Dr. Ute Küppers-Braun ist Historikerin und lebt in Essen. Ein Thema, das sie schon lange beschäftigt, ist das Schicksal von ehemaligen Sklavenmädchen aus dem Sudan, die im 19. Jahrhundert, auch unter Daniel Comboni, freigekauft wurden und dann nach Europa kamen.

Josephine Bakhita (1869 – 1947) verbrachte 45 Jahre als Canossianerin in einer Niederlassung in Schio, Venetien. Sie gilt als Schutzpatronin der katholischen Kirche im Sudan.

Josephine Bakhita
Josephine Bakhita, 1947 als Canossianerin im italienischen Schio/Venetien gestorben, war die erste schwarzafrikanische Frau der Neuzeit, die (2000) heiliggesprochen wurde. Papst Benedikt XVI. bezeichnet sie in seiner Enzyklika Spe salvi nach ihrer Herkunft als „Patronin des Sudan“. Bakhita wurde im Alter von etwa sieben Jahren von Sklavenhändlern entführt, wochenlang durch die Wüste gezerrt und mehrmals verkauft. Brutalste Behandlung, Hunger und Durst waren ebenso alltäglich wie Schnitte am ganzen Körper, die mit Salz eingerieben wurden, um durch die Vernarbungen ihren Sklavenstand anzuzeigen.
Zahlreiche Publikationen in verschiedenen Sprachen (analog und digital), Youtube-Filme und sogar Romane lassen diese Biografie einzigartig erscheinen. Doch weit gefehlt! Ähnlich wie Bakhita erging (ergeht!) es Tausenden anderer Mädchen im Sudan, die als Sklavinnen verschleppt, verkauft und misshandelt wurden und werden.

Don Nicolò Olivieri (1792 – 1864)
gründete 1838 das „Werk für den Loskauf afrikanischer Mädchen“.

Losgekauft
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich katholische Laien in Europa in eigens für die Mission gegründeten Vereinen begeistert für Afrika engagierten, war es zunächst der Genueser Priester Nicolò Olivieri (1792-1864), der die „Pia opera pel riscatto delle fanciulle more“ ins Leben rief. Finanziell und ideell unterstützt von einflussreichen Kirchenmännern, Angehörigen des Hochadels und wohlhabenden Bürgern und Bürgerinnen, ließ er zwischen 1845 und 1864 mehr als 800 Mädchen auf dem Sklavenmarkt in Kairo kaufen, um sie christlich erziehen zu lassen. Ab 1851 reiste er mehrmals im Jahr selbst dorthin.
Im Ausland waren der Marienverein in Wien und der Kölner Verein zur Unterstützung der armen Negerkinder die wichtigsten Geldgeber.
Große praktische Hilfe fand Olivieri in seiner Haushälterin Nena und dem Trinitarier Biagio Verri (1819-1884), der das Rettungswerk bis zu seinem Tod fortsetzte. Wie Olivieri ignorierte auch Verri das Sklavereiverbot, das 1856 international in den Pariser Verträgen festgelegt worden war, und kaufte weitere 400 Mädchen, um sie illegal nach Europa zu schmuggeln.
Wichtigste Anlaufhäfen waren Marseille, Triest und Venedig, seltener auch Livorno und Genua. In Italien, Frankreich, Österreich, Bayern, Ungarn und Tschechien (nach heutigen Grenzen) wurde das Projekt von mehr als 700 Frauenklöstern aller Ordensgemeinschaften unterstützt, die – zumindest anfangs – sich beinahe darum rissen, losgekaufte Sklavenmädchen als „Geschenk des Himmels“ aufzunehmen.

Auch die Ursulinen in Klagenfurt nahmen einige Mädchen auf. Hier sieht man Mutter Constantia Gayer um 1860 mit den Mädchen. Foto: Archiv der Ursulinen, Klagenfurt.

