Comboni-Missionar Pater Dr. Jorge Naranjo Alcaide arbeitet seit 2008 im Sudan und seit 2012 als Leiter des Comboni College of Science and Technology (CCST) in der Hauptstadt Khartum. Die Auswirkungen des Bürgerkriegs, der im April 2023 ausbrach, haben auch die Bildungsarbeit am College verändert. Im September berichtete Pater Jorge im Ellwanger Missionshaus über die Situation im Sudan. Er will alle Möglichkeiten nutzen, um die akademische Ausbildung und den Betrieb der Schulen aufrechtzuerhalten.
1929 wurde in Khartum die erste Comboni-Schule gegründet, die bald auch weiterführende Schule wurde. Pater Jorge Naranjo erinnert an die Anfänge der Universität, die Ende der 1990er-Jahre auf Drängen muslimischer Eltern initiiert wurde, um das Universitätsstudium junger Afrikaner zu fördern, die bereits in Comboni-Schulen unterrichtet wurden. Mit staatlicher Genehmigung gründeten die Comboni-Missionare dann 2001 in der Hauptstadt Khartum die Universität Comboni College of Science and Technology. Er betont, dass seit den 1990er- Jahren eine geschwisterliche Beziehung zwischen Katholiken und Muslimen besteht.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass damals islamisches Recht galt und es schwierige Jahre waren, in denen es für die islamische Regierung unmöglich schien, ein Universitätsprojekt der katholischen Kirche zu genehmigen. Aber dank der Zusammenarbeit zwischen Ortskirche, Comboni-Missionaren und Muslimen stimmte die Regierung zu. Wir teilen die Schwierigkeiten der Studenten, die Gebühren zu bezahlen, und wir suchen gemeinsam nach Unterstützern, die uns helfen“, so Pater Jorge.
Bis zum Ausbruch des Krieges konnte man am CCST Studiengänge in den Bereichen IT, Technik, Verwaltung, Management, Kunst und Literatur, Sprachen, Krankenpflege, Erziehung und Bildung belegen. Durch Kooperationen mit spanischen, italienischen und deutschen Universitäten findet ein Austausch auf internationaler Ebene statt. 2019 wurde ein Gründerzentrum für Startups eingerichtet.
Mission ist wie eine Ehe. Man läuft nicht weg, wenn es Probleme gibt. Und ich fühle mich bei den Menschen im Sudan zu Hause.
P. Jorge Naranjo
Freitag und Sonntag frei
Ungewöhnlich in einem muslimisch geprägten Land ist die Zusammensetzung von 50 Prozent muslimischen und 50 Prozent christlichen Student:innen, 50 Prozent von ihnen sind Frauen. Der Großteil der christlichen Student:innen sind jedoch Flüchtlinge, die vor allem aus dem Südsudan, Eritrea und Äthiopien kommen. Am College gibt es deshalb eine Kapelle für das christliche Gebet und in einem anderen Gebäude einige Räume für das Gebet der muslimischen Student:innen. Freitag und Sonntag sind die vorlesungsfreien Tage.
„Wir beten füreinander – wenn es ein Problem gibt, bitte ich meine muslimischen Brüder um ihr Gebet, und sie tun dasselbe. Wir betrachten uns als Brüder, die dasselbe Projekt, dieselben Herausforderungen und dieselbe Bildungs- vision teilen, wir suchen gemeinsam das Wohl aller, das Wohl dieses Landes“, so Pater Jorge.
Abrupter Einschnitt
Der Ausbruch des Bürgerkriegs im April 2023 veränderte alles. Pater Jorge wurde in seinem Heimaturlaub in Spanien davon überrascht, so dass seine Rückreise in sein Einsatzland verzögert wurde. Über Dubai und Kairo konnte er schließlich zurückkehren. Das College liegt in gefährlicher Nähe des Regierungssitzes in Khartum, wo Panzerangriffe stattfanden, weshalb Pater Jorge mit einem Teil der Dozent:innen und Student:innen in die zweitgrößte Stadt nach Port Sudan am Roten Meer umzog, wo die Comboni-Missionare auch eine Schule betreiben.
Dort steht jetzt ein Neuaufbau an. Neu ist ein Bachelor-Studiengang in Pflegewissenschaften, dazu gehört ein Kurs in Palliativpflege. Weil nicht alle Studenten mit nach Port Sudan umgezogen, sondern teils in alle Richtungen geflüchtet sind, erfolgt der Unterricht online, im Simulationslabor und in Partnerschaft mit Krankenhäusern.
Gefragt, warum er angesichts der Situation im Sudan bleibe, sagt Pater Jorge: „Mission ist wie eine Ehe. Man läuft nicht weg, wenn es Probleme gibt. Und ich fühle mich bei den Menschen dort zu Hause.“
Der Nil gilt als die Lebensader Ostafrikas. Im Herzen der Region liegt der Sudan. Dort bekämpfen sich seit April 2023 die beiden Generäle Al-Burhan und Mohamed Daglo. Man zählt über zehn Millionen Vertriebene und 150000 Todesopfer. „Das Gefüge der sudanesischen Gesellschaft ist zerrissen, die Menschen sind schockiert, traumatisiert und fassungslos über das Ausmaß an Gewalt und Hass“, so die Sudanesische Bischofkonferenz. Gut ein halbes Dutzend Staaten mischen als Kriegstreiber mit. Was die Streitkräfte eint, ist der rücksichtslose
Umgang mit der Zivilbevölkerung. Wichtige Infrastrukturen wie Krankenhäuser und Schulen wurden angegriffen. Die humanitäre Lage im Lande verschärft sich durch den Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten und Treibstoff. Über zwei Millionen Menschen sind vor allem in die Nachbarländer Tschad, Ägypten und den Südsudan geflohen. 10,7 Millionen sind innerhalb des Landes vor der Gewalt auf der Flucht. Die humanitäre Lage ist katastrophal. 26 Millionen Menschen hungern – mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes.
Im Schatten der Konflikte in der Ukraine und in Gaza leidet der Sudan unter internationaler Gleichgültigkeit. „Die Menschen leiden unter Hunger, Mangel an
medizinischer Versorgung und lebensnotwendigen Gütern wie Wasser“, beklagt der Bischof von El-Obeid, Tombe Trille Yunan.
Ulrike Lindner