Die Regenzeitwar dieses Jahr (2009) heftig. Selbst altgediente Patres meinen, dergleichen noch nicht erlebt zu haben. Es gab besonders im Nordosten Brasiliens arge Überschwemmungen und Erdrutsche, welche besonders diejenigen betreffen, die ihre Häuser in gefährdeten Zonen bauen (müssen). Der Konzern Vale hat vor 20 Jahren Menschen in abgeholztes Gebiet umgesiedelt und dabei den Untergrund so schlecht verdichtet, dass er jetzt 2 Meter in sich zusammengesackt ist. Die lokale Solidarität ist groß, aber die gerechte und sinnvolle Verteilung nicht einfach. Die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen erst recht nicht.

Die Comboni-Missionare unterstützen mit Jurastudenten der Universität die Organisation und den Kampf des Wohnviertels gegen den Konzern. Obwohl David gegen Goliath steht, ist es herzerfrischend, die Kraft der einfachen Leute zu erleben, ihr Selbstbewusstsein und den Mut, dem Mächtigen die Dinge ins Gesicht zu sagen. Das ist nicht alltäglich!

In der Pastoral do Menor ist 2009 ein besonders hartes Jahr, weil wir zwar 3 Projekte bewilligt bekommen haben, aber bis jetzt noch für keines der Kooperationsvertrag unterschrieben ist und damit kein Groschen (Centavo) fließt. Das Schwierige ist, dass man ohne Vertrag zwar mit dem Geld rechnen kann, aber nicht weiß wann und ab wann. Außerdem darf man vorher nichts ausgeben: keine Gehälter und Lohnsteuer zahlen, keine Lebensmittel kaufen, kein Material – eben nichts. Wenn man aber zum Beispiel keine Lohnsteuer zahlt, werden die Dokumente der Organisation nicht freigegeben, was wiederum heißt, dass der Vertrag nicht unterschrieben werden kann… So hangeln wir uns seit März durchs Jahr, die Projekte laufen Dank der Spendengelder voll weiter, aber das „Borgen“ wird immer komplizierter und jetzt, Ende Juli ist das Limit wirklich erreicht: Wir werden vermutlich die Projekte lahm legen und Proteste organisieren. Die Situation trifft nicht nur uns, alle NGO’s (Nicht Regierungsorganisationen) sind betroffen und das sind ne Menge.

Eine große Freude war die Geburt von 3 Pastoral-Kindern: Rachel schenkte einem João das Leben, Joyce einem Luca und Auricélia einer Bianca. Damit die drei allerdings in den Genuss des Mutterschutzes kommen können, habe ich nicht nur etliche graue Haare investiert.

In den letzten zwei Monaten wurden in unserem Wohnviertel wieder etliche junge Menschen umgebracht. Angesichts der nicht endenden Spirale von Drogen, Diebstahl, Raub, Überfällen, Morden, Racheakten,… fragen wir uns immer wieder, wo man ansetzen könnte, um denen (noch) zu helfen, die da schon mitten drin sind? Es scheint aussichtslos und macht besonders unruhig, da etliche von der Pastoral begleitet worden, die Kurve aber nicht gekriegt haben. Es bräuchte ein komplexes System von Faktoren, um was bewegen zu können – wo anfangen? Momentan sind wir erfolgreicher im präventiven Bereich, versuchen zu verhindern, dass Kinder und Jugendlichen bis dahin abgleiten. Das ist schwer genug, aber nicht ausreichend. Alan und Gilmar (siehe letzter Rundbrief) bleiben weiterhin Sorgenkinder, doch wenigstens zur Schule gehen sie einigermaßen regelmäßig. Für Kleyton (19) haben wir als Art „Pilotprojekt“ einen Berufsgrundkurs zum Elektriker bezahlt. Er hat sich ins Zeug gelegt und war so begeistert, dass er Feuer und Flamme ist, auch den Aufbaukurs zu absolvieren. Noch ist nicht sicher, ob er den Platz bekommen wird, doch wenn, hat er gute Chancen für einen Job. Ich schreibe Pilotprojekt, weil das künftig eine Möglichkeit sein könnte, Jugendlichen in die Selbständigkeit zu helfen (und aus der Gewaltspirale), ohne selbst sie ganze Struktur aufbauen und betreiben zu müssen. Die Berufsschule hat Interesse an einer Partnerschaft signalisiert – vielleicht öffnet sich da ein Türchen.

Erinnert Ihr Euch, dass 2007 die politische Opposition unseres Bundeslandes Maranhão nach 40 Jahren endlich die Oligarchie Sarney aus dem Sattel gehoben hat? Nach nur 2 Jahren und vier Monaten hat sich das Blatt wieder gewendet. In einem „Schauprozess“ wurde die neue Regierung abgesägt. Das zeigt dass, wer wirklich Macht hat, sie unter allen Umständen behalten will und wie verfilzt die Justiz ist, die nach Belieben Prozesse in Schubladen verschwinden oder umgehend bearbeiten lässt. Im gleichen Atemzug ist auch Elisângela aus dem Amt befördert und alle erkämpften Veränderungen zugunsten der Resozialisierung minderjähriger Straftäter gehen den Bach runter. Und leider nicht nur dort…

Ich weiß nicht, ob ich schon einmal über das Schulsystem berichtet habe. Es herrscht Schulpflicht und die Schulbildung ist gratis. Da die öffentlichen Schulen nicht genügend Plätze anbieten, gibt es neben den noblen Privatschulen jede Menge kleinerer Schulen in Privatinitiative. Das kann man sich etwa so vorstellen: Jemand ist Lehrer (oder auch nicht) und hat ein Grundstück und etwas Geld, um ein oder zwei Räume zu konstruieren. Die Räume sind klitzeklein: außer Stühlen und Tafel braucht es nichts. Er arbeitet in einer öffentlichen Schule als Lehrer und verdient nebenbei etwas dazu mit „seiner“ Schule, wo die Lehrer weitgehend selbst noch Schüler (Abiturienten) sind und nicht mal einen halben Mindestlohn verdienen, der sehr unregelmäßig gezahlt wird. Natürlich gibts einen Zuschuss vom Schulamt und auch die Eltern müssen eine kleine Monatsgebühr erbringen, um Wasser, Strom, … zu bezahlen. Die Qualität des Unterrichts ist oftmals dennoch besser als in den öffentlichen Schulen, wo die Hälfte der Stunden ausfallen. Obwohl die Besitzer dieser Schulen allesamt jammern, bauen sie Jahr für Jahr ein oder zwei Räume an und ihre Privathäuser, Autos,… sind nicht von schlechten Eltern. Nach einigen Jahren haben sie im Wohnviertel eine gewisse Autorität bzw. Stellung erobert und wissen diese (aus) zu nutzen.

Die Aus- und Weiterbildung der etwa 80 ehrenamtlichen Katecheten bleibt Priorität und im Juli konnten wir eine zweite Bildungswoche anbieten. Ein Abend fiel allerdings ins Wasser bzw. in die Dunkelheit, weil es nicht nur regnete, sondern in ganz São Luís der Strom ausfiel. Keiner traute sich unter diesen Bedingungen aus dem Haus. Am nächsten Abend waren alle wieder dabei.

Eine andere Aktion war die Verlosung eines Geschenkkorbes voller Schokoladeartikel, deren Erlös ermöglichen wird, einige Katecheten zu Kursen der Diözese zu schicken.

Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, wieder allein zu wohnen (mit dem Kätzchen)…