Liebe Freunde, Verwandte und Interessierte!
Der Abstand zum letzten Rundbrief ist ungewöhnlich groß, aber der vorgezogene Urlaub wegen des nahenden Todes meines Vaters hat den Rhythmus „verrückt“. Nochmals möchte ich ausdrücken, wie dankbar ich bin, dass ich die letzte Lebenswoche in der Nähe meines Vaters, meiner Familie und Freunde sein konnte und dieses wie einen Schatz bewahre…Schon sind mehr als drei Monate vergangen, seit ich aus Deutschland zurück bin und es wird höchste Zeit, Euch wieder an unserem Leben und Arbeiten hier teilhaben zu lassen. Ich hoffe, dass Sie/Ihr wunderschöne Ferien hattet bzw. noch haben werdet und mit neuer Motivation und Kraft in den Alltag zurückkehren könnt.
Hier hatten die Kinder im Juli Ferien, deshalb hat die Katechese pausiert und in der Pastoral do Menor haben wir in jedem Projekt einen Ausflug unternommen. In diesem Jahr ging es nicht an den Strand (zu riskant), sondern in verschiedene Freizeitclubs mit Schwimmbecken, wo wir mit einigen Mühen und Bittgesuchen den Eintritt frei bekamen und somit nur die Busfahrt bezahlen mussten. Es ist immer wieder faszinierend für mich, wie die Kinder nach der ersten halben Stunde aufblühen, der Streit verebbt und sie es einfach nur genießen, zu spielen und zu baden. Das bewirkt zehnmal mehr als 10 Nachmittage Theorie über gewaltfreies Miteinander. Ein Glück, dass diese drei Tage auch mit Eurer Hilfe möglich waren.
Ich hatte Euch berichtet, dass unser Verein endlich lokale Projekte in eigener Trägerschaft beantragen kann. In diesem Jahr sind drei eigene Projekte am Laufen und drei in Zusammenarbeit mit anderen Trägern. Während für die Kinder (ca. 400) ganzheitliche Bildungsangebote (Sport, Kreativität, Persönlichkeit, politisches Bewusstsein, Ethik, Spiritualität) im Vordergrund stehen, geht es bei den Jugendlichen (ca. 75) Richtung Berufsgrundlagen sowie Bildung/Engagement für Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Frieden und bei den Familien (ca. 300) um Bildung über Entwicklung, Erziehung, Drogen, Konfliktbewältigung… und einkommenschaffende Maßnahmen (ca. 15).
Ein neues Angebot in diesem Jahr ist die Gemeinschaftstheraphie. Zwei Erzieherinnen haben über das Kinder-Netzwerk die Ausbildung zur Therapeutin absolviert und bereichern damit unsere Elternarbeit.
Ein harter Brocken momentan ist die Umstrukturierung des PETI (Programm gegen Kinderarbeit) durch das Jugend- und Sozialamt. Unsere Mitarbeiter wurden „gesiebt“, die Anzahl verringert und praktisch in Angestellte der Stadt verwandelt. Das schränkt unsere Autonomie als Träger erheblich ein und macht es fast unmöglich, unser Profil als Sozialpastoral zu wahren. Wir versuchen uns zu wehren – wenn es gar nicht geht, müssen wir vielleicht aus diesem Projekt aussteigen und neue Wege suchen…
Die Nähgruppe der Frauen arbeitet nach wie vor, ist aber noch nicht wirklich auf eigene Füße gekommen. Während die Projekte auf Hochtouren laufen, sind wir schon wieder bei den Anträgen für 2009. Möglichkeiten gibt es viele, die Bewilligung gleicht dem Glückspiel.
Was mich persönlich immer wieder beschäftigt ist die Situation Einzelner: Kelton (15 Jahre) vom PETI, der wegen Morddrohung nicht zum Projekt kommen kann; Maicon (15 Jahre) vom PETI, der an einem bewaffneten Raubüberfall beteiligt war und zunehmend in diese Richtung abgleitet; Janaina (21 Jahre), aidskrank, psychisch krank, lebt auf der Straße – schafft das aber von ihrem Gesamtzustand nicht mehr; Rayane (15 Jahre), die in den nächsten Tagen ihr erstes Baby bekommen wird (ihre 17-jährige Schwester Rayara hat bereits zwei Kinder); Alan (14 Jahre), seit zwei Jahren ohne Schulplatz, wegen seiner Aggressivität will ihn kein Direktor aufnehmen; Claudio (22 Jahre, 2 Kinder, ehemals PETI) der einen unserer Jugendlichen überfallen hat, anschließend die Beute an uns verkaufen wollte und inzwischen im Gefängnis sitzt,… Ohne den Glauben, dass für Gott nichts unmöglich ist und jeder Mensch sein geliebtes Kind ist, wäre es manchmal nicht auszuhalten…
In der Katechese versuchen wir, mit wöchentlichen Treffen neue Katecheten zu befähigen und künftige Leiter heranzubilden. Einige Basisgemeinden ziehen gut mit, andere haben total abgehängt. Bei den vielen „Spontaneitäten“ dauert es manchmal Monate, um eine bestimmte Gruppe anzutreffen: mal regnet es wie aus Kannen, dann ist der Raum belegt, der Katechet verhindert, Kirchweihfest, ich selbst anderweitig eingebunden… und alles nur am Wochenende. Dennoch dürfen wir einige Halme wachsen sehen und einige Jugendliche erfreuen einem direkt das Herz mit ihrem Eifer, Interesse und ihrer Verantwortung. Im September wollen wir in „meiner“ Basisgemeinde mit den 8 Katechesegruppen einen Gottesdienst für die Gemeinde gestalten. Darin sollen die Ergebnisse der Arbeit über den Apostel Paulus einfließen und möglichst alle Kinder/Jugendlichen aktiv mitwirken.
