Liebe Freunde, Verwandte und Bekannte!

An den Beginn dieses letzten Rundbriefes aus Brasilien möchte ich ein Gebet stellen, das ich sehr schön finde:

Hilf mir Herr

Hilf mir Herr, zu lieben, wie du mich liebst und zu verstehen, wie du mich verstehst.

Lehre mich Herr, die anderen so anzunehmen, wie du mich annimmst, sie zu respektieren, so wie du mich respektierst und sie mit Geduld auszuhalten, so wie du mich mit unendlicher Geduld aushältst.

Hilf mir Herr, zu vergeben, wie du mir vergibst und den anderen all das Gute zu tun, das du auch für mich tust. Her, du nimmst mich an, wie ich bin, hilf mir diejenige zu sein, die du willst, dass ich sei, dir gleich in der Liebe.

Verwandle mein Herz, dass es gut sei, gerecht, sanft, geduldig, verständnisvoll, großzügig, tolerant und voll von Erbarmen, damit ich durch meine menschliche Liebe, die deiner ähnlich ist, meinen Geschwistern Freude bringen kann, Frieden, Trost, Hoffnung, Vergebung und die Erlösung durch deine göttliche Liebe. Amen.

Wie immer, zu Beginn einen kurzen Überblick über den Rundbrief, damit ihr die Teile auswählen könnt, die euch besonders interessieren:

  • Der 1. Teil ist wieder meiner Basisgemeinde gewidmet, die mir so sehr ans Herz gewachsen ist.
  • Im 2. Teil kann ich von Erfolgen in der Schwangeren- und Kleinkinderpastoral berichten.
  • Als 3. Teil teile ich mit euch ein paar persönliche Gedanken, die mich immer wieder auf den Weg ins Gefängnis begleiten. In diesem Text kommt ein wenig von einer Spiritualität des Trotz-Alledem zum Ausdruck, die mir in diesen Jahren wichtig geworden ist.
  • Im 4. Teil geht es um die alltägliche Tragik der Gefängnispastoral. Es ist ein Kapitel, das sehr traurig stimmt.
  • Der 5. Teil beschreibt mein/unser Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte.
  • Im 6. Teil kann ich von absolut unerwarteten, aber interessanten Neuigkeiten in der Kommission Justitia et Pax berichten.
  • Der 7. Teil beschreibt ein wenig, was sich sonst noch tut.
  • Im 8. Teil mache ich mir Gedanken über das Heimkehren und der neunte und letzte Teil ist ein paar persönlichen Gedanken gewidmet.

1. Teil: meine Basisgemeinde

Versprechen der Landesregierung für Überflutungsopfer nicht eingehalten

In meinem letzten Rundbrief habe ich von der Situation einiger Familien geschrieben, deren Häuser zusammengefallen sind bei einem starken Regen und einer Überflutung, die dadurch hervorgerufen wurde, dass ein Damm nicht geöffnent wurde und so das Wasser in Richtung der Häuser zurückgeschwemmt wurde. Es wurden ihnen von der Landesregierung Häuser versprochen. Nun gab es vor ein paar Tagen einen offiziellen Akt des Gouvernadeurs, der 100 Häuser für die Bewohner von Sá Viana versprach und die Familien nannte. Allerdings war keine der Familien dabei, die wir kennen und die wirklich betroffen waren. Es scheint mir ein böses Spiel zu sein, denn es macht sich politisch gut vor der Kamera, 100 Familien Häuser zu schenken. Letztlich prüft aber keiner nach, ob die Familien wirklich diejenigen sind, die von der Überflutung betroffen waren …

Dezember – der Monat der Sakramente

Da im Dezember alle ihr 13. Monatsgehalt bekommen und außerdem in diesem Monat das Schuljahr zu Ende geht, geschehen in diesem Monat 80% der Taufen, Erstkommunionen und Firmungen. In meiner Basisgemeinde gab es jedes Wochenende ein anderes wichtiges Event. Heuer gab es keine Firmung (die nächste wird es erst in zwei Jahren geben), aber dafür einmal die Taufe der Kleinkinder, dann die Taufe der Kinder, die schon an der Katechese teilnehmen und die Erstkommunion von den Jugendlichen. Dementsprechend stressig ist der Monat November, in dem einerseits die Taufvorbereitung der Eltern der Kleinkinder stattfindet, aber auch alle anderen Planungsarbeiten, Erstbeichte für die Jugendlichen, die Erstkommunion haben etc. Ich wurde eingeladen, ein paar Vorträge in der Taufvorbereitung zu halten und war erstaunt über die Anzahl der Eltern, die zu diesen Treffen kamen. Tatsächlich taufen ließen von ihnen nur ein kleiner Teil ihre Kinder. Vielen fehlte im letzten Moment doch noch das Geld oder der Pate.

Jugendliche erleben ihre Erstkommunion in einer sehr tiefen Gottebeziehung

Ich wurde auch gebeten, den Einkehrtag für die Jugendlichen vor der Erstkommunion zu halten. Das war eine interessante Aufgabe, denn die Jugendlichen waren im Alter von 13 bis 17 Jahren. In diesem Alter ist die Auseinandersetzung mit der Eucharistie und der Hingabe Jesu schon viel tiefer als bei den Erstkommunionkindern in Österreich, die zum ersten Mal mit 7 Jahren die Eucharistie empfangen dürfen. Ich war vom Glauben der Jugendlichen sehr beeindruckt, von ihrer Ernsthaftigkeit, ihrem Wunsch, Jesus nachzufolgen und dieser Einkehrtag wurde für mich eine der erfüllendsten Erfahrungen, die ich in meiner Basisgemeinde machen durfte.

Lebendige Krippe am 6. Jänner

Heuer veranstalteten die Basisgemeinden erstmals „Lebendige Krippen“ am 6. Jänner. Diese gute Idee, die P. Roberto eingebracht hat, war sehr erfolgreich. So bauten jeweils zwei oder drei Basisgemeinden an einem strategisch interessanten Ort in ihrem Viertel einen Stall auf, mit einer Krippe, in der die Kinder und Jugendlichen Maria, Josef, 3 Weisen, Engel und das Jesuskind darstellten. In meiner Basisgemeinde waren alle so sehr davon begeistert, dass es zu einem regelrechten Stau beim Ausgang der Kirche kam, weil alle die Krippe sehen und fotographieren wollten. Die Passanten wurden eingeladen – so wie die Weisen – dem Kind in der Krippe ihre Gaben zu bringen, besonders erbeten wurden nicht verderbliche Lebensmittel, die danach an die besonders Armen in der Basisgemeinde verteilt wurden. Es war ein schönes Signal der Solidarität. Gleichzeitig hat meine Basisgemeinde an demselben Tag eine Verlosung von einigen Preisen veranstaltet – zugunsten des Baus unserer Kirche.

