Liebe Verwandte, Freunde und Freundinnen,
bald geht ein Jahr zu Ende, das für mich nicht einfach war. Ich musste in meine neue Aufgabe hineinfinden. Mit diesem Rundbrief möchte ich mit euch Kontakt aufnehmen und euch mitteilen, was mich bewegt. Zunächst: die südafrikanische Post ist praktisch bankrott und unser Festnetztelefon funktioniert nur selten. Daher bin ich leichter per E-Mail, Skype, Facebook und WhatsApp erreichbar. Immer wieder fällt auch der Strom aus. Dann wird’s einfach still und dunkel, selbst in der Hauptstadt des Landes. Südafrika befindet sich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise, die zahlreiche Gründe hat.
Kürzlich sagte mir ein Wirtschaftsfachmann persönlich: das Wichtigste wäre, dass Südafrika wieder einen glaubwürdigen Präsidenten bekommt und mehr Politiker, die sich nicht nur selbst bereichern wollen, sondern auch bereit sind, gegen Korruption vorzugehen und sich fürs Gemeinwohl einzusetzen. Denn die staatlichen Dienstleistungen lassen sehr oft zu wünschen übrig, wenn man bedenkt, was in einem Land mit diesen vielseitigen Ressourcen möglich sein sollte, wenn der politische Wille da wäre. Derzeit werden ausländische Investoren immer mehr enttäuscht und ziehen sich zurück. Dazu kommt: wenn hier ein Verbrechen begangen wird, hat das leider oftmals keine Konsequenzen: d.h. die Polizei interessiert sich wenig dafür und die Gerichtsprozesse versanden. Dementsprechend ist die Kriminalitätsrate schockierend hoch und die Gefängnisse sind überfüllt.
Im März mussten wir schwere ausländerfeindliche Ausschreitungen erleben. In vielen Townships der großen Städte wurden Geschäfte von Ausländern anderer afrikanischer Länder geplündert. Über 20 Menschen kamen ums Leben. Der Zulu-König Zwelthini forderte in diesem Zusammenhang alle Ausländer öffentlich auf, „ihre Koffer zu packen und das Land zu verlassen.“ Sie nähmen den Südafrikanern ihre Arbeitsplätze und Chancen weg [Anm. der Vollständigkeit halber: Zwelthini hat diese Aussage, die er in Pongola getätigt haben soll, dementiert: Stop the hate: King Zwelthini (Daily News)].
In so einer Atmosphäre ist es nicht leicht, aber angebracht, die südafrikanischen Katholiken dazu zu ermutigen, offen zu bleiben für Menschen anderer Kulturen, für die missionarisch weltweite Sendung der Kirche und sich für Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Diese Bewusstseinsbildung ist meine Aufgabe, sowie die Werbung für unsere missionarische Zeitschrift „Worldwide“. So bin ich fast jedes Wochenende unterwegs in den Pfarreien der bevölkerungsreichen Townships von Pretoria, Johannesburg oder Durban. Dabei darf ich sehr lebendige Gottesdienste auf Englisch, Tswana und Zulu mitfeiern und öfter auch mal predigen und Zeugnis geben. Ich lerne in den Pfarreien viele gute, engagierte Christen kennen, die ihren Glauben in Familie und Gesellschaft leben. Die größte Hürde ist zunächst, eine Einladung vom Pfarrer zu bekommen. Das braucht Geduld und Durchhaltevermögen.
