Alles sieht gleich aus, alles konform. Ich kann keine Orientierung finden in den fremden Straßen. Es ist ein einziges Chaos. Fühle mich so verloren, kein Weg führt hinaus. Stehe in so starker Abhängigkeit, meine Selbstständigkeit ist mit meinem Selbstbewusstsein verschwunden.

Wohin? Welcher Weg führt mich zurück zu meiner Sicherheit? Zu dem Bekannten? Alles scheint fremd, alles so anders. Von den Regeln des Verkehrs bis hin zu den Straßennamen bin ich aufgeschmissen. Habe ich mich verlaufen? War mein Weg der falsche? War die Entscheidung, zu kommen um das „Fremde“ kennen zu lernen, falsch? Habe ich mir zuviel zugemutet? Bin ich einfach nicht stark genug? Und trotz meiner Schwäche nimmt mich jeder an die Hand und führt mich Schritt für Schritt. Beschreitet mit mir Stück für Stück die gleichen Wege, jeden Tag auf’s Neue; bis ich beginne, wiederzuerkennen.

Als würde sich der schwarze Schleier vor meinen Augen lichten, beginne ich zu verstehen und meine Augen beginnen zu sehen. Erst sind es nur kleine Dinge: die Farbe eines Hauses, die charakteristische Biegung einer Kurve oder die Erinnerung an einen Witz, der genau an dieser Stelle gesprochen wurde, die mir im Gedächtnis blieben und mir Orientierung geben. Und dann wage ich mich Stück für Stück weiter vor. Es sind kleine Erfolge, die mir das Fremde in Bekanntes verwandeln. Allein in einen Bus einzusteigen und zu wissen, wann ich wo aussteigen muss. Allein dem Taxifahrer den Weg nach Hause beschreiben zu können. Allein den Weg zum Haus eines Freundes zu finden.

Und mit der Zeit, die vergeht, entsteht mehr als nur Orientierung: es entsteht Vertrautheit mit den kleinen Dingen. Die Musik in den Bussen, die ich eigentlich ganz schrecklich finde, aber trotzdem mitsumme, weil ich sie schon so oft gehört habe und der Geruch nach Essen, der mittags immer in derselben Straße hängt. Das Geschrei der Verkäufer, die mit ihrer Ware durch die Gegend ziehen und auf Käufer hoffen. Es wird mir so vertraut, dass mir all das Bekannte von Zuhause fremd erscheint.

Anna Schönstedt hilft als Missionarin auf Zeit in dem Kindergarten „San Daniel Comboni“ in Arequipa, Peru mit.