Der Traum von unserer Kirche

Ein Traum, den meine Basisgemeinde schon sehr lange träumt, ist der von einer größeren Kirche, da unser Allzweckraum, der auch als Kirche dient, mit 40 Quadratmetern sehr klein ist und vieles nicht verwirklicht werden kann. So trafen wir uns einige Male mit Rôgerio, der ein Freund von mir ist und als Architekt arbeitet. Er hat für uns ein Projekt ausgearbeitet, das sehr schön aussieht, eine einladende achteckige Kirche mit 100 Sitzplätzen und zwei angrenzenden Räumen für diverse Gruppentreffen. Meine Basisgemeinde macht regelmäßig Aktionen, um Geld zusammenzubekommen, aber das ist sehr schwer, weil alle Leute, die in der Basisgemeinde wohnen und es sich leisten können, wegen der schwierigen Lebensbedingungen im Jambeiro von dort wegziehen. Leider gab es in den letzten Monaten immer wieder Meldungen von Bewohnern vom Jambeiro, die auf dem Grund, der für unsere Kirche bestimmt ist, ihre Häuser bauen wollen. Deshalb ist die Basisgemeinde im Zugzwang und muss mindestens einmal das Fundament bauen, um eine Invasion in unser Grundstück zu verhindern. Die Basisgemeinde versuchte noch auf verschiedene Arten Geld zusammenzubekommen, doch es war unmöglich, vor Beginn der Regenzeit das Fundament zu bauen, denn die für den Bau des Fundamentes nötigen Geldmittel betragen 9000 Reais (etwa 5300 Euro) und das ersparte Geld bisher war 6000 Reais (etwa 3500 Euro).

Aber die Basisgemeinde wird nicht aufgeben und wir hoffen, mit Ende der Regenzeit zumindest das Fundament setzen zu können.

10 Meter heruntergefallen

Einen großen Schreck hat uns allen die Nachricht versetzt, dass der Vater von Kerlys bei seiner Arbeit 10 Meter heruntergefallen ist und auf der Intensivstation des Krankenhauses sei. Er hatte für einen Baumeister Arbeiten verrichtet (natürlich unangemeldet) und es war ihm nicht erlaubt worden, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, um das Bauwerk nicht zu beeinträchtigen. Als er dann in 10 Meter Höhe auf einem Brett stand, brach dieses durch und er stürzte in die Tiefe. Er versuchte noch sich mit einer Hand festzuhalten, doch diese riss durch. Er überlebte den Sturz, doch seine Hand war stark verletzt und seine Hüfte war in die Rippen hinaufgeschoben.

Er musste einige Wochen auf die Operation warten, weil keine Ärzte verfügbar waren, und seine Familie, die er finanziell unterhalten hatte, stürzte in eine absolute Krise. Die Mutter von Kerlys begleitete ihn im Krankenhaus, denn hier ist es üblich, dass jemand von der Familie rund um die Uhr bei dem Kranken ist, um viele Dienste zu verrichten, die in Österreich vom Krankenhauspersonal übernommen werden – Versorgung mit Essen, Waschen, etc. Als ich die Mutter von Kerlys nach ein paar Tagen sah, erschrak ich, denn sie wirkte um Jahre gealtert. Sie sagte, dass sie nicht die Möglichkeit hatte, vom Krankenhaus nach Hause zu kommen und dort praktisch nichts esse, weil sie absolut kein Geld mehr im Haus habe. Dank eurer Spendengelder konnte ich die Familie in der schwierigsten Zeit ein wenig unterstützen. Jetzt sind wir dabei, das Arbeitsgericht einzuschalten, da sämtliche Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt wurden. Der Vater von Kerlys wird vermutlich an den Rollstuhl gebunden bleiben, aber davon ist derzeit noch nicht die Rede, weil er noch bettlägrig ist. Außerdem wird die Familie von Kerlys darum kämpfen müssen, dass sie für ihn einen Rollstuhl bekommen. Diesen kann er allerdings nicht im Haus von Kerlys verwenden, weil es auf einem Hügel gebaut ist und man dorthin praktisch klettern muss. Schon für Personen, die gut zu Fuß sind, ist es in der Regenzeit bei all dem Schlamm schwierig, den Hügel hinaufzuklettern. Wie sich die Familie weiter über Wasser halten wird, ist fraglich. Die Mutter von Kerlys hat vor kurzem ihre Arbeit gekündigt, um auf das Baby von Kerlys aufpassen zu können, damit diese die Chance hat, die 2. Klasse Oberstufe zu machen.

Wähle das Leben – Die Fastenkampagne dieses Jahres

Wie jedes Jahr hat auch heuer die brasilianische Bischofskonferenz ein Thema für die Fastenzeit erarbeitet. Dieses Jahr geht es um den Einsatz für das Leben. Das ist sicherlich eine Reaktion auf die Vorschläge zu Gesetzesänderungen, die die Abtreibung legalisieren wollen. Andererseits umfasst das heurige Thema neben der Frage der Abtreibung auch jene der Euthanasie, der Stammzellenforschung etc.

Da die Fastenkampagne hier immer am Aschermittwoch beginnt und ich heuer den Aschermittwochswortgottesdienst leiten durfte, habe ich versucht, die Themen anzusprechen. Dabei habe ich gemerkt, wie weit die Themen der Euthanasie und Stammzellenforschung von der Realität der Menschen in meiner Basisgemeinde entfernt sind. Hier kämpft jeder ums Leben und für den, der alt ist und dringend ein Krankenhaus braucht, kommt die Rettung oft erst viel zu spät. Die Frage der Euthanasie ist eine Frage der Reichen, die sich eine gute medizinische Versorgung leisten können. Die Armen sterben, bevor diese Frage überhaupt Thema wird. Noch weiter entfernt von der Denkwelt der Menschen im Jambeiro ist die Stammzellenforschung. Das sind wichtige Fragen, aber sie haben nichts mit dem Leben der Armen von hier zu tun. Besonders erschreckend war es für mich, als das Thema in der Diözese für Multiplikatoren in den Pfarren und Basisgemeinden vorgestellt wurde und ich merkte, wie schlecht diejenige informiert war, die den Kurs gab. Wenn nicht einmal diejenigen, die die Vorträge in der Diözese halten, eine Ahnung von der Sache haben, wie dann die einfachen Leute in der Basisgemeinde?

Show zur Vorbereitung der ArbeiterInnenwahlfahrt

Auch heuer wird es wieder am 1. Mai die „Romaria dos Trabalhadores“ geben, eine Wahlfahrt der ArbeiterInnen, die jeweils das Thema der Fastenkampagne auf unsere Realität übersetzt und versucht, in unserem Viertel konkrete Änderungen herbeizuführen. In der Vila Embratel ist der Einsatz für das Leben sehr stark ein Einsatz für Gesundheitsversorgung. Deshalb wird die ArbeiterInnenwahlfahrt einen großen Schwerpunkt auf die schlechte Gesundheitsversorgung in unserem Viertel legen. In der Vorbereitung auf diese Wahlfahrt gibt es etliche Veranstaltungen, wie ein Churrasco (Grillerei), deren Einnahmen der Veranstaltung zugute kommen, einen Vorbereitungskurs zu dem Thema und heuer gab es erstmals eine Show, bei der KünstlerInnen aus unserem Viertel auftraten. Aber es kam auch Roberto Ricci, ein Künstler aus einem anderen Viertel, der aus seiner Gitarre unheimliches herausholt. Seine Kunst ist eindrucksvoll und besonders beeindruckt hat viele, dass er trotz seiner Blindheit sein Talent so stark entwickeln konnte. Die Show war ein großer Erfolg und ich fand es besonders schön, die Leute von der Pfarre einmal nicht nur bei der gemeinsamen Arbeit zu treffen, sondern auch einmal gemeinsam etwas Schönes zu erleben.