Die parallele Kinderkatechese im Sonntagsgottesdienst ist inzwischen eingespielt. Zwei Teams wechseln sich ab, zwischen 30 und 50 Kinder nehmen teil. Ob die Erwachsenen bzw. der Gemeinderat dem allerdings Wert beimessen, ist dem Team nicht ganz klar.
Zum Thema Gewalt möchte ich diesmal nicht viel schreiben; außer, dass sie trotz vieler Bemühungen und Initiativen wächst. Die Problematik ist (zu) komplex. Nächstes Wochenende kann ich am zweiten Modul einer „Schule der Versöhnung“ teilnehmen, die versucht, Multiplikatoren für Versöhnung auszubilden. Bescheidene und doch sehr wertvolle Schritte.
Seit Mitte Juli die Wahlpropaganda freigegeben wurde, rollen unentwegt Lautsprecherautos durch die Wohnviertel, um für die Kandidaten zum Stadtparlament bzw. den Bürgermeisterposten zu werben. Es wird alles versprochen, was man sich nur vorstellen kann und tausende Arbeitslose verdienen ein paar Groschen, indem sie Fahnen schwenken, Werbezettel verteilen, ihre Hauswände bemalen,… Am Samstagabend hatte die Pfarrei eine Debatte mit Kandidaten organisiert: allein aus unserem Pfarrgebiet bewerben sich 22 Kandidaten! Deshalb wird auch, wie immer, nicht einer gewählt werden und die alteingesessenen Familien behalten das Zepter in der Hand. Es ist zum Heulen, dass das politische Bewusstsein der Mehrheit nicht über den eigenen Tellerrand hinausreicht: wer mir ein Almosen zuspielt, hat meine Stimme sicher und die meiner Familie natürlich auch. Ein kleiner Lichtblick ist eine Gesetzesinitiative gegen Kandidaten, die in Korruption verwickelt sind; doch ob die nötigen Unterschriften zusammen kommen, ist fraglich.
Momentan bin ich „braun wie ein Neger“, da würdet Ihr vor Neid erblassen! Dank des Besuches meiner Schwester Monika und Ihres Mannes sowie der Projektausflüge hat meine Haut reichlich Sonne getankt und die Seele auch. Nach ihrer Abreise bin ich umgezogen, das heißt, aus dem Vorder- ins Hinterhaus. Habe jetzt ein Riesenzimmer (im Verhältnis zu vorher), mehr Rückzugsmöglichkeit und schlafe nachts bei offenem Fenster (von Monika abgekuckt; herrlich luftig und wohl nicht zu riskant).
Pia hat ihren Einsatz beendet und arbeitet wieder in Österreich; dafür haben wir in Maria do Carmo eine brasilianische Mitbewohnerin, mit der es eine Freude ist, zusammen zu wohnen.
Ein weiterer Mitbewohner ist Liebling, das neue Kätzchen, das diesmal hoffentlich länger bei uns aushält. Es ist sehr lebendig, beißt schon ganz ordentlich und bezaubert trotzdem alle Besucher.
Elisângela und Adelvano sind im Countdown der Hochzeitsvorbereitungen (12. September). Das ist manchmal recht anstrengend, zumal die beiden Choleriker und die Meinungen oft genug gegensätzlich sind. Da kam das neue Zimmer für mich genau zur rechten Zeit!
Eine persönliche Freude war die Taufe von Carlos (Nachbarsjunge) am 27.Juli. Er begleitet mich treu zu den Gottesdiensten der Basisgemeinde und nimmt seit zwei Jahren an der Katechese teil. Seine Familie unterstützt ihn leider kaum in dieser Richtung, aber immerhin waren sie zu den nötigen Vorbereitungsabenden anwesend.
Unsere neueste Errungenschaft ist ein besserer Internetzugang im Haus, der Dank Franks (Schwager) Hilfe auch bestens funktioniert. Kann also jetzt unkomplizierter auf E-Mails antworten, über die ich mich immer freue!
Gemeinsam mit den Comboni-Patres halten wir weiterhin wöchentlich Hausgottesdienst und Morgengebet, was Kraft und Miteinander erneuert. So langsam laufen die Vorbereitungen auf das Weltsozialforum in Belem warm, wo ich über die Comboni-Missionare eingebunden bin. Das finde ich eine spannende Aufgabe, die den Horizont erheblich erweitert und echt herausfordert.
Zum Abschied möchte ich Euch von Herzen danken für alle Freundschaft, Hilfe, Verbundenheit, Interesse, begleitendes Gebet und finanzielle Unterstützung, die mir persönlich und unserer Arbeit weiterhin geschenkt wurden! Gottes Nähe und Geleit für jeden und jede!
In herzlicher Verbundenheit,
Ihre/Eure
Barbara