Traumatische Erfahrungen
Doch schon wenn Olivieri mit einer Schar von acht oder zehn Mädchen vor der Pforte stand, mussten viele der Nonnen erkennen, dass sie sich geirrt hatten. Denn der Pater brachte selten niedliche kleine Kinder, die man verhätscheln konnte. Die meisten waren acht bis zwölf Jahre alt, manche schon in der Pubertät, alle hochgradig traumatisiert, verdreckt, verlaust, verletzt oder verkrüppelt und zerlumpt.
Verri gab den Salesianerinnen in Annecy später, als diese nur noch äußerst ungern schwarze Mädchen aufnahmen, Erziehungsinstruktionen für die neunjährige Marie, die an die Behandlung eines Kaspar Hauser erinnern: keine Liebkosungen, niemals ins Sprechzimmer, kein Kontakt mit den weißen Schülerinnen, kein Wein, nichts, was Leidenschaften und Eitelkeit weckt. Marie solle nur mit Küchendiensten und Handarbeiten beschäftigt werden. Diese Anweisungen erteilte er auch anderen Oberinnen. Darüber hinaus verlangte die Kurie von allen Klöstern, in denen die päpstliche Klausur beachtet wurde, dass diese auch für die afrikanischen Kinder gelte, was im schlimmsten Fall bedeutete, dass auch für den Besuch eines Arztes eine Genehmigung eingeholt werden musste. Nicht alle Oberinnen haben sich daran gehalten.

Relativ frei ging es in bayerischen und österreichischen Klöstern zu; zum Beispiel in Beuerberg und bei den Ursulinen in Klagenfurt durften die schwarzen Mädchen in Theaterstücken mitwirken und kleine Musikstücke, die sie einstudiert hatten, zum Besten geben, wenn kaiserliche oder königliche Besucher zu Gast waren. In Eichstätt und Brixen/Mühlbach nahm die Äbtissin die Mädchen manchmal auf ihren Reisen mit, um ihnen ein wenig Abwechslung zu bieten.

Grabstein von
Elisabeth Sedlmara in der Klostergruft von St. Walburg in Eichstätt. Sedlmara war eines von drei Mädchen, die dort von den Benediktinerinnen aufgenommen wurden.

Hohe Sterberate
Allen Klöstern in ganz Europa gemein war die enorm hohe Sterberate bei den losgekauften Mädchen: 75 Prozent von ihnen starben innerhalb der ersten zwei Jahre entweder an mitgebrachten schweren Leiden oder an europäischen Krankheiten, zum Beispiel an der damals weit verbreiteten Tuberkulose. Unerträgliche Schmerzen mussten Mädchen wie Kaïsale in Bourg-en-Bresse oder Amna in Pinerolo erdulden, deren Tumore im Unterleib durch umgebundene Eisengürtel behandelt wurden. Solche Kinder galten als besonders auserwählte Seelen, die sich durch ihre Leidensbereitschaft und Fügung in Gottes Willen in der Nachfolge Jesu besonders üben durften. Oft übernahmen die Mädchen bereitwillig dieses Denkschema.

Seelenrettung
Olivieri sah in all diesen viel zu frühen Todesfällen kein Manko seines Projekts. Er konnte diese Mädchen zwar nicht mehr als zukünftige christliche Mütter oder als Lehrerinnen nach Afrika zurückbringen, doch das war ihm nicht so wichtig wie die Rettung der Seele eines losgekauften Mädchens durch die Taufe. Nicht selten kaufte er deswegen gerade solche Sklavenkinder, die schon vom Tode gezeichnet waren.
Von den überlebenden Mädchen haben vielleicht zwanzig den Schleier genommen; Zeinab Alif aus Kordofan, später Suor Maria Giuseppina Benvenuti, ist Novizenmeisterin, dann Äbtissin der Klarissen in Serra de‘ Conti geworden. Sie starb 1926.
Nach Afrika zurückkehren konnten von den Mädchen nur die, für die das jeweilige Kloster die Rückreise finanzierte und organisierte; sie lassen sich an einer Hand abzählen.

Daniel Comboni
Als Daniel Comboni 1867, dem Jubiläumsjahr St. Petri, mit zwölf afrikanischen Mädchen, die ebenfalls im Sudan gekauft beziehungsweise ‚abgelöst‘ und im Istituto femminile des Don Mazza, dem Lehrer Combonis, für die Mission gründlich ausgebildet worden waren, nach Afrika reiste, nahm er einige von ihnen aus Salzburg und Venedig mit. Vor ihrer Reise nach Marseille verbrachten die Mädchen einige Wochen in Rom, wo Comboni sie Papst Pius IX. vorstellen durfte. Der Papst unterhielt sich zwei Stunden mit den afrikanischen Mädchen während der Audienz am 7. Mai. Ihr Werdegang und ihre Schicksale verdienen es, andernorts geschildert zu werden.
Im Gegensatz zu Nicolò Olivieri, dem es vorrangig um die Rettung des Seelenheils der von ihm freigekauften Sklavinnen ging, wollte Comboni mit diesen als Katechetinnen ausgebildeten ehemaligen Sklavenkindern gewissermaßen den Grundstock für eine afrikanische Kirche legen.

Ute Küppers-Braun