5 Dimensionen von Kirche in der Pfarrversammlung und Basisgemeindenversammlung

P. Roberto half uns, die Realität unseres Engagements in der Kirche zu reflektieren anhand eines Schemas von 5 Dimensionen der Kirche, die ich sehr interessant finde. Die Kirche hat nach diesem Schema die Dimensionen einer empfangenden/willkommen heißenden Kirche, der betenden Kirche, der samaritanischen (caritativen) Kirche, der prophetischen Kirche und der missionarischen Kirche.

Unsere heurige Pfarrversammlung ging vom Text von Aparecida aus, in dem sehr stark der missionarische Aspekt der Kirche hervorgehoben wird. Die Pfarrversammlung versuchte, den Ansatz von Aparecida auf unsere Pfarre zu übersetzen. So entstanden zwei Schwerpunkte für die nächsten 4 Jahre. Ein Schwerpunkt soll auf eine sozial-politische, biblisch-liturgische und missionarische Ausbildung gelegt werden, andererseits will die Pfarre ihre missionarische und samaritanische Dimension stärken. So gab es schon auf Pfarrebene ein Treffen der Gruppen, die in der samaritanischen Dimension der Kirche agieren, bei dem beschlossen wurde, die Arbeit der verschiedensten Gruppen den verschiedensten Basisgemeinden zugängig zu machen.

Bei unserer Basisgemeindeversammlung sind wir von diesen Dimensionen ausgegangen und haben unserer Realität reflektiert und folgende Schwerpunkte für das kommende Jahr gesetzt: Als willkommen heißende Kirche wollen wir die Kinder mehr einbeziehen, als betende Kirche mehr in die Vorbereitung der Gebetstexte investieren, als samaritanische Kirche einmal im Monat einen Gottesdienst der Solidarität feiern, bei dem jeder etwas Essbares mitnimmt, das dann mit den Menschen in Notsituationen geteilt wird, als prophetische Kirche wollen wir gegen den Stimmenkauf bei den kommenden Wahlen aufztehen und Anzeigen erstatten und als missionarische Kirche Straßengruppen organisieren, die sich einmal pro Woche während der Fastenzeit in einem Haus treffen und gemeinsam beten.

Materialien für Katechese

Erst im letzten Jahr ist mir bewusst geworden, wie schlecht die Katechistinnen meiner Basisgemeinde mit Material ausgerüstet sind. Vor allem junge Katechistinnen sind überfordert, alle Themen selbst zu entwickeln und dadurch verliert die Qualität der Katechese. In der Basisgemeinde wird immer gesagt, dass wir sparen müssen, weil wir ja die Kirche bauen wollen und so fließt der Teil des Kirchenbeitrages, der bei uns in der Basisgemeinde bleibt (das sind etwa 30 bis 40 Reais monatlich, also etwa 20 Euro, der andere Teil geht an die Pfarre), auf das Baukonto und es werden nie Materialien gekauft, mit denen die Katechistinnen arbeiten können. Das ist natürlich ein Teufelskreislauf, weil je schlechter die Qualität der Katechese ist, desto weniger nehmen teil und desto weniger Kirchenbeitrag kommt herein etc.

Als ich mit den verschiedensten Katechistinnen sprach, meinten sie, dass sie sehr gerne Bücher hätten, aus denen sie Ideen für die Katechese beziehen können und für die kleineren Kinder religiöse Kinderbücher, ein paar DVDs etc. So beschlossen wir, uns gemeinsam umzusehen, welche Materialien es gibt und wir machten eine Liste von dem, was gut wäre, um sinnvoll arbeiten zu können. Dank einiger Spenden, die nicht für ein konkretes Projekt zweckgerichtet waren, konnten wir eine Mini-Bibliothek in der Basisgemeinde einrichten, mit ein paar DVDs zu biblischen Themen, einer Kinderbibel, ein paar religiösen Kinderbüchern, ein paar methodischen Behelfen und Büchern zur Einführung in den Glauben, Erstkommunion und Firmung, sowie Basiswissen für die Katechistinnen.

Außerdem sind ein paar Katechistinnen an mich herangetreten, damit wir gemeinsam die Jahresplanung machen, um ihnen ein wenig Sicherheit zu geben. Es sind ferner mit den Katechistinnen noch weitere Treffen geplant, um diese Behelfe methodisch gut einzusetzen. Ich glaube, dass das für unsere Basisgemeinde ein großer Schritt nach vorne ist. Ebenso ist noch geplant, ein paar liturgische Behelfe für die Basisgemeinde zu besorgen, um die WortgottesdienstleiterInnen zu unterstützen. Denn eine qualitative Liturgie und Katechese stärkt eine Gemeinde sehr.

2. Teil: Erfreuliche Fortschritte in der Schwangeren- und Kleinkinderpastoral

Von Haus zu Haus mit einer Mission

An dieser Stelle darf ich euch etwas berichten, was ich absolut nicht erwartet habe. Zufälligerweise traf ich bei einem Treffen auf Diözesanebene Rosângela, die neue Diözesanverantwortliche der Schwangeren- und Kleinkinderpastoral. Als wir ins Gespräch kamen, erzählte ich ihr, dass es bei uns in der Basisgemeinde Leute gibt, die gerne die Grundausbildung machen würden, aber dass wir immer zu spät informiert worden sind, wenn diese Kurse stattfanden. Deshalb verloren viele Ehrenamtliche die Lust, zum Mitarbeiten, weil sie nach ein, zwei Jahren nicht mehr daran glaubten, jemals an einem Kurs teilnehmen zu können. Andere – wie Domingas – machten die Arbeit, ohne jemals den Grundkurs gemacht zu haben, unter meiner Anleitung. Auf jeden Fall war die Situation recht unzufriedenstellend.

Rosângela meinte darauf, dass die Schwangeren- und Kleinkinderpastoral auch gerne in unserer Basisgemeinde einen Grundkurs anbieten kann. Dafür wäre es aber sinnvoll, vorher missionarische Hausbesuche zu machen und die Leute einzuladen, als Ehrenamtliche in der Schwangeren- und Kleinkinderpastoral mitzuarbeiten. So kam es, dass wir zwei Nachmittage lang bei starken Regenfällen durch den Schlamm von Haus zu Haus gingen und Leute zur Mitarbeit einluden. Auf diese Weise konnten wir 6 Frauen für diese Arbeit gewinnen, von denen ein Großteil sonst in der Basisgemeinde nicht engagiert ist. (Das ist wichtig, weil sonst immer dieselben Leute in mehreren Bereichen gleichzeitig engagiert sind und damit überfordert sind.) Außerdem konnten wir einige andere Frauen gewinnen, die uns als Unterstützerinnen bei den „Feiern des Lebens“ beistehen. (Das sind die Treffen mit den Müttern, bei denen wir mit den Kindern und Müttern beten, spielen, über Themen der Gesundheit, Erziehung etc. sprechen und die Kinder abwiegen.)

