In diesen Tagen zwischen Weihnachten und Jahreswechsel wünsche ich allen von ganzen Herzen, dass Gottes Liebe (neu) ankommt in uns; besonders da, wo irgendetwas festgefahren oder verhärtet ist, damit es im wahrsten Sinne des Wortes heil werden kann und LEBEN möglich wird.

Lese momentan das faszinierende Buch „Die Kabane“ von William P. Young – weiß nicht, ob es in Deutschland schon „durch“ ist? Es beschreibt in ganz unkonventioneller Art eine Gottesbegegnung; sehr respektvoll, echt herausfordernd und hinterfragt kritisch aber liebevoll, was man so für Ideen von Gott im Kopf hat, die entscheidend Fühlen, Denken und Handeln prägen. Noch bin ich nicht über die Mitte hinaus, dennoch möchte es schon wärmstens empfehlen!

Eigentlich müsste ich jetzt in Deutschland sein, denn die geplanten drei Jahre sind morgen schon wieder um! Es wird aber einen „kleinen Nachschlag“ geben, um so manches noch ordnen bzw. abgeben zu können. So beginnt für mich mit dem neuen Jahr auch der herausfordernde Prozess des Loslassens und Abgebens … Hoffe, diese Zeit recht bewusst zu leben, um dann mit Freude und Erwartung in Deutschland ankommen und neustarten zu können…

Heute Vormittag hat es seit Monaten zum ersten Mal richtig geregnet. Und so heißt es jetzt, sich langsam auf die Regenzeit umzustellen: Fenster und Türen mit Planen abdichten, die Wäsche unterm Vordach aufhängen, regelmäßig den Kleiderschrank vom Schimmel befreien, öfter mal ohne Fahrrad losziehen müssen.

Das alltägliche Leben ändert seine Rhythmus: So kann zum Beispiel im Projekt das Fußballtraining nicht stattfinden, Veranstaltungen beginnen „nach dem Regen“ (oder fallen aus), auf der Flucht vor dem Regen schlüpft man irgendwo unter und kommt mit Leuten ins Gespräch, die Stromausfälle häufen sich, …

In der Pastoral do Menor konnten unsere Projektverträge für 2009 schließlich im August bzw. September unterschrieben werden! Während „Von der Straße zum Sport“ mit 200 Kindern und Jugendlichen mit Fußball (Jungen- und Mädchengruppe extra), Capoeira und  Straßentanz (Art HipHop) recht gut läuft, ist im PETI (gegen Kinderarbeit, 100 Teilnehmer) die Zusammenarbeit mit der Stadt unfruchtbar und destruktiv. Unter den Bedingungen, welche das Jugend-Sozialamt momentan anbietet, können wir dem Folgevertrag im März nicht mehr zustimmen. So heißt es (vermutlich) wieder neue Wegen suchen, um Kindern und Jugendlichen in den am „himmelschreiendsten“ Situationen positive Entwicklungsmöglichkeiten anbieten zu können.

Dafür hat das Projekt „Samenkörner“ (Lobbyarbeit für Umgang mit minderjährigen Straftätern sowie Gruppenarbeit mit betroffenen Familien und Jugendlichen) schon die anschließende Finazierungszusage bis 2011 und mausert sich langsam.

Seit August können wir in den Räumen der „Escolinha do Povo“ für 60 Kinder eine zusätzliche Hilfe anbieten: Interesse für Lesen und Literatur fördern bzw. alphabetisieren, wo die Schule das nicht tut oder schafft. Hier sind einige ohne Schulplatz integriert (zum Beispiel aufgrund von Zuzug nach Trennung der Eltern), andere mit massiven Schwierigkeiten (kennen in der 5. Klasse nicht alle Buchstaben) und recht pfiffige, die dort Zugang zu Büchern finden wie die Möglichkeit, den sprachlichen Ausdruck und damit den Horizont zu erweitern. Gestern war ich auf „Pirsch“, um für 3 dieser Kinder einen Schulplatz zu finden, bisher nur mit vagen Hoffnungsschimmern …

Am einfachsten scheint es noch für Leonardo zu werden, dessen Mutter im August verstorben ist und der seither bei der Oma lebt. Die Mutter hat sich nie gekümmert, er hat die meiste Zeit auf der Straße verbracht, nie Kindergarten oder Schule besucht. Obwohl kein Direktor wegen des Alters und der „Vorgeschichte“ scharf drauf ist, hat einer signalisiert, ihn wahrscheinlich in die erste Klasse aufzunehmen.

Zum Kindertag haben wir eine Mammutaktion gestartet: Parallel zu einem Fußballturnier haben wir die Kinder der Pastoral, Katechese und des Wohnviertels zum Spielen auf dem Platz eingeladen. Die spannende Frage war, ob 50 oder 500 kommen? Es kamen 200 und es war ein herrlicher Nachmittag voller Kreativität, Freude und Dynamik. Katecheten und Erzieher arbeiteten Hand in Hand und die wenigen Eltern, die gekommen waren, wurden spontan eingespannt. Außer dem obligatorischen Imbiss hat das Ganze fast nur Kraft gekostet, denn wir nutzen Zeitungen, Zwiebelsäcke, Wassereimer, Plastikflaschen… – alles kostenlos zu besorgen.

Eine andere Aktion war der Besuch eines Vergnügungsparks mit 150 Kindern und Jugendlichen, den der Besitzer Dank befreundeter Ordensschwestern kostenfrei ermöglichte! Das war eine Freude! Und wir hatten das Glück, dass an dem besagten Montag fast niemand anders dort war, so dass sich alle ohne die üblichen Warteschlangen ausgiebig vergnügen konnten!