Etwa 10km von meinem Haus liegt die riesige Township Mamelodi, wo wir Combonis eine Pfarrei betreuen und auch 3 Comboni-Schwestern leben. Sr. Clara ist Mitglied der Aktionsgruppe „Without Chains – for the end of slavery“. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, in die Öffentlichkeit (Kirchen, Schulen usw.) zu gehen, um Bewusstsein gegen Menschenhandel, also „Human Trafficking“, zu schaffen. Südafrika ist leider besonders davon betroffen. Viele junge Menschen aus dem In- und Ausland, die auf Arbeitssuche sind, fallen kriminellen Organisationen zum Opfer. Gewöhnlich werden sie mit falschen Versprechungen für einen lukrativen Job angelockt und dann nimmt man ihnen bald die Dokumente ab. So sind sie wehrlos und werden oft sogar unter Drogen gesetzt. Dann werden sie als Sklaven in der Prostitution, Landwirtschaft oder in Haushalten benutzt und zur Arbeit gezwungen. Manchmal bin ich mit Sr. Clara und ihrer Gruppe unterwegs oder beziehe sie im Gottesdienst ein. Am 30. Juli haben wir in der Innenstadt von Pretoria auf einer Demonstration gegen „Human Trafficking“ teilgenommen. Verschiedene staatliche Behörden, die Polizei, Studenten und kirchliche Gruppen hatten einen gemeinsamen Aktionstag, um öffentlich zur Vorbeugung von Menschenhandel, zur Verfolgung der Täter, zum Schutz der Opfer und zur Vernetzung aufzurufen. Es gibt hier auch ein Frauenhaus, wo Opfer Schutz und Hilfe erhalten.
Ein weiteres Arbeitsfeld, das ich mir erarbeitet habe, ist die Bewusstseinsbildung in den katholischen Schulen der Region. Da mir das Lehrschreiben „Laudato Si´“ von Papst Franziskus über die Sorge um unsere Erde voll aus der Seele spricht, habe ich dazu einen provozierenden Bildvortrag mit Zitaten des Papstes für Schüler vorbereitet. So kann ich mit ihnen über Klimawandel, Umweltschutz, Bewahrung der Schöpfung, Recycling von Wertstoffen etc. sowie mitmenschliche Solidarität mit Armen und Benachteiligten unserer Gesellschaft ins Gespräch kommen. Meine lange Erfahrung in Mount Ayliff beim Volk der Xhosa hilft mir dabei sehr und ich bringe sie in Bildern ein.
Auch in der Deutschen Katholischen Gemeinde in Pretoria habe ich so eine Brückenfunktion zwischen den verschiedenen Völkern. Jeweils einmal im Monat feiere ich den Sonntagsgottesdienst, gehe ins Altenheim, mache Haus- oder Krankenbesuche, bin zuständig für die Ministranten und arbeite gerne mit der Gemeindereferentin Petra Schindler zusammen.
Im Februar habe ich ein Zwischenseminar für 9 deutsche Freiwillige mit der Referentin aus meiner Heimatdiözese durchgeführt. Eine Woche lang haben wir in unserem Comboni-Center die Erfahrungen der jungen Menschen in verschiedenen sozialen Projekten im Land ausgewertet und ihnen Hilfestellung für die Zukunft zu geben versucht.
Im Oktober durfte ich zum ersten Mal sechs Tage geistliche Exerzitien für acht Ordensfrauen in Johannesburg geben zum Jahr des Gottgeweihten Lebens. Eine frohe, klösterliche Erfahrung! In unserem Haus haben wir regelmäßig Treffen der Mitbrüder unserer Provinz Südafrika. Wir sind insgesamt 35 Comboni-Missionare aus 16 Nationen und 4 Kontinenten.
Inzwischen ist es Advent geworden: Zeit der Vorbereitung auf das Fest der Geburt Jesu. Wenn Jesus Mensch wird, einer von uns, dann will uns Gott damit sagen, dass er uns Menschen ganz nahe kommt mit seiner Liebe, seinem Frieden und Segen. Jesus wurde in Bethlehem geboren, obwohl es keinen Platz für ihn gab. Er kam in einer Futterkrippe zur Welt!!! Genau da will Gott sein. Wo Menschen ihrer Würde beraubt und gedemütigt werden. Gott will uns Mut machen zum Leben und zum Einsatz für andere, trotz aller dunklen und schweren Seiten unseres Lebens. Aus unserer Freude über Jesu Geburt, möchten wir anderen, die uns nahe stehen oder bedürftig sind, ebenso eine Freude machen durch ein persönliches Geschenk, einen Brief, eine Einladung oder sonst eine Aufmerksamkeit.
Von ganzem Herzen wünsche ich euch und euren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein Gutes Gesundes Neues Jahr 2016!
Pater Günther
Bankverbindung: Comboni-Missionare Ellwangen, KöR, Kreissparkasse Ostalb, IBAN: DE66 6145 0050 0110 617015