Ausbildung für 6 neue „Líderes“ im Viertel

Inzwischen sind wir schon mitten in der Ausbildung für die neuen Ehrenamtlichen, die 15 Nachmittage umfasst. Die sechs Frauen sind sehr begeistert von der Arbeit der Pastoral da Criança, sie lernen die einzelnen Phasen der Schwangerschaft und des Kleinkindalters kennen und werden trainiert, Schwierigkeiten zu erkennen, Impfpässe zu lesen, zu erkennen, wann Kinder unterernährt sind, die Kinder abzuwiegen, die Daten zu registrieren und zu intervenieren, wenn die Gesundheit oder das Leben eines Kleinkindes oder einer Schwangeren in Gefahr ist. Die einzige Sorge, die mich beschäftigt, ist, wie wir die „Feiern des Lebens“ in der Zukunft mit all den Kindern und Müttern machen können. Es ist nämlich heute schon unsere 40 Quadratmeter große Kirche sehr klein, wenn sich darin 15 Erwachsene und 30 Kinder im Kleinkinderalter aufhalten. (Wir haben nämlich nur diesen einen Raum, der zu allem dient – als Kirche, für die Katechesegruppen, für die Pastoral da Criança, etc.) Ich weiß nicht, wie die „Feiern des Lebens“ funktionieren sollen, wenn sich dann in dieser kleinen Kirche 45 Erwachsene und 90 Kinder treffen sollten. Das ist ein weiterer Grund, warum ich den Bau einer größeren Kirche für notwendig halte.

Die „Feiern des Lebens“

Inzwischen haben sich die Treffen mit den Schwangeren und Müttern von Kleinkindern in unserer Basisgemeinde sehr gut entwickelt. Es nehmen immer mehr Mütter mit ihren Kindern teil, es entwickeln sich viele neue Freundschaften und ich merke, dass die Mütter immer lieber kommen und auch merken, dass diese Treffen für sie und die Kinder wertvoll sind. Allerdings wird es auch immer schwieriger, mit der großen Schar der kleinen Kinder Ruhe in den Raum zu bringen, um die Themen zu besprechen und gemeinsam zu beten. In anderen Basisgemeinden gibt es Leute, die mit den Kindern in einem Raum spielen, während die anderen an einem anderen Ort mit den Müttern sprechen und beten. In unserem Fall ist das nicht möglich, weil wir eben nur einen Raum haben. Mit Erwachsenen ist es möglich, auszuweichen und die Treffen in der Trockenzeit unter freien Himmel auf der Straße vor der Kirche zu machen. Mit den Kleinkindern geht das nicht, das ist viel zu gefährlich. So sind wir darauf angewiesen, alles gleichzeitig in dem kleinen Raum zu machen und müssen so manche Abstriche machen in den Gesprächen mit den Müttern und perfektionieren uns in der Kunst der Improvisation.

Erstmals Unterstützung durch die Pfarrverantwortliche

Vor zwei Jahren wurde auf Pfarrebene eine Verantwortliche der Schwangeren- und Kleinkinderpastoral gewählt, die allerdings mehr ihre eigenen Schäfchen ins Trockene holte, als an das Ganze zu denken. So kam es, dass viele Gruppen der Pastoral da Criança, die auf Ebene von ihrer Basisgemeinde agierten, mit ihrer Arbeit aufhörten. Es blieben außer unserer Gruppe nur zwei andere Gruppen übrig. Eine von beiden ist in einem Gesundheitszentrum angesiedelt, die andere in einem Kindergarten.

Gemeinsam ist den beiden Gruppen, dass die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von einer Italienerin jeden Monat für ihre Arbeit einen Korb mit Grundnahrungsmittel bekommen und deshalb alles tun, was die Italienerin sagt. Auch die Pfarrverantwortliche der Pastoral da Criança ist in dieser Weise von der Italienerin abhängig. Da die Italienerin meint, dass die Ehrenamtlichen in den beiden Zentren auch Pastoral da Criança machen müssen, machen sie es, aber ohne wirkliche Lust und Hingabe. So werden z.B. Statistiken ausgefüllt, ohne die Kinder zuhause besucht zu haben und es werden irgendwelche Zahlen angegeben. Immer wieder will die Italienerin Fotos von den Kindern und der Arbeit, sowie die Adressen der Familien. Und mit Fotos von unterernährten Kindern kann man in Europa viel Geld machen. Die Italienerin hat nie irgendwelche Abrechnungen gezeigt und auch von dem Geld, das von der Diözesanverantwortlichen an die Pfarrverantwortliche gegangen ist, hat die Pastoral da Criança in unserer Basisgemeinde nie etwas gesehen.

Als es nun in den letzten Monaten zwei Treffen gab, bei denen sowohl die Italienerin als auch ich anwesend waren, habe ich sie konfrontiert. Die Konsequenz dieser relativ harten Diskussionen ist nun, dass die Pastoral da Criança unserer Basisgemeinde nun erstmals eine Unterstützung weitergeleitet bekam, die die Pastoral da Criança auf Pfarrebene durch die Pastoral da Criança auf Diözesanebene bekommt. Es handelt sich hierbei lediglich um 5 Euro im Monat, aber dieses Geld hilft, um ein paar Säckchen „Multimixtura“ (hochwertiges Nahrungsmittel, das in die Nahrung von unterernährten Kindern zu mischen ist) zu kaufen, das wir den Müttern für ihre unterernährten Kindern geben können.

Bisher waren es vor allem die Gelder, die ich von euch für die Pastoral da Criança bekommen habe, die wir für diese Arbeit verwendet haben. So haben wir von euren Spendengelden „Multimixtura“ gekauft, im Notfall mit Lebensmittel für die Mütter und Kleinkinder ausgeholfen, vor kurzem eine Mutter beim Kauf einer Kindermatratze unterstützt und eine andere beim Kauf einer Gasflasche zum Kochen, eine andere Familie unterstützt, deren Haus zusammengebrochen ist und auch die Früchte gekauft, die wir bei jeder „Feier des Lebens“ mit den Kindern essen, um die Eltern daran zu gewöhnen, bei der Ernährung ihrer Kinder – auch bei Geldknappheit – nicht auf die Vitamine zu vergessen, etc.

Wichtig ist mir aber, dass diese Arbeit auch weitergeht, wenn ich weg bin. Deshalb werde ich die Spendengelder, die an die Pastoral da Criança gingen und noch übrig sind, an Domingas weiterleiten. Ich habe mit ihr nun 3 Jahre gearbeitet und schätze sehr ihr genaue Art, mit Geld umzugehen und selbst wenn sie und ihre Familie durch finanzielle Krisen ging, hat nie etwas in der Kassa der Pastoral da Criança von unserer Basisgemeinde (die wir in ihrem Haus aufbewahrt haben) gefehlt.

Sterilisation – die gängige Verhütungsmethode

Ein Thema das in der Begleitung von den jungen Müttern immer wieder angesprochen wird, ist die Sterilisation. So zum Beispiel hat mir vor ein paar Tagen eine 20-jährige, die das vierte Kind erwartet, gesagt, dass sie sich im Rahmen der Geburt sterilisieren lassen will. Einen Tag darauf haben zwei junge Mütter, die beide 21 Jahre alt sind, gesagt, dass sie sich so bald wie möglich sterilisieren lassen wollen, eine davon nach dem ersten Kind, die andere nach dem zweiten. Da kam eine Nachbarin dazu, die jetzt 30 Jahre als ist und sich vor 7 Jahren nach der Geburt ihres ersten und einzigen Kindes sterilisieren ließ und meinte, dass sie diesen Schritt nun sehr bereue, weil sie nun einen anderen Partner habe und dieser mit ihr Kinder wolle.

