, in denen sich oft mehrere Personen ein Zimmer teilen. Als ob das nicht genug wäre, haben wir eine Million venezolanische Flüchtlinge, die jeden Tag etwas auf der Straße verkaufen, um zu überleben. So gut und radikal die Entscheidungen der Regierung um unsere Gesundheit sind, so schwer ist es für die Menschen, die keinen Zugang zu menschenwürdigem Lebensstil haben. Ich denke, wir brauchen für die kommende Zeit eine Strategie, die unserer Realität entspricht, sonst wird es Menschen geben, die nicht am Virus sterben, sondern am Hunger! Oft entwickelt sich durch diese Armut und aus Ohnmacht, nichts tun zu können, familiäre Gewalt.
Abschließend möchte ich Euch daran erinnern, dass Gottes Verheißung 365 Mal in der Heiligen Schrift erscheint: „Hab keine Angst. Ich bin bei dir.“ Es ist kein Zufall, dass Gott sein Versprechen der Nähe und Liebe jeden Tag im Jahr wiederholt. In dieser Karwoche haben wir biblische Texte vom Ursprung der Schöpfung gelesen und wie Gott im Leben seines Volkes und insbesondere in den schwierigsten Zeiten immer präsent war. Wenn Gott immer mit seinem Volk zusammen war, habe ich keinen Zweifel daran, dass Gott auch in diesen herausfordernden Momenten unserer Geschichte gegenwärtig ist, mit seinem Volk wandelt und mit denen leidet, die am meisten leiden. Möge diese Zeit der Krise uns helfen, unser Handeln, unsere Werte und Prioritäten zu überprüfen, um sie mit dem Traum und Plan Gottes in Einklang zu bringen, der ihn von Anfang an hatte und von dem wir abgekommen sind, indem wir arrogant gehandelt haben und uns sicher gefühlt haben. Wir müssen unseren Zustand und unsere Rolle als Geschöpfe vor Gott wieder aufnehmen!
Liebe Freundinnen und Freunde – was auch immer passiert, wir sind in guten Händen, weil wir in Gottes Händen sind. Mir geht es gut. Ein Großteil meiner Zeit verbringe ich damit, vielen Menschen am Telefon zuzuhören, die es schwer haben. Darüber hinaus senden wir die liturgischen Feierlichkeiten unserer Gemeinde über Facebook (parroquia cristo misionero del padre). Auf diese Weise erreichen wir viele Familien in unserer Gemeinde und alle, die mit uns verbunden sein wollen. Darüber hinaus helfen wir seit fast zwei Wochen den Ärmsten mit einem Essenspaket. Wir hatten vor der Corona-Krise fünf Pfarrkantinen und viele extrem arme Menschen, die von ihnen abhängig waren, neben einer Reihe von sozialen Projekten, um den Ärmsten zu helfen. Jetzt mussten wir alle diese Zentren schließen. Mit einer kleinen Gruppe von Freiwilligen und unter Berücksichtigung aller möglichen Vorsichtsmaßnahmen, um uns selbst und andere zu schützen, erreichen wir mit ein wenig Hilfe viele Familien. Wir werden ihre Probleme nicht lösen, aber wir werden ihnen durch diese Hilfe sagen, dass sie nicht allein sind und dass wir gemeinsam diese Krise überstehen.
Es ist Zeit zu teilen! Passt aufeinander auf! Gott schützt uns und segnet jede und jeden von Euch und Eure Familien.
P. Juan Goicochea
Ein Porträt von Pater Juan Goicochea mit Einblicken in seine Arbeit in Lima finden Sie hier. Es wurde anlässlich seines Besuchs zur Adveniat-Aktion 2014 vom Bistum Eichstätt erstellt.