Hallo liebe Freunde,

hoffentlich geht es euch gut.

In meinem letzten Rundbrief habe ich vom Umzug nach Kariobangi erzählt – vor etwa vier Wochen hieß es Abschied nehmen von der Gemeinschaft im Comboni Brothers Centre (CBC) und Willkommen in Kariobangi. Wie geht es mir jetzt? Wie ist das Leben in Kariobangi? Vermisse ich etwas?

Anfangs getrieben von Neugier, fühle mich inzwischen richtig wohl. Die Arbeit mit Education for Life macht Spaß und einige Punkte meiner „Befürchtungen-Liste“ haben sich als nicht so gravierend herausgestellt, wie zunächst gedacht.

Auf dieser Liste befand sich das Stromproblem; allerdings habe ich von Abends bis Morgens Licht – während den übrigen Stunden bin ich arbeiten und deswegen nicht in der Wohnung. Falls ich an Wochenenden länger schlafe, ist das auch nicht weiter schlimm – in Kenia scheint die Sonne von 6 bis 18 Uhr. Nur in der dunklen Toilette mit dem kleinen Innenhoffenster kann es dann zu Komplikationen kommen …

Kochen ist unkompliziert – das Hauptnahrungsmittel der Menschen in Kariobangi ist Ugali (Maisbrei) mit Sukuma Wiki (Gemüse) und schnell zubereitet.

Den Gestank von der benachbarten Kläranlage nehme ich nur noch ganz selten wahr, tatsächlich wundere ich mich, wenn sich Besucher über den Gestank beschweren. Was dagegen wirklich stört, sind die vielen Mücken, die ich mit der Kläranlage in Verbindung bringe. Jeden Morgen habe ich das Vergnügen, zehn Mücken zu erlegen – und das obwohl jedes Fenster mit Fliegengittern geschützt ist. Weil weder ich noch der andere Christoph besonderen Wert auf Sauberkeit legen, können wir einem expandierenden Mücken-Friedhof an Wänden und Decke bewundern. Doch zurück zu meiner „Befürchtungen-Liste“.

Bei der Wäsche gilt, je weißer der Stoff, desto schwieriger. Ich habe noch nicht heraus gefunden, wie ich mein weißes T-Shirt wieder vollständig sauber bekomme – Buntwäsche dagegen wird mit genügend Geduld und Ausdauer wieder tragbar. Leider macht der Staub Nairobis die ganze Arbeit schnell zunichte; eigentlich müsste ich jeden Abend Wäsche waschen, was nicht nur Zeit, sondern vor allem Wasser kostet.

Apropos: Wasser ist derzeit mein größtes Problem. Aus dem Wasserhahn kommt nur einmal in der Woche für etwa 30 bis 45 Minuten fließendes Wasser – mit geringem Druck. Die Zeit reicht, um etwa 40 bis 50 Liter aufzufangen und in zwei dafür vorgesehenen Fässern à 100 und 210 Liter zu speichern – langfristig ist das für einen Haushalt mit zwei Personen aber nicht genug. Wir kaufen Wasser an mehr oder weniger legalen Stellen dazu. Mehr legal und teuer im Supermarkt, weniger legal und billig, wenn eine Wasserleitung angezapft wird. An solchen Orten kosten 20 Liter Wasser maximal Sh10, dafür schwankt die Qualität. Während ich mich damit abmühe, den 20l-Kanister 500 Meter nach Hause zu schleppen, tragen einige Frauen den gleichen Kanister auf dem Kopf, dazu ein Baby auf dem Rücken, Sukuma Wiki in der einen und einen weiteren 5l-Kanister in der anderen Hand – durchaus mehrere Kilometer weit.

Habe ich mich beim letzten Mal über die Größe der Wohnung beschwert, weil ich mir das Zimmer mit einem zweiten Freiwilligen teilen muss? Wie lächerlich mir das jetzt erscheint; meine Nachbarn wohnen auf der gleichen Wohnfläche – aber mit neun Personen. Sie teilen sich nicht bloß das Zimmer, sondern ebenso die Betten. Überhaupt erscheinen mir die Herausforderungen für die Menschen in Kariobangi größer zu sein, als ich es mir vorstellen konnte (wollte?). Folgende Antworten von SchülerInnen auf die Frage, wie das Leben in Kariobangi sei, bestätigen das: „Lack of security, basic needs, education, toilets, good health – rape – killings – newborn are thrown in pits – child labour – unemployment – high prices – corruption – broken severage system – over population – no fresh air“. Erst nach gezieltem Fragen wurden positive Aspekte genannt. Wie kommt es, dass junge Menschen zunächst an das schlechte in ihrem Leben denken?