Im Viertel von meiner Basisgemeinde ist – wie vermutlich in ganz Brasilien – die gängigste Verhütungsmethode die Sterilisation, die Pille ist hierzulande verschrieen als gefährlich für die Gesundheit und Kondome werden vor allem den Jugendlichen im Karneval und zu den Junifesten angepriesen. Die geringere Geburtenrate geht aber, meines Erachtens, vor allem darauf zurück, dass sich fast alle Frauen sterilisieren haben lassen. Dass dadurch natürlich nicht die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten und AIDS unterbunden wird, ist vielen nicht so ganz bewusst.

Mich selber schreckt die Leichtigkeit, mit der viele Frauen sich Anfang 20 sterilisieren lassen, vielfach durch den Rat gut meinender Ärzte. Immer wieder finde ich mich in Gesprächen mit den Müttern, in denen ich sie frage, ob sie das wirklich wollen und sie darauf aufmerksam mache, dass sie damit eine Entscheidung für ihr ganzes Leben treffen.

Noch ein Tod einer Schwangeren und ihres Kindes

Seit ich mich in der Pastoral da Criança in der Basisgemeinde Jambeiro engagiere, sind leider schon einige Schwangere, sowie junge Mütter nach der Geburt und Neugeborene gestorben. Gott sei Dank war keine der von uns betreuen Mütter oder Kinder dabei, aber es bleibt immer die Frage, ob die Mütter und Kinder überlebt hätten, wenn wir sie begleitet hätten. So hat vor einer Woche der Tod einer 28-jährigen Mutter in meiner Basisgemeinde Wellen geschlagen. Sie starb bei der Geburt, weil sie ein 4 kg schweres Myom mit sich trug. Das Kind überlebte die Geburt, aber starb ein paar Tage später. Die Frau hinterlässt eine 8-jährige Tochter. Es tut weh, solche Schicksale zu sehen. Einerseits steigt in mir ein großer Unmut gegen das Gesundheitssystem auf, für das die Armen nicht zählen, weil sie keine private Versicherung haben und die deshalb medizinisch sehr schlecht betreut werden. Andererseits weiß ich, dass, wenn wir die Frau im Rahmen der Pastoral da Criança begleitet hätten, wir schon Wochen früher darauf gedrängt hätten, dass sie neuerlich zum Arzt gehen sollte. Sie hatte zwar alle Pränatalen Untersuchungen gemacht, aber wurde dabei sehr oberflächlich behandelt. In solchen Fällen greifen wir ein und fordern eine gute medizinische Behandlung der Frau. Leider war unsere Betreuungskapazität bisher auf 30 bis 40 Kleinkinder bzw. Schwangere beschränkt (maximal 19 pro Ehrenamtlichen) und wir haben uns entschieden, zunächst die Schwangeren und Kleinkinder zu betreuen, die in den ärgsten Elendssituationen leben. Da die junge Mutter, die gestorben ist, in dem etwas besseren Teil unserer Basisgemeinde (der immer noch sehr arm ist) wohnt, haben wir sie nicht begleitet.

Immer wieder fällt mir das Sprichwort ein „Die Ernte ist groß, aber es gibt wenige Arbeiter.“ Wir tun, was wir können, aber angesichts des ganzen Elends ist das sehr wenig. Aber hoffentlich wird jetzt etwas besser dadurch, dass wir 6 neue Ehrenamtliche ausbilden. Dennoch werden wir nicht alle Schwangeren und Kleinkinder des Viertels begleiten können. Aber so ist wohl jede Arbeit begrenzt. Was wohl zählt ist, das zu tun, was wir tun können und den Rest Gott zu überlassen.

3. Teil: Auf dem Weg ins Gefängnis

Der Weg ins Gefängnis fällt mir nicht immer leicht. Machmal kann ich im Auto bei P. Carlo mitfahren, manchmal fahre ich mit dem Bus, aber immer begleiten mich auf diesem Weg viele Gedanken:

Wie wird es wohl heute sein im Gefängnis? Werde ich den Menschen gerecht werden können in ihrer Suche nach Sinn, nach Gott, nach Hoffnung und nach Neuanfang? Werde ich im richtigen Moment das nötige Wort finden und im Stimmengewirr des Gefängnisses die Ruhe haben, zuzuhören?

Werde ich wieder Menschen begegnen, die mir ihre Folterspuren zeigen und von der Brutalität der Gefängniswärter sprechen, mich gleichzeitig aber darum bitten, keiner Autorität davon zu erzählen, weil sie Angst haben, ermordet zu werden?

Ich erbitte auf dem Weg zum Gefängnis von Gott die innere Ruhe, damit ich seinen Frieden weitergeben kann und mich in neuen, unberechenbaren Situatioenen daran orientieren kann, was sein Wort sagt. Aber ich erbitte von Gott auch einen kühlen Kopf, um klar und prophetisch gegen Unrecht aufzustehen. Manchmal ist es leider nötig, gegen Gefängniswärter und -direktoren Anzeige zu erstatten. Auch das gehört zu unserer Mission.

Gott sei Dank muss ich den Weg ins Gefängnis aber nie alleine machen. Es ist schön, mit den vielen brasilianischen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen gemeinsam zu fahren. Ich bin ihnen sehr dankbar für den geteilten Glauben, der mein/unser Gottvertrauen stärkt. Zu wissen, dass ich mich vollständig auf Ester, Nair und wie sie alle heißen, verlassen kann, gibt Kraft, diesen Weg zu gehen.

Und wenn ich dann im Gefängnis ankomme, fallen alle meine Befürchtungen des Weges von mir ab. Schon von weitem hören wir ein herzliches: „Wie gut, dass ihr wieder da seid!“ von Seiten der Gefangenen. Es scheint, als ob uns Gott dort erwartet hätte.

4. Teil: Gefängnispastoral

Das Dokument von Aparecida

Nach wie vor werden uns viele Steine in den Weg gelegt, weil für uns Gefängnispastoral den ganzen Menschen betrifft. Wir können nicht nur den Gefangenen Umkehr predigen – wie es manche Politiker gerne hätten – und zusehen, wie das System ständig ihre Menschenwürde und -rechte mit Füßen tritt. Für uns hat Gefängnispastoral neben der Evangelisierung auch die Aufgabe, die Menschen- und Bürgerrechte der Gefangenen zu wahren und einzufordern, wie auch mit Gesellschaft und Kirche in Dialog zu treten über Themen, die mit den Gefangenen zu tun haben. Ich finde es sehr schön, wie das Dokument von Aparecida den Menschen dankt, die in der Gefängnispastoral arbeiten. Dabei sieht das Dokument die Arbeit der Gefängnispastoral im umfassenden Sinn, und meint sowohl die Evangelisationsarbeit, wie auch der Einsatz für Menschenwürde und Menschenrechte.

Schwierigkeiten in Folterbekämpfung

Der größte Gegenwind kommt uns natürlich vor allem in der Frage der Folterbekämpfung entgegen. Oft werden wir nicht zu den Zellen vorgelassen, aus denen uns die Gefangenen zuschreien, dass sie gerade gefoltert oder angeschossen worden sind. Dabei gibt es – nach meiner neuesten persönlichen Statistik – im CADET (900 Gefangene) jede Woche 5 bis 10 Gefangene, die gefoltert werden. Ein Teil von ihnen vertraut sich uns an, aber nur ganz wenige haben den Mut, Anzeige zu erheben. So haben wir im Vorjahr nur etwa 20 Folteranzeigen weitergeleitet, obwohl wir das 5 bis 10-fache an Folterspuren zu Gesicht bekommen haben. Allen ist gemeinsam die Angst, vom Direktor ermordet zu werden, wenn sie sprechen. Dies geschieht auf indirekte Weise, indem sie zum Beispiel in die Zelle der gegnerischen Gang verlegt werden. Dann werden sie von den Mitgefangenen ermordet und der Direktor hat saubere Hände.

