Pater Walter Michaeler war mit Unterbrechungen über 35 Jahre in Peru im Einsatz. Seit 2018 ist er nun im Grazer Haus der Comboni-Missionare, wo er noch in der Seelsorge tätig ist. Hier schreibt er über seine Erfahrungen:
Priesterweihe in Brixen
1940 wurde ich als ältestes von drei Kindern zu Milland bei Brixen geboren. Mit viereinhalb Jahren verlor ich meinen Vater, der von drei Partisanen hinterrücks erschossen wurde. Meine Mutter zog sich nach Raas, in das Heimatdorf des Vaters, zurück und versuchte, uns drei Kinder als Witwe in der Nachkriegszeit unter ungeheuren Opfern voranzubringen. Ein Augustiner-Chorherr von Neustift, Heinrich Thaler, Pfarrer von Natz, aufgeschlossen für die Mission, legte bei mir den Samen der Berufung. So kam ich mit 12 Jahren ins Missionshaus Milland der Comboni-Missionare, wo ich 1966 mit zwei Mitbrüdern (Josef Knapp und Alois Angerer) im Dom zu Brixen zum Priester geweiht wurde.
Pozuzo – ein Tal wie in Tirol
Pozuzo liegt in den Ausläufergebirgen der Zentral-Anden am Amazonasbecken auf 820 m Meereshöhe, hat tropisches Klima und ist 1859 gegründet worden. 200 Nordtiroler (aus Silz, Heiming und Umgebung) und 100 aus dem Moselgebiet taten sich unter der Führung des Kaplans Josef Egg zusammen, um nach Peru auszuwandern. Drei Monate lang waren sie mit dem Fracht-Segler „Norton“, unterwegs, sieben Personen starben an Seekrankheit und Auszehrung. An die 30 Paare heirateten, in Europa wären sie ihr Leben lang nur Knechte oder Mägde gewesen. In Lima durften sie nicht an Land und mussten nach Huacho, einem kleinen Hafen nördlich, und da begann so richtig ihr Leidensweg. Die peruanische Regierung hatte dem Organisator versprochen, einen Weg bis nach Pozuzo für die Auswanderer zu errichten, Felder anzulegen und für die Verköstigung zu sorgen, doch die vorgesehenen Gelder benötigte man für den Krieg mit Chile.
Es gab große Widerstände, Rückschläge; Verzweiflung ließ an die 100 Auswanderer von einem Gelingen des Unternehmens absehen. Sie zogen sich zurück, vor allem die Jüngeren, nur die Familien mit vielen Kindern mussten durchhalten. Sie wurden ermutigt von ihrem charismatischen, tief frommen Pfarrer, der wie ein Moses seine Anvertrauten führte und die Nöte immer wieder Gott vorlegte. Als sie endlich an ihrem Bestimmungsort ankamen, fühlten sie sich wie in Tirol, ein offenes Tal am Huancabambafluss, alles gebirgig mit grünen Berghängen, fruchtbarem Boden, überall genügend Wasser und Land in Fülle. Nun hieß es die Gegend urbar zu machen, die Länder aufzuteilen, zusammenzuhalten; Männer und Frauen mussten schwere Aufbauarbeit leisten, doch sie waren fleißig und arbeitsam, und ihr gelebter christlicher Glaube gab ihnen die nötige Energie und Ausdauer.
1968 kam ich nach Peru
Sprachschulen als Vorbereitung kannte man damals kaum, so war es wie eine Fügung von oben, als ich nach einigen Monaten für Pozuzo, die deutsch-österreichische Kolonie, bestimmt wurde. Als ich im Mai 1968 bei ihnen eintraf, fand ich viel Vertrautes vor, die Bauweise der Häuser aus Holz mit Küche, Schlafzimmern und Erholungsraum, das Essen war reichhaltig, die Tierhaltung vertraut und der Tiroler Dialekt verständlich. Straßen gab es noch keine, die Maultierwege waren in der Regenzeit recht anstrengend, doch die Natur herrlich, einmalig.
Eine Woche für ein ganzes Jahr
Meine Aufgabe bestand darin, die mehr als 80 Außendörfer zu versorgen, die wegen der großen Entfernungen nur einmal im Jahr besucht werden konnten. Schon meine Vorgänger besuchten die entlegenen Stationen tief drunten im Urwald, hoch droben in den Anden auf 3500 m Höhe und auf dem Mittelgebirge. In den letzten Jahren war ich fast ständig unterwegs, wo ich manchmal bis zu zweieinhalb Monate von einer Siedlung zur anderen wanderte, die manchmal in drei bis neun Stunden Entfernung liegen mit 90 bis 450 Dorfbewohnern.
Meine Besuche waren immer angemeldet, die Dorfvorsteher und Katecheten wurden informiert, wann ich kommen und wie lange ich in jedem Dorf bleiben würde, und wo sie mich abholen sollten. Ein Maultier wurde zum Transport meines Rucksacks oder Reisesacks, vollgestopft mit Gewand, liturgischen Geräten und Büchern, mitgeschickt.
Ich selber staunte nur, wie gut alles funktionierte. In all den 30 Jahren in Pozuzo holten mich die Abgesandten pünktlich zur ausgemachten Zeit ab, auch wenn meine Informationen drei oder vier Monate zurücklagen. Es gab immer einen herzlichen Empfang, in manchen Orten schmückten Girlanden den Kircheneingang oder man stellte einen Triumphbogen aus Blumen auf. Von allen Richtungen kamen die Leute zusammen in den drei bis sechs Tagen meines Verweilens, je nach Größe des Dorfes, um ihre Kinder taufen zu lassen, um ihre Hochzeiten zu feiern, um für ihre Verstorbenen Gottes Barmherzigkeit herabzurufen, und viele kamen, um sich in der Beichte mit Gott zu versöhnen. Die Nachmittage waren für die Vorbereitung zur hl. Kommunion oder Firmung, und der Rosenkranz am Abend mit Erklärungen der Geheimnisse und Marienlieder wurde gerne angenommen. Die Leute sind einfache Bauern mit ihren kleinen Landwirtschaften. Kinderreiche Familien überall, wo man hinkommt, sie haben keinen Strom, keinen Fernseher, so ist genug Zeit um zusammen zu kommen, sich zu treffen und gegenseitig zu informieren. Sie lebten ohne Stress und gewissermaßen in Zufriedenheit.
Sicherlich liebt Gott diese einfachen Menschen in ganz besonderer Weise, für die er seinen Sohn hingegeben hat und wie glücklich darf ich mich schätzen, von dieser Liebe weitererzählen zu können. Ich freute mich jedes Jahr aufs Neue zu diesen entlegenen Ortschaften gehen zu können. Mitten unter diesen Leuten, völlig von ihnen abhängig, teilte ich mit ihnen das Leben, Freuden und Leiden. Von ihnen abhängig bezüglich der Unterkunft, wo manchmal die Flöhe einem die ganze Nacht über den Schlaf raubten, wo die Ratten über die Bettdecke sprangen, wo die Fledermäuse um den Kopf schwirrten. Beim Essen musste man sich begnügen, was sie einem vorsetzten, doch sie gaben ihr Bestes, hatten nichts Anderes. Dank einer guten Natur überwand ich alle Schwierigkeiten, und heute, wenn ich an diese Jahre zurückdenke, zähle ich sie zu den schönsten und glücklichsten meines Lebens, weil sie mich erfahren ließen, dass man im Leben sehr wenig braucht, um froh und glücklich zu sein, wenn man sich der gütigen Vorsehung des himmlischen
Vaters ausliefert.
P. Walter Michaeler