Seit Monaten wird Nicaragua von Unruhen erschüttert. Auch Comboni-Missionare sind in Nicaragua, unter ihnen ist Pater Paul Pezzei aus Mühlbach in Südtirol. Ein Versuch zu verstehen:
Nicaragua war einmal eine Art Modell der Theologie der Befreiung. Wir erinnern uns: 1979 machte die Sandinistische Befreiungsfront der Herrschaft des Familienclans der Somoza ein Ende. Es folgte eine sandinistische Regierung unter Leitung von Daniel Ortega. Unter den Ministern waren drei Priester, unter ihnen die beiden Jesuiten Ernesto und Fernando Cardenal. Zum ersten Mal schien ein von der Basis getragener Umsturz eine glücklichere und gerechtere Zukunft möglich zu machen, ein Modell vielleicht auch für andere Länder, eine Hoffnung für den gesamten Subkontinent. Unzählige Idealisten, andere werden sagen „Illusionisten“, pilgerten in den 80er-Jahren nach Nicaragua, um am Aufbau einer neuen, gerechteren Gesellschaft mitzuarbeiten.
Und das jetzt? Sicher, das alte Somoza-Regime kam zwar nicht zurück. Aber viele der Nutznießer von damals gaben sich nicht geschlagen. Vor allem die USA boykottierten die Wirtschaft und unterstützten eine Gegenguerrilla, die „Contras“. Es wurde zwar viel in Gesundheit und Schulbildung investiert, die Alphabetisierung stieg in wenigen Jahren von 20 auf über 50 Prozent, aber es gelang der neuen Regierung nicht, die eng mit den USA verflochtene und kapitalistisch organisierte Wirtschaft umzubauen. In einer kapitalistischen Welt lässt sich in einem kleinen Land schlecht eine solidarische Wirtschaft aufbauen. Kurz, das Land kam aus dem wirtschaftlichen Schlamassel nicht heraus. Dazu kam, dass mit dem Ende der Sowjetunion eine wirtschaftliche und politische Stütze wegbrach. Geblieben ist, beziehungsweise wiedergewählt wurde der alte und neue Regierungschef: Daniel Ortega.
Seit einem Jahr nun brodelt und gärt es in Nicaragua. Vor allem Studenten gehen auf die Straße. Die Regierung geht brutal gegen sie vor. Es gab bereits Hunderte von Toten.
Was ist davon zu halten? Auch die Kirche und hier die Bischöfe tun sich schwer, eindeutig Position zu beziehen. Sie hatte nach anfänglichem Zögern die Sandinisten wohlwollend begleitet. Aber nun? Vermutlich sind die Proteste auch dieses Mal nicht unbeeinflusst von außen. Aber rechtfertigt das das harte Vorgehen der Regierung mit den vielen Toten?
Nicaragua ist ein Beispiel dafür, wie steinig der Weg in eine gerechte Gesellschaft sein kann. Selten lässt sich Recht und Unrecht sauber trennen. Träume und Hoffnungen treffen oft auf die harte Realität. Das macht demütig und rät uns, eigene Urteile und Vorurteile immer wieder zu hinterfragen. Aufgeben sollte man den Glauben, dass eine gerechtere Welt möglich ist und dass es sich lohnt sich dafür einzusetzen, aber auch nicht.
Pater Paul Pezzei und seine Mitbrüder machen sich große Sorgen um die Menschen und bitten um unser Gebet. Diese Bitte möchten wir auch unseren Lesern weitergeben.
P. Reinhold Baumann