Auch das System wirkt taub. Nicht einmal eine Vorsprache des Bischofs beim Gouvernadeur bewirkt, dass die Zuständigen für das Gefängniswesen in Maranhão mit den Menschenrechtsgruppen oder kirchlichen Gruppen sprechen. Die Sekretärin für Sicherheit ist einfach für niemanden zu sprechen.

In den meisten Fällen wurde nicht einmal ein Folterprozess am Gericht eingeleitet, weil der Gefängnisdirektor die amtsärztliche Untersuchung Wochen bis Monate hinausgeschoben hatte und daher keine Spuren mehr zu sehen waren. Auch in dem Fall, als die Gefängnispastoral mit eigenen Augen gesehen hat, wie ein Gefangener geschlagen worden war, war niemals ein gerichtsärztliches Gutachten gemacht worden.

Der Zuständige für das Gefängniswesen meinte in einer Diskussion im bundesstaatlichen Menschenrechtsrat, dass all diese Anzeigen erfunden seien, um den Gefängniswärtern und -direktoren zu schaden. Als wir ihm dann sagten, dass bei all den Anzeigen zumindest eine NGO von außerhalb die Verletzungen des Gefangenen gesehen hat und dass solche Tatsachen aufklärungsbedürftig sind, selbst wenn die Verletzung durch Mitgefangene geschehen sein sollte und nicht durch Wärter, wich er in der Diskussion aus. Aber wie soll man auch mit jemanden diskutieren, der selbst einige Folteranzeigen gegen sich laufen hat. In diesen Fällen ist der Korporativismus unter den Polizisten und Gefängniswärtern einfach viel zu groß. Eine Hand wäscht die andere…

Ein anderes Problem ist, dass unserer Sekretärin, da sie eine junge Brasilianerin ist, nicht der nötige Respekt entgegengebracht wird, wenn sie zum Beispiel im Haus der Pflichtverteidigerschaft und des bundesstaatlichen Menschenrechtsrates die Folteranzeigen einreichen will. Drei Wochen hindurch wurde ihr der Zugang zum bundesstaatlichen Menschenrechtsrat verwehrt von einer Angestellten, die keine Lust hatte zu arbeiten. Erst nach dieser Zeit bin ich auf dieses Problem gestoßen, weil Kássia sehr geduldig ist und einfach immer wieder hingeht. Allerdings darf man bei Folteranzeigen einfach keine Geduld haben. Je später die Anzeige eingebracht wird, desto weniger Wahrscheinlichkeit, noch etwas beim gerichtsärztlichen Gutachten feststellen zu können, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Gefangene erst recht die Konsequenzen spürt.

Nachbarn des Gefängnisses leben in ständiger Angst

Als ich mich mit einer Nachbarin des Gefängniskomplexes von Pedrinhas unterhielt, erzählte sie mir, dass sie mehrmals wöchentlich die Schreie der Gefangenen hören, wenn diese gefoltert werden und dass sie in ständiger Angst leben muss, denn wenn Gefangene ihre Flucht versuchen, schießen die Gefängniswärter auf diese. Die Frau zeigte mir das Loch einer Kugel, die durch ihr Haustor ging, durch eine Mauer, einen Raum und in einer weiteren Mauer steckenblieb. Sie meinte, dass sie seit diesen Geschehnissen mit ihrem Mann und ihren Kindern in dem hinteren Raum schlafe. Sie wolle ja schließlich nicht im Schlaf erschossen werden.

Ein neues Gefängnis mit rückschrittlichster Pädagogik

Ich habe im letzten Rundbrief geschrieben, dass Maranhão den Ausnahmezustand im Gefängniswesen ausgerufen hat, um leichter Zugang zu Geldern bekommen zu können, damit neue Gefängnisse gebaut werden können. So wird gerade im Stadtteil Pedrinhas das 5. Gefängnis gebaut, das offiziell für 400 Gefangene zugelassen ist. Ursprünglich hätte es in anderen Stadtteilen gebaut werden sollen, doch dort wehrten sich Wirtschaft und so wurde noch ein Gefängnis in Pedrinhas gebaut.

Erschreckend finde ich, dass der Gouvernadeur dieses Gefängnis als das Gelbe vom Ei verkaufen will, weil es so modern ist und eine direkte Kopie eines Gefängnisses von Rio Grande do Sul ist. Nun muss man allerdings bedenken, dass in Rio Grande do Sul in etwa ein Klima herrscht, wie in Österreich, hier aber in Maranhão durchgehende 33 bis 35 Grad herrschen. Es ist wirklich unglaublich. Es wurde ein Gefängnis gebaut mit Decken aus Beton, anstatt mit Gittern, die Türen zu den Zellen sind von oben bis unten verschlossen mit Stahl und somit kommt kein Wind hinein und die Temperaturen darin steigen ins Unerträgliche. In diesem Gefängnis kann auch kein Mensch Hängematten aufhängen, die Planungsequipe ist vom Süden, dort verwendet niemand Hängematten. Hierzulande kann man aber die Gefängnisse nur deshalb auf das dreifache des Fassungsvermögens füllen, weil die Gefangenen die Hängematten übereinander spannen und somit in der Zelle nicht nur die Grundfläche ausnützen, sondern das ganze Volumen. Außerdem ist die Strafzelle winzig klein, da sie nur für eine Person gedacht ist. Gleichzeitig ist diese Zelle auf einer Seite oben offen, damit der Gefangene zum „Sonnenbad“ nicht aus der Zelle heraus muss. Es wurde allerdings nicht mitbedacht, dass es nötig wäre, eine Türe zwischen der Zelle und dem Sonnenbad einzubauen, damit der Gefangene in der Regenzeit nicht vollkommen durchnässt wird.

In diesem „modernen Gefängnis“ haben die Wärter keinen Kontakt mehr mit den Gefangenen. Die Wärter sind im ersten Stock und öffnen die Türen von oben, jederzeit schussbereit, wenn unten jemand nicht das macht, was sie wollen. Gleichzeitig ist der Raum, in dem sämtliche medizinischen Untersuchungen stattfinden sollen, sowie Beratung durch Sozialarbeiter, Psychologen und die Begleitung der Prozesse auf 24 Quadratmeter beschränkt. Man kann also sagen, dass einfach keine solche Betreuung geplant ist. Ich war erschüttert, als ich dieses Gefängnis sah, dessen Schaffung pro Gefangenen 2200 Reais kostet (das sind 1300 Euro) und in dem so wenig an die Resozialisation der Gefangenen gedacht worden ist. Übrigens ist das Gefängniswesen – laut dem Direktor des CADET, der in viele schmutzige Dinge verwickelt ist – der beste Ort für Geldwäsche. Wenn Leistungen vom Staat bezahlt werden, aber nicht bei den Gefangenen ankommen, schreit niemand auf. Im Gegenteil, es kommt noch die Reaktion von der Gesellschaft, dass die Gefangenen sowieso leiden müssen.