Eine Umfrage von Education for Life über psychisch-soziale Bedürfnisse von Jugendlichen in Kariobangi hat ergeben, das eines der Hauptprobleme für die Jugendlichen die Langeweile ist. Es gibt kaum Arbeitsplätze, viele Jugendliche können vom Arbeitsmarkt nicht absorbiert werden und so sehe ich viele junge wie alte Menschen untätig abwartend. Ablenkungen, durch Sportveranstaltungen oder andere Ereignisse, sind sehr selten – Sportplätze, Wiesen oder ähnliches gibt es kaum. Letztere verschwanden durch illegale Landübernahme und Korruption, in die auch die lokale Regierung verwickelt zu sein scheint: „The former councilors have taken all the playing grounds and put up their own flats and now we have no field to attend to,“ so ein Teilnehmer der Umfrage. Vernachlässigung der Kinder und Jugendlichen durch ihre Eltern ist ebenfalls ein großes Problem mit verschiedenen Ursachen. Manchmal sind die Eltern selber noch Jugendliche und mit der Situation überfordert, manchmal sind Eltern den ganzen Tag unterwegs, um Geld und Lebensmittel für die Familie zu organisieren, manchmal können sich die Eltern nicht um ihre Kinder kümmern, weil sie in ihrer Kindheit selber kaum Zuneigung und Liebe erfahren haben.

Schließlich kommt eine allgemeine Perspektivlosigkeit dazu – einige Jugendliche glauben nicht, dass harte Arbeit entsprechend belohnt wird. Geringe Motivation und Selbstvertrauen können die Folge sein.

Aus Langeweile, Vernachlässigung und Neugier fangen Jugendliche an zu experimentieren – mit Drogen, mit Waffen, mit Sex. Die Kriminalität ist hoch, Banden (z.B. Mungiki) erfahren starken Zulauf. Junge Männer, die mit Kleber vollgedröhnt am Straßenrand liegen, sehe ich relativ häufig. Außerdem ist Kariobangi weithin bekannt für chang‘aa, sehr gefährlicher weil selbstgebrauter Alkohol. Mädchen, die aufgrund von früher Schwangerschaft die Schule unterbrechen (abbrechen) müssen, sind keine Seltenheit. Vergewaltigung, Abtreibung und nicht zuletzt auch HIV/AIDS und andere STI (Sexually Transmitted Infections) sind immer wieder Thema in der Zeitung.

Dann hängt da noch der Dunst von der Müllkippe über dem gesamten Stadtteil. Auf der Dandora Municipal Waste Dumping Site werden täglich 2000 Tonnen Müll abgelagert; um Platz zu schaffen, wird ein Teil des Mülls in den Nairobi River geschoben und erhöht damit das Gesundheitsrisiko für flussabwärts lebende Gemeinschaften, die das Wasser für private und landwirtschaftliche Zwecke nutzen. Die Luftqualität ist wegen der Verbrennung des Mülls sehr schlecht, an besonderen Tagen steigen Plastikstücke kilometerweit in den Himmel hinauf. Mülltrennung findet nicht statt. Dadurch, dass Schweine und andere Nutztiere auf der Müllkippe nach Nahrung suchen und weil Kompost von hier für den Anbau von Gemüse genutzt wird, müssen auch Menschen mit gesundheitlichen Risiken rechnen, die weit entfernt von der Müllkippe leben. Obwohl die Notwendigkeit zur Schließung der Müllkippe erkannt wurde, sind Schritte in diese Richtung aus zwei Gründen noch nicht unternommen worden: es wurde noch kein geeigneter Platz für die Umsiedlung gefunden und nicht zuletzt verdienen viele Menschen auf der Müllkippe ihr einziges Geld, z.B. durch Müllsortierung.

Nun habe ich über Korruption, Vernachlässigung und die Müllkippe geschrieben – ist also alles schlecht in Kariobangi? Ein Leben ohne Perspektive? Keine Hoffnung? Zu sagen, es gibt keine Hoffnung ist wohl ebenso falsch, wie zu behaupten, dass alles gut wäre.

In der oben angesprochenen Umfrage von Education for Life wird deutlich, dass die Jugendlichen an eine Lösung für die beschriebenen Probleme glauben, weil vom Menschen verursacht sind. Außerdem verleihen sie ihrem Willen Ausdruck, Teil dieser Lösung seien zu wollen und bei Gemeinschaftsangelegenheiten stärker mitgestalten und mitentscheiden möchten.

Immer wieder treffe ich auf Menschen – wie den Sohn meiner Nachbarn, der Anwalt und der nächste Präsident von Kenia werden möchte – die einen Traum haben, dafür brennen und ihn nicht aufgeben, nur weil es manchmal nicht voran geht.

Schließlich gibt es immer wieder Orte, an denen die Menschen an ihren Träumen basteln können und Beratung finden. In Zukunft möchte ich einige dieser Orte bschreiben, den Anfang macht Education for Life.

Education for Life wurde 1999 gegründet, damals sind etwa 700 Menschen täglich an den Folgen von AIDS in Kenia gestorben. Eine Missionsschwester bemerkt bei ihrer Arbeit eine steigende Zahl von HIV/AIDS-Infizierten in Kariobangi und hinterfragt die Präventionsmechanismen.

