Liebe Familie, Freunde und Gemeinde,

ich wollte mich auf diesem Weg für die große Unterstützung von Euch bedanken. Ich lebe seit einem halben Jahr bei den Pokot im Westen Kenias an der Grenze Ugandas. Die Pokot sind Halbnomaden und leben vor allem von Viehwirtschaft. Das Land hier ist karg und fruchtlos, was Landwirtschaft besonders schwierig macht. Hinzu kommt, dass die Pokot sehr stark von Regen- und Trockenzeit abhängen und nur in der Regenzeit der Anbau von Obst und Gemüse möglich ist. In der Trockenzeit müssen die Pokot ihre Kühe nach Uganda bringen, da das Gras hier verdorrt. Besonders für die Frauen ist das Leben in West-Pokot hart, da sie für die Versorgung der Familie verantwortlich sind und dann oft auch weite Strecken laufen müssen, um an Trinkwasser zu kommen. So ist es hier Aufgabe der Frauen und nicht des Mannes, ein Haus für ihre Familie zu bauen. Die Pokot leben polygam, das heißt, die Männer haben gewöhnlich mehrere Frauen. Für die Frauen muss bei der Heirat ein hoher Brautpreis bezahlt werden, der bis zu mehrere dutzend Kühe betragen kann. Dies führt zur Problematik, dass viele Mädchen schon im Alter von 12 Jahren verheiratet werden, da die Familie den Brautpreis bekommen möchte. Schwierig ist hierbei, dass es sich nicht um die Entscheidung der Eltern, sondern auch der Onkel und der Großeltern handelt. Die Meinung der entfernten Verwandten hat großen Einfluss uns es besteht kaum die Möglichkeit, sich gegen deren Entscheidung zu stellen. Die Braut braucht bei der Hochzeit nicht einmal anwesend zu sein da die Heirat unter den männlichen Verwandten ausgehandelt wird.

Ein Brauch hier ist zudem die Beschneidung der Frauen. Beschneidung wird als Initiationsritus ins Erwachsenenalter betrachtet. Die Beschneidung macht das Mädchen zur Frau. Für den traditionellen Pokotmann ist es unmöglich, ein Mädchen, also ein Kind, zu heiraten. Für Pokot sind Kinder und die Gründung einer Familie sehr wichtig. Die Pokot lieben Kinder. So erstaunt mich der Kinderreichtum hier immer wieder. Für ein Mädchen würde der Verzicht auf Beschneidung jedoch der Verzicht auf Heirat und damit eine Familie nach sich ziehen. Das macht die Schulprojekte für Mädchen so wichtig. Der Schulbesuch schützt die Mädchen vor der frühen Verheiratung und macht die Mädchen in ihren Entscheidungen selbstbewusster. Während der Schulzeit lernen die Mädchen ihre Traditionen und Gebräuche zu hinterfragen. Sie sollen lernen, eine eigene Meinung und ausreichend Selbstbewusstsein zu fassen, um diese zu vertreten.

Ich unterrichte in zwei Mädchenschulen, der Grundschule „St. Paul’s Primary School“ und der „St. Bakhita Secondary School“. Beide Schulen sind Neugründungen, was bedeutet, dass wir besonders in Räumlichkeiten noch beschränkt sind. So haben beide Schulen noch keinen Zaun um das Schulgelände, was gerade für die Mädchenschule gefährlich ist, da in der Region Kacheliba Alkoholismus ein großes Problem ist und die Mädchen für betrunkene Männer Freiwild darstellen. Hinzu kommt, dass die Secondary School bisher nur einen Raum für etwa 40 Schülerinnen besitzt, jedoch bereits 120 Mädchen die Schule besuchen. In der Primary schlafen die Mädchen nachts sogar in ihren Klassenzimmern. Beides stellt keine dauerhafte Lösung dar. Außerdem haben wir bisher nur einen einzigen staatlich angestellten Lehrer, die restlichen sieben Lehrer müssen von den Eltern bezahlt werden.