Diverse Treffen der Gefängnispastoral

In den letzten Monaten gab es ein Treffen der Gefängnispastoral auf Ebene von Maranhão, bei der ein paar Gruppen aus dem Landesinneren vertreten waren. Weiters geschah das jährliche Planungstreffen der Gefängnispastoral von Maranhão, bei dem diesmal der Schwerpunkt auf den Ausbau der Betreuung der Familien gesetzt wurde. Außerdem gibt es eine neue Koordination, über die ich nicht 100% glücklich bin, weil ein paar Leute dabei sind, die lieber reden als handeln und nicht in allen Bereichen verlässlich sind. Die Kombination dieser neuen Koordination mit unserem Rechtsanwalt, der es in den letzten 10 Monaten noch immer nicht geschafft hat, die Folterfälle von Maranhão an die nationale Gefängnispastoral weiterzuleiten macht sich nicht sehr gut. Außerdem hat uns der Rechtsanwalt eröffnet, dass seine Schwiegermutter die Cousine vom Direktor des CADETs ist, also von demjenigen, der am meisten in Folterfälle verwickelt ist… Ich habe bereits sehr oft diese unglücklichen Zusammenhänge beim Koordinator der Gefängnispastoral P. Luca deponiert, aber er hat den Rechtsanwalt ausgesucht und sagt, dass er entscheidet, weil er unterschreibt.

CPI – der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Gefängniswesen kam nach Maranhão

Die letzten Tagen waren dadurch geprägt, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss zu uns nach Maranhão gekommen ist. Ich habe im letzten Rundbrief vom Nationalen Menschenrechtstreffen in Brasília berichtet und davon, dass wir mit dem Nationalratsabgeordneten und Berichterstatter dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gesprochen hatten und ihn gebeten haben, auch nach Maranhão zu kommen. Er hatte damals gesagt, dass er gerne unangemeldet kommen würde, um zu verhindern, dass die Realität geschminkt wird. Deshalb nehme er vorher mit niemanden Kontakt auf. Obwohl die Daten der Besuche im Parlament als vertraulich gehandelt werden sollten, ging der Besuch allerdings bereits drei Tage vorher in Maranhão durch die Presse. Zeit genug für Gefängnisdirektoren, gefolterte Gefangene zu verstecken und einzuschüchtern. Als ich mit unserem Rechtsanwalt darüber sprach, wer wohl den Termin ausgeplaudert habe, meinte er, das sei der (gutbezahlte) Nebenverdienst der Mitarbeiter im Parlament.

Auf jeden Fall bedeutete das Kommen der CPI einen großen Stress für uns. Ich musste unsere sämtlichen Daten über Folterfälle aktualisieren und wir erarbeiteten ein Dokument für die Parlamentarier, das wir ihnen überreichten, da unser Koordenator Pe. Luca nur 5 Minuten Redezeit in der öffentlichen Anhörung am Nachmittag zugewiesen bekommen hatte.

Besuche der CPI in den Gefängnissen

Ich war beeindruckt von der Arbeitsweise des Nationalratsabgeordneten Dutra, der es schaffte, binnen 5 Stunden 5 Gefängnisse zu besuchen (CCPJ do Anil, Penitencíaria de Pedrinhas, CADET, das neue Gefängnis und die Polizeistation in Paço de Lumiar) und unglaublich viele Aussagen von Gefangenen zu sammeln. Als er um 14 Uhr Nachmittags noch ein Gefängnis besuchen wollte, streikten die MitarbeiterInnen und meinten, dass sie Hunger hätten. (Hier in Brasilien isst man immer um 12 Uhr und niemals später!) Außerdem war die öffentliche Anhörung für 15 Uhr angesetzt. So begleiteten wir die Nationalratsabgeordneten von Gefängnis zu Gefängnis und versuchten, ihnen die Orte zu zeigen, an denen normalerweise die gefolterten Gefangenen versteckt werden. Etliche Gefangene sprachen auch von ihren Folterungen, viele erzählten, dass sie schon viel länger eingesperrt sind, als das Recht vorschreibt, sowie von gesundheitlichen Problemen etc. Die Parlamentarier mussten durch den Dreck schreiten und spürten die Hitze der Zellen.

Später erfuhren wir allerdings, dass etliche von diesen Gefangenen, die am Vormittag im CCPJ do Anil offen geredet haben, am Nachmittag gefoltert worden sind. Der zuständige Verantwortliche für das Gefängniswesen verteidigte sich gleich im vorhinein, indem er sagte, der Gefangene wäre wegen Mordes verurteilt und habe am Nachmittag versucht, andere zu agitieren. Wer längere Erfahrung mit dem Gefängniswesen hat, weiß, dass das eine Notlüge ist und dass derjenige, der gegen Polizisten aussagt, es büßt – manchmal sogar mit dem Leben.

In den meisten Gefängnissen konnten wir die CPI an die Brennpunkte führen und sie konnten tatsächlich die Konsequenzen des Systems sehen, wie Folterungen und Überbelegung, aber im CADET, dem Gefängnis, in dem die meisten Folterungen geschehen, hatte der Direktor die gefolterten Gefangenen versteckt und die Strafzelle, in der zwei Tage zuvor 20 Gefangene waren, entleert. Die Gefangenen sagten zu mir, dass irgendwo ein Gefangener versteckt sein müsste, der am Tag zuvor angeschossen wurde, aber wir konnten ihn nicht finden, schließlich hatte die CPI auch kaum Zeit zum Nachforschen und der Gefängnisdirektor log den Nationalratsabgeordneten an, indem er sagte, dass alle Strafzellen am Ende des Korridors geschlossen worden sind.

Die öffentliche Anhörung der CPI

Am Nachmittag gab es die öffentliche Anhörung in der Landesregierung. Es wurden Vertreter von NGOs und von öffentlichen Stellen angehört. Bei dieser Sitzung kam besonders stark zu Tage, dass das Gerichtswesen nicht richtig funktioniert und viele Gefangene länger einsitzen, als ihre Strafe es vorschreiben würde. Die daraus resultierenden Forderungen waren eine Stärkung der Pflichtverteidigerschaft, denn es hat nicht jedes Strafrichteramt einen Pflichtverteidiger und die Schaffung von weiteren Vollzugsrichterämtern, sowie die Dezentralisierung des Strafvollzuges dorthin, wo die Gefangenen ihre Wurzeln haben und auch ihr Prozess verwaltet wird. Fast gar nicht ist die Frage der Resozialisierung und der Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Gefangene im Gefängnis angesprochen worden, über die Frage der Gesundheitsversorgung im Gefängnis wurde nur gesagt, dass es geplant sei, dass Maranhão im April 2008 den Nationalen Plan für Gesundheit im Gefängnis unterzeichne. (Das ist auch eine unserer Forderungen. Allerdings glaube ich das erst, wenn ich es sehe, denn es wurde uns schon oft versprochen und dann nicht eingehalten.) Es ging praktisch nur um die Schaffung neuer Gefängnisplätze, aber nicht um die Umstände dieser Plätze. Der Abgeordnete Dutra sprach auch das Thema der Folter an, es wurde aber kaum aufgegriffen und wir hatten keine Möglichkeit, zu sprechen, weil es ein genaues Protokoll gab. Dabei hätte es soviel zu sagen gegeben, angefangen vom großen Schweigen der gefolterten Gefangenen, von den Methoden, die anzeigenden Gefangenen ermorden zu lassen, vom gerichtsmedizinischen Institut, das seine Gutachten viel zu spät macht, von der Folter bei der Einvernahme, weil es keine anderen polizeilichen Ermittlungsmethoden gibt etc. Gott sei Dank hat Dr. Alberto, einer der Koordinatoren des bundesstaatlichen Menschenrechtsrates ein Dossier zusammengestellt mit allen Ereignissen und auch Folterfällen. Er ist dieses Dossier vorher noch mit mir durchgegangen und ich konnte auch ein paar Dokumente dazu beisteuern. Insofern war meine Tätigkeit an diesem Tag vor allem ein Zuarbeiten, aber es ist gut zu wissen, dass die Dokumente, die wir erarbeitet haben, an höhere Instanzen weitergehen, denn vielleicht kann sich dadurch etwas zum Besseren ändern für die Gefangenen, deren Menschenrechte regelmäßig verletzt werden.