So wie es auf der eine Seite ne Menge kleiner „Erfolge“ und Fortschritte gibt, erreichen uns immer wieder auch Nachrichten über ehemalige Schützlinge, die nachdenklich, traurig oder/und wütend machen.

Sonntag wollten wir mit Livia (ehemals Leiterin vom PETI) Anderson im Gefängnis besuchen, was leider an den bürokratischen Hürden scheiterte. Sehr schade, denn gerade Weihnachten hätte er sich sicher sehr über einen Besuch gefreut, denn Eltern hat er keine mehr und der Bruder ist selbst im Gefängnis.

Noki, ein anderer Jugendlicher kam „zufällig“ ins Gefängnis, als er sonntags vom Strand nach Hause wollte und „Freunde“ ihm eine Mitfahrgelegenheit anboten. Leider stellte sich bei der Polizeikontrolle heraus, dass das Auto gestohlen und die Freunde eine berüchtigte Bande waren. Bei den Bemühungen um seine Freilassung konnte man wieder mal Korruption pur erleben: Eine amtliche Bescheinigung über einen Schulabschluss, den man nie gemacht hat, ist eine Kleinigkeit… (nicht für den Armen, der sie teuer bezahlt!) Das Schlimme ist, dass dieser „Ungeist“ seine Kreise zieht und sich überall einnistet, so dass die absurdesten Dinge immer normaler werden…

Als wir am Nachmittag vor Weihnachten einige Lebensmittelpakete verteilen konnten, hätte ich mir gewünscht, es gäbe eine Stelle, wo man „Mütter“ bestellen könnte. Einige Kinder hätten dringend eine nötig… Dagegen kam vorgestern im Fernsehen eine Reportage über eine ältere Dame, die 53 Kinder adoptiert hat, von denen noch 42 bei ihr wohnen! Sie leben sehr einfach, es scheint ein absolutes Chaos, aber ganz bestimmt fehlt das wichtigste im Leben der Kinder nicht: Liebe und Gemeinschaft…

Im Oktober konnte ich an der 3. Etappe des Bibelkurses teilnehmen, von dem ich schon berichtet habe. Dieses Mal ging es um Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Ich dachte, das wird ein bisschen flacher diesmal, aber weit gefehlt: es war spannend wie nie! Die Texte der Bibel sind voller Zeugnisse davon, dass Mensch und Schöpfung nicht voneinander getrennt werden, dass Bewahrung der Schöpfung kein Hobby oder Zugabe ist, sondern essentiell zum Christsein = Menschsein dazugehört. Und dass es sehr einseitig, um nicht zu sagen unbiblisch ist, den „Wert“ verschiedener Schöpfungselemente zu skalieren. Menschen, Tiere, Pflanzen, Minerale – als „gleichwertige Schöpfung“ oder in „natürlicher Hackordnung“ zu sehen, birgt radikale Konsequenzen… Wo ordnet man Gott in beiden Sichtweisen ein? Im Zentrum oder Zuoberst? Selbst Skeptiker können nicht übersehen, dass der momentane Materialismus und Konsumismus nicht nur den „natürlichen Lebensraum“ verschlingen, sondern auch Werte und gelingende Beziehungen „aussterben“, dass Gott als Rechtfertigung für Hackordnung/Hirarchie missbraucht wird,… Ich fand und finde es sehr hilfreich, mich auf diese Sichtweise einzulassen. Sie zu praktizieren bleibt Herausforderung!

Ende November hat unser Rat der Pfarrgemeinderäte sich für zwei Tage zur Vollversammlung in ein Bildungshaus am Strand zurückgezogen. Unser Pastoralplan hatte nach zwei Jahren Halbzeit und es war Zeit zu schauen, was sich wie bewegt bzw. feststeckt. Nach zwei Jahren „igreja acolhedora“ (was in etwa willkommenheißende, aufnehmende Kirche heißt) hat eine der 13 Basisgemeinden eine eigene Gruppe für diesen Dienst, der sich allerdings noch zu sehr auf die Kirchentür beschränkt.

Nach einem Jahr „missionarische Kirche“ sind in der Pfarrei etwa 50 Straßen organisiert. Das heißt, eine oder mehrere Familien organisieren Bibel- und Gebetsabende; laden die Leute ein; sind Brücke zur Katechese, Sakramentenpastoral und zum Zehnten; wissen, wer krank, gestorben oder arbeitslos ist,… Im kommenden Jahr soll die systematische Begleitung dieser „Kontaktfamilien“ beginnen.

Im dritten Jahr wird unter Beibehaltung der anderen Akzente der Schwerpunkt „Betende Kirche“ sein, als Kraftquelle für die offene und missionarische Kirche. Dementsprechend sollen alle Aktivitäten 2010 davon „inspiriert“ werden.

Von zwei quasi toten Basisgemeinden ist eine kurz davor, aus der Intensivstation entlassen zu werden, die andere beginnt erste Schritte auf eigenen Füßen. Erstere Dank der Solidarität der anderen 11 Gemeinden, die ein dreiviertel Jahr lang jede Woche missionarische Besuche machten und die Gottesdienste mitgestalteten. Die Zweite Dank der regelmäßigen Hilfe der Gemeinde „Sankt Isabel“.

Die Zahl der Dizimisten (Katholiken, die regelmäßig freiwillig ihren „Zehnten“ geben) hat sich in den zwei Jahren verdoppelt. Damit können endlich die Patres regelmäßig zwei Mindestlöhne erhalten und aus dem entstandenen Fond erstmals kleinere Projekte in Gemeinden bzw. Pastoralen unterstützt werden wie z.B. 1.000,00 Real für Bestuhlung eines Pfarrsaals, 2.000,00 für den Bau eines Raumes für die Katechese, 1.500,00 für Dachziegel der „auferstandenen“ Gemeinde…