Während der Schulzeit dürfen die Mädchen das Schulgelände nicht verlassen. Dies führt jedoch dazu, dass viele der Mädchen sich heimlich davon schleichen. So werden an unserer Schule regelmäßig Schwangerschaftstests durchgeführt und in diesem Term wurden bereits mehrere Mädchen positiv getestet. Schwangerschaft führt an kenianischen Mädchenschulen zum Schulausschluss und nur wenige der Mädchen dürfen nach der Geburt an die Schule zurückkehren, da sie von den Familien verheiratet werden. Dies macht einen Zaun zum Schutz der Mädchen unverzichtbar.

Beim Unterrichten stellt die geringe Anzahl an Schulbüchern eine große Herausforderung dar. Ich unterrichte die erste Klasse in der Secondary, die 56 Schülerinnen fasst, in Englisch und Biologie. Für die Klasse stehen mir mit meinem Buch 15 Schulbücher zur Verfügung. Schon Aufgaben aus dem Buch zu bearbeiten oder einen Text zu lesen, wird zum Problem.

Unterhaltungsliteratur war in beiden Schulen überhaupt nicht vorhanden. Ein Teil der bisherigen Spendengelder ermöglichten es mir, Bücher für die Mädchen zu kaufen. Ich empfinde es als sehr wichtig, dass die Mädchen beginnen zu lesen, da sie große Lücken in Englisch aufweisen, was dazu führt, dass viele der Mädchen die Fragen in den Klausuren nicht beantworten können, da sie diese aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht verstehen. Lesen, denke ich, kann die Mädchen in diesem Punkt weiterbringen.

Ich arbeite jetzt seit drei Monaten mit den Mädchen an den Schulen und muss sagen, dass mir diese sehr ans Herz gewachsen sind. Ich habe selten so großen Ehrgeiz bei Jugendlichen an deutschen Schulen sehen können. Die Mädchen haben einen vollgestopften Stundenplan und nur selten Verschnaufpausen. So beginnen die Unterrichtsstunden morgens um sieben und dauern bis mittags um zwei Uhr an; um 16 Uhr bis 22 Uhr müssen die Schülerinnen sich auf den Unterricht vorbereiten und Stoff wiederholen. Dabei gibt es keine Pausen zwischen den Stunden. Trotz des straffen Zeitplans und wenigen Ruhestunden sind die Mädchen sehr wissbegierig und fragen mich Löcher in den Bauch.

Neben meiner Arbeit in den Schulen arbeite ich auch auf unserer Farm und beschäftige dort zur Zeit drei Frauen, denen so die Möglichkeit gegeben werden soll, eigenes Geld zu verdienen und so ihre Kinder ernähren zu können. Außerdem unterstützt uns in den Ferien noch ein Junge bei der Arbeit, der mit dem verdienten Geld seinen Schulbesuch finanzieren möchte. In der Mission haben wir viele Kinder, die gesponsert werden, da ihre Eltern den Schulbesuch alleine nicht finanzieren können. Ein weiteres Problem ist, dass vielen Eltern der Wert einer guten schulischen Ausbildung nicht bewusst ist. So versuchen die Comboni-Missionare in Kacheliba hierfür Bewusstsein zu schaffen, dass besonder für Mädchen der Schulbesuch wichtig ist. Durch eine Ausbildung erhalten sie die Möglichkeit, sich später Arbeit zu suchen und so unabhängig von ihren Ehemännern ihre Kinder ernähren zu können.

Trotz des harten Lebens in West-Pokot haben sich die Leute eine unglaubliche Warmherzigkeit und Lebensfreude bewahrt, die mich immer wieder berührt. Als ich in Kacheliba angekommen bin, begrüßten mich die Leute so: „Kenya means being at home. So feel at home“ (Kenia bedeutet, zu Hause zu sein, also fühle Dich zuhause). Nach diesem halben Jahr kann ich sagen, dass die Leute Recht behalten haben. Die Menschen hier, die ich kennenlernen durfte, haben Kacheliba zu meinem Zuhause gemacht. Sie haben mir beigebracht, mit Wenigem glücklich zu sein.

Am Ende meines Briefes möchte ich mich nochmals für das große Interesse an meinen Projekten und meinem Leben hier in Kacheliba bedanken.

Liebe Grüße,
Eure Johanna