Liebe Freunde und Bekannte in der Heimat!
Der Panetone steht seit Wochen stapelweise in den Supermärkten und der „holde Knabe im lockingen Haar“ liegt auf den Geschenkpaketen. Die alte deutsche Platte kratzt zwar auch schon, aber sie geht immer noch mehr ans Herz als einheimische Weihnachtsmusik. Es wird eingekauft mehr als der Geldbeutel hergibt. Aus den Lautsprechern dröhnt, dass es alles auf Raten gibt und dass die erste Rate erst im April zu bezahlen sei.
Und ich, knorriger, ergrauter Missionar verstehe das immer noch nicht und wehre mich energisch gegen all diesen Kram, der im Höchstfall für den Augenblick glücklich macht. Sobald im April die erste Rate ins Haus flattert, ist sie bereits gekoppelt mit der Faschingsrate und Ostern stellt ebenfalls seine Ansprüche. Der Rummel um den Gewinn hat alles überspielt und in den Hauskassen ist es schwarz!
Ich bin froh dass das Jahr zu Ende geht
Es war alles andere als einfach, aber interessant und lehrreich. Ein Kirchengebäude 20 x 30 zu bauen, mit fast ausschließlich unkompetenten Handwerkern, war wahrlich kein Spaß. Wo das Geld herkam, wundere ich mich selber. Die Pfarrei hatte ganze 38.000 Reais, was ca. 10% der Baukosten ausmachte. Verlosungen, Versteigerungen, kleinere und größere Volksfeste, brachten weitere 20%. Der Rest kam aus Europa, hauptsächlich aus Spanien, sowie knappe 10% von Adveniat. Die Kirche steht und fasst ca. 1000 Leute. Viele Elemente sprechen in die Realität der Region und Urwaldzerstörung hinein und mahnen stark zum Einhalt. Eine große Herausforderung war die Fertigstellung. Handwerker, die in Holzhäusern wohnen, weder ein Glasfenster, noch einen Plattenboden oder einen Wandanstrich haben, taten sich schwer mit all dem umzugehen. Wir haben bewusst nur mit Leuten von hier gearbeitet. Zum guten Schluß sind wir alle stolz, dass uns so ein Werk gelungen ist. Der Bischof meinte bei der Einweihung, es sei die schönste Kirche der Diözese.
Was mir trotzdem zu schaffen macht
Es ist die Tatsache, dass nach einem vollen Jahr regelmäßig bezahlter Arbeit, zum guten Schluß keine zwei Arbeiter einen Groschen in der Tasche haben, auch nicht der Bauunternehmer. Es wurde auf das Wochenende hingearbeitet, jeden zweiten Freitag war Zahltag und dann dauerte es oft bis Mittwoch, bis die ganze Mannschaft wieder einigermaßen ausgenüchtert auf der Baustelle war. Erschreckt hat mich auch, wie unkompetent die allermeisten Handwerker sind und wie wenig Interesse sie für eine Weiterbildung zeigten. Lehrreich war auch, dass es praktisch keine Freiwilligen gab, obwohl soviele nicht wissen wie den Tag verbringen. Ohne Bezahlung geht auch hier nichts mehr.
Ob es Sinn macht, heutzutage noch Kirchen zu bauen
Auch diese Frage stand an. Die Antwort gibt die nun große, volle Kirche von selbst, dazu in der Mehrzahl Jugendliche!. Die katholische Kirche verliert jährlich etwa 1% ihrer Mitglieder. Diese tauchen aber in anderen Kirchen wieder auf, wechseln auch diese, bis sie schließlich irgendwo für längere Zeit zur Ruhe kommen. Auch die kirchlichen Gewohnheiten sind andere. Weihnachten oder Ostern zählen nicht zu den Hauptfesten, wie etwa das Fest des Kirchenpartons des hl, Antonius. Da kommen Tausende auch von auswärts. Der aus Itupiranga stammende Abgeordnete geht jedes Jahr barfuß bei der Prozession mit und hilft den Heiligen mittragen. Die Leute sind beeindruckt, auch wenn dies mehr oder weniger seine einzige kirchliche Aktion ist, denn ab da sieht man ihn nicht mehr in der Kirche. Am „Cirio“ dem großen Marienfest, gibt es ebenfalls eine riesige Prozession, bei welcher das Fahrgestell eines alten Volkswagens als Prozessionswagen umgbaut, von den Leuten durch die Stadt gezogen wird. Hoch oben auf dem Wagen thront inmitten von einem Meer von Plastikblumen die kleine Madonna. Die Leute ziehen den Wagen an einem langen Strick. Wer immer hinkommt, zieht ein stückweit mit. Es ist vieles anders hier, aber ohne Glaube und Kirche kommen Durchschnitts-Brasiianer nicht aus. Auch redet man hier viel offener über Glaubensfragen und Inhalte der Bibel. Eine abgegriffene Bibel sieht man hier am Bankschalter, auf den Verkaufstischen der Geschäfte, beim Friseur und auch in Bar´s.