Zum Abschluss noch ein paar Worte zu meiner Arbeit mit dem Youth Alive Clubs von Education for Life. In Kariobangi gibt es etwa 30 Clubs, die sich regelmäßig einmal in der Woche treffen. Sie basieren auf der Idee von Peer-to-Peer-Education, d.h. Schüler führen ihre Mitschüler durch die Themen, die Lehrer halten sich heraus. Dabei ist der Weg, den die Schüler zur Erklärung der Themen wählen, völlig offen – es gibt Diskussionen, Rollenspiele, Gruppenarbeit, Musik und Tanz. Im Mittelpunkt steht der Spaß, über den Wissen vermittelt wird, der klassische Frontal-Unterricht wird aufgebrochen. Durch die Möglichkeit, die Treffen aktiv mitzugestalten, partizipieren mehr Schüler und die gesamte Gruppe ist deutlich aktiver. Die Themen reichen von Erwachsen Werden und Selbstbewusstsein, über Werte, Beziehungen und Persönlichkeit, bis Selbstvertrauen, Konfliktmanagement und Umwelt. Natürlich wird auch über HIV/AIDS gesprochen. Grundsätzlich geht es nicht bloß um die Vermittlung von Wissen, sondern auch um die Entwicklung von so genannten Life Skills, die im Slum oft nicht hinreichend entwickelt werden können. Außerdem sind die Clubs ein Forum für die Schüler, in dem sie über ihre Erfahrungen und Probleme reden können.

Wenn sich die Clubs aber selber leiten, welche Aufgabe habe ich dann überhaupt? Die Frage ist berechtigt, tatsächlich war die Arbeitsbelastung am Anfang sehr gering: Jeden Nachmittag für etwa 30 bis 45 Minuten einen Youth Alive Club besuchen – den Rest des Tages nicht arbeiten. Klingt schön? War es auch so lange, wie ich noch Dinge für die Wohnung organisieren musste – danach wurde es langweilig. Je mehr Erfahrungen ich mit den Clubs mache, um so stärker fallen mir Unterschiede zwischen ihnen auf– oft genug sind es noch die Lehrer, die vor der Klasse stehen und etwas erklären. Auch Ben, verantwortlich für das Youth Alive Programme bei Education for Life, weiß um diese Probleme und so versuchen wir nun, Schritt für Schritt, die Situation zu verbessern. Die Lehrer wollen wir dabei unterstützen, den Schülern den nötigen Freiraum für die Gestaltung der Clubs zu lassen; den Schülern wollen wir ein Buch an die Hand geben, in denen die Themen erklärt und zusätzlich Aktivitäten genannt werden, die die Vorbereitung erleichtern und die Informationen spielerisch vermitteln.

Zu Beginn der AIDS-Epidemie wurden große Anstrengungen unternommen, um möglichst alle Menschen mit den benötigten Informationen über die Krankheit zu versorgen. Ein starker Schwerpunkt lag auf medialen Nachrichten, Postern und Informationstreffen. All dies war wichtig – trotzdem zeigen die vergangenen Jahre, dass Informationen alleine keine Verhaltensänderung bewirken können. Die AIDS-Prävention ist ein Ruf nach Leben, welches nicht nur aus Sex besteht. Ein Präventionsprogramm muss das ganze Leben eines Individuums behandeln, welches dynamisch ist und sich ständig ändert. Veränderung ist normal, Verhaltensänderung ist normal – Menschen haben die innewohnende Fähigkeit zur Veränderung. In der Kürze liegt die Würze?

Für alle, denen der Brief zu lang erscheint: Ich wohne seit gut vier Wochen in Kariobangi und fühle mich wohl. Die Arbeit mit Education for Life macht Spaß und die Arbeitskollegen sind nett. Ich wünsche euch das Beste und freue mich, von euch zu hören.

Auch wollen wir in Zukunft regelmäßige Treffen für Schüler verschiedener Schulen organisieren, bei denen sie Erfahrungen austauschen und neue Aktivitäten entwickeln können. Darüber hinaus werde ich inzwischen bei anderen Programmen von Eduaction for Life mit eingebunden, so dass ich jetzt eher zu wenig Zeit habe und die Tage extrem kurz werden. Der Tag beginnt mit einem kurzen Meeting, anschließend helfe ich anderen EFL-Mitarbeitern bei ihrer Arbeit. Nach einem kurzen Mittagessen geht es am Nachmittag zu den Clubs und anschließend fängt der Sprachkurs an. Wenn ich danach Zuhause ankomme, ist es sieben Uhr; dann hat noch niemand meine Wäsche gewaschen, das Geschirr gesäubert, Wasser geholt oder Essen gekocht. Auch für den Sprachkurs muss ich etwas tun. Nicht selten stehen dann noch die Nachbarskinder auf der Matte oder es hat sich anderer Besuch angekündigt.

Bleibt zum Schluss noch eine Frage: Vermisse ich etwas? Neben Familie und Freunde vermisse ich vor allem Käse, Wurst, gutes Brot und Schokolade. Aufschnitt gibt es hier keinen und im Supermarkt bloß Toast. Schokolade ist so exorbitant teuer, dass ich verzichte – z.B. kostet ein großes Glas Nutella knapp 10 Euro.

Lasst es euch gut ergehen.

Kwaheri

Christoph