Und der fromme Gockel im Pfarrrhaus musste sterben
Es ist wahr: wir hatten einen Gockel, der so lange Haxen hatte, dass er nur kniend fressen konnte. Die Leute sagen, es sei eine indische Rasse. Soviel Frömmigkeit war selbst im Pfarrhaus nicht angesagt. Also hat ihn unsere Hausfrau in den Kochtopf befördert. An seinen langen Stelzen hat sich jedoch nur die Katze gefreut. Ansonsten gab es das Jahr über einige seltene Besuche in unserem Hofraum: ein Ameisenbär, ein Faultier und mehrere Chamäleons. Über keinen der Besucher waren die Hennen erfreut. Aber auch ein Dieb hat uns eines nachts heimgesucht und alle Hennen samt Gockel mitgenommen. Der fast drei Meter hohe Zaun samt Mauer waren für ihn kein Hindernis.
Den Mund wässrig machen
könnte ich mit vielen Früchten, die in unserem Hofraum wachsen. Ein Mamaobaum (Papaia in Afrika) hatte sicher an die Hundert Kilo Früchte. An den Bananen haben sich die Nachbarn bedient. Alles was in Zaunnähe gedeiht, wechselt schnell den Besitzer. Die Bananen musste ich allerdings einzäunen, die Hühner hätten sie ausgerottet. Dann gibt es viele Acerola, eine kirschengroße Frucht mit sehr viel Vitamin C. Manjok und Maracuja (in Europa bekannt als Passionsblume) gedeihen leicht und reichlich. Ein großer Mangobaum der Nachbarn reicht weit in unseren Hofraum herein und bedient uns reichlich. Ein Zitronenbaum trägt Früchte so groß wie Orangen. Aber auch mit Ratten und Fledermäusen haben wir unsere Arbeit und noch mehr mit den Moskitos.
Warum schreibe ich das
Es sind inmitten dieser rauhen Welt, schlicht und einfach kleine Dinge, die mir und auch meinen beiden Kollegen Freude machen. Es ist ja schrecklich genug, was uns die Medien jeden Tag ins Haus liefern. Die Zeitung hat täglich vier Seiten mit Banditen und Raubmördern, fast ausschließlich Jugendliche. Jugendiche, welchen man sowas niemals zutrauen würde. Auch die Ermordeten, in Schnitt mehr als einer pro Woche, sind in der Mehrzahl Jugendliche. Und so kommt es, dass wir heute niemanden mehr trauen können. Es gibt Vieles, was mürbe macht. Aber es gibt auch die kleinen Freuden oft ganz nahe.
Noch etwas zur „Lage der Nation“
Allein die große Bautätigkeit in fast allen Stadtteilen und Straßen lässt darauf schließen, dass sich etwas verändert hat. Es gibt auch weniger Hunger, sei es in der Stadt, wie auch auf dem Land, was nicht heisst, dass es keine Armen mehr gibt, im Gegenteil. Ob es mehr oder weniger Korruptionsskandale gibt, lässt sich von außen nicht beurteilen. Es kommen jetzt mehr an die Öffentlichkeit. Von den Abgeordneten sind ca. 75% in einen Skandal verwickelt. Gewalt und Brutalität nehmen unübersehbar zu, sei es in der Stadt, wie auch auf dem Land. Bei uns ist eines der größten Übel die Droge. Vorhaben wie Biodiesel und Atomkraftwerke lassen wenig Gutes erahnen. Der Biodiesel wird vermutlich die Soja etwas verdrängen, aber Abholzung und Umweltzerstörung gehen weiter, ebenso die Verdrängung der angesiedelten Bevölkerung. Wissenschaftler behaupten dass in ca. 25 Jahren die Hälfte des Amazonas zerstört sein wird. Auch die Sklavenarbeit geht weiter, obwohl jetzt wesentlich mehr Betriebe zur Rechenschaft gezogen werden. Präsident Lula genießt ziemlich hohes Ansehen. Die Warteschlangen bei Post, Banken und Krankenhäusern sind aber trotz Lula leider nicht kürzer geworden. Es ist schon bezeichnend was in diesen Tagen in der Zeitung stand: „Erzgewinnung und Armut wachsen gemeinsam“. Dies zieht sich vor allem durch die gesamte, globalisierte Agrarfront.
Es folgt mein Dank an alle die mithalfen, vor allem für die Schule in Balsas, für Straßenkinder, sowie auch für unseren Kirchbau. Die Schule in Balsas wird noch länger das Sorgenkind bleiben. Eine Unterstützung mit 15 bis 20 Tausend Euro lässt sie überleben. Es gab ein Treffen mit einem Regierungsvertreter und Vertretern dieses Schultyps. Ich hoffe auf einen kleinen Erfolg. Nur mit Geld aus dem Ausland lässt sich keine Schule erhalten und soll auch nicht so sein.
Von Januar bis Mai werde ich an einem Erneuerungskurs in Rom teilnehmen. Helf was helfen mag! Kalk und Staub gibt es bereits genug, da und dort fehlt auch die Schmiere! Gleichzeitig bin ich dabei mein „Hab und Gut“ wieder einmal auf 25 Kilo zusammen zu stutzen. Meine Zeit wird hier bald zu Ende gehen, da sich die Combonis aus Iturpiranga zurückziehen werden. Itupiranga hat jetzt alle nötigen Strukturen und Voraussetzungen, um einen einheimischen Pfarrer zu unterhalten. Das ist in der Regel das Signal, dass Combonis sich wieder auf eine ärmere Situation einlassen. Wohin es gehen wird, weiß ich nicht, Heilsam ist es allemal, sich von Zeit zu Zeit von vielem Kram zu lösen und nur soviel zu besitzen, was man im Fluggepäck mitnehmen kann. Ganz liebe Grüße Euch allen!
Br. Bruno Haspinger