Die Darstellung der CPI in den Medien – 50% erlogen

Als ich am Tag darauf die drei Zeitungen von Maranhão kaufte, traute ich meinen Augen nicht über die Fülle der falschen Informationen. Jede Zeitung hat die Sache für sich verdreht, zwei der drei Zeitungen gaben andere Gefängnisse an, als die die tatsächlich besucht wurden. Erstaunlich fand ich, dass die Zeitung der Familie Sarney am meisten bei den Tatsachen blieb. Am schlimmsten stieg bei meiner Zeitungsanalyse die Zeitung aus, die wir bei uns im Haus lesen, die von Evangelikalen Christen geführt wird und unparteiisch(er) ist. Aber auch die Zeitung, die auf Seite des Bürgermeisters steht, der aus derselben Partei ist, wie der Gouvernadeur, ist sehr schlecht ausgestiegen. Sie hat versucht, alles, was gesagt wurde so stark schönzufärben, dass es kaum mehr erkenntlich war.

Auf jeden Fall habe ich mir nach dem Ganzen an den Kopf gegriffen, denn ich glaube, auch hier hätten wir mit einer guten Zusammenstellung von Daten für die Presse manches einbringen können. Aber vorbei ist vorbei und ich habe gelernt, worauf ich bei der nächsten CPI achten muss, die mir über den Weg läuft… (So oft geschieht das ja schließlich auch nicht!)

Kurs zur Versöhnung

Am Ende dieses Kapitels möchte ich eine positive Entwicklung stellen. P. Carlo ist gerade dabei, für die Gefangenen einen Kurs auszuarbeiten zum Thema Versöhnung. Dieser Kurs wird auch von einer Psychologin begleitet werden, weil natürlich Themen in der Geschichte der Gefangenen auftauchen können, die psychologische Hilfestellungen brauche können.

Ein kurzer Gedanke zur Vergebung

Ich weiß nicht, ob ihr schon von Frei Betto gehört habt. Er ist Dominikaner und war immer sehr engagiert im Einsatz für gerechtere Strukturen in Brasilien. Wegen dieses Einsatzes wurde er während der Militärdiktatur eingesperrt und gefoltert, gemeinsam mit Frei Tito und anderen. Als Lula an die Macht kam, hat er einige Jahre in der Regierung mitgearbeitet, doch sich dann zurückgezogen und schreibt nun wieder mehr Bücher, die die Situation analysieren.

Als ich einen seiner Text las, stieß ich über einen Satz, der mich sehr berührt hat und den ich nun mit euch teilen möchte: „Ich habe im Gefängnis gelernt, dass der Hass zuerst denjenigen zerstört, der hasst, und nicht den, der gehasst wird.“ Für mich ist dieser Satz fundamental in der Versöhnungsarbeit. Wer vergibt, tut nicht nur dem anderen etwas Gutes, sondern hält das eigene Herz rein von Hass, Wut und Vergeltungsgedanken. Nur auf diesem Weg können wir inneren Frieden finden, den Frieden, den die Welt nicht geben kann.

5. Teil: Einsatz für Menschenrechte

2008 – das maranhensische Jahr der Menschenrechte

Anlässlich des 60-Jahres-Jubiläums der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in diesem Jahr hat die Landtagsabgeordnete Helena Heluy die gesetzgebende Versammlung überzeugen können, dieses Jahr als maranhensisches Jahr der Menschenrechts auszurufen. Gleichzeitig gab es auch ein Budget für das Menschenrechtssekretariat, das bisher ohne eigenes Budget agieren musste. Mit diesem Geld kann das Menschenrechtssekretariat nun die Veranstaltungen organisieren, die anlässlich der 60-Jahr-Feier stattfinden. So gibt es von März bis Mai eine Karavane, die 15 Orte im Landesinneren anfährt und dort ein Programm mit Diskussionen, Radiosendungen und Theater organisiert. Ebenso wird es einen Schreibwettbewerb geben zum Thema Menschenrechte und ein großes Event etc.

Keine Metalldetektoren im Gefängnis

Helena Heluy hat auch einen anderen Gesetzesvorschlag eingebracht, der sich auf das Gefängniswesen bezieht und von allen Seiten positiv aufgenommen wurde und einstimmig durch die gesetzgebende Instanz auf Landesebene ging. Leider legte der Gouvernadeur ein Veto ein.

Es ging darum, beim Eingang in die Gefängnisse Metalldetektoren zu installieren, um zu verhindern, dass sich alle Besucher im Gefängnis vor dem Eintritt vor den Gefängniswärtern nackt ausziehen müssen, Gymnastik machen müssen und ihre Körperöffnungen, vor allem aber die Vagina durch Abtasten von innen untersucht wird. Es ist dies eine unmenschliche und entwürdigende Praxis, die Haus und Hof öffnet für sexuelle Übergriffe, sei es auf verbaler oder handgreiflicher Ebene. Viele Gefangenen wollen deshalb nicht, dass sie ihre Mütter besuchen kommen.

Ich war sehr erstaunt und traurig darüber, dass der Gouvernadeur gegen diesen Gesetzesentwurf gestimmt hat. Er hat dabei gar keine inhaltlichen Gründe angegeben, sondern rein formelle. Er wäre nicht damit einverstanden, dass eine Abgeordnete Gesetzesentwürfe erarbeitet. Aufgrund seiner verletzten Eitelkeit müssen nun nach wie vor die Familien der Gefangenen und alle Besucher leiden.

Folterbericht an die UNO

Außer den Entwicklungen bei der CPI tut sich im Bereich der Menschenrechte der Gefangenen auch einiges auf Ebene der UNO. Die UNO hat Brasilien als eines der Schwerpunktländer für dieses Jahr ausgewählt und will im April Besuche abstatten. Dafür mussten wir (als Bundesstaatlicher Menschenrechtsrat und Komitée zur Bekämpfung der Folter) Berichte ausarbeiten und im November senden. Mal sehen, was sich auf dieser Ebene noch tun wird. Ich hatte mir zuerst sehr viel erwartet, doch als wir dann unseren Bericht geschrieben hatten, bekamen wir als Antwort zurück, dass in der UNO niemand Portugiesisch spreche und dass wir den ganzen Bericht auf Englisch übersetzen sollten. Ich verstehe nicht, wie die UNO Brasilien als Schwerpunktland nehmen kann und dann niemanden bereit hat, der diese Sprache spricht. Wie wollen sie hier Besuche abstatten, wenn sie nicht einmal die Sprache kennen und schon gar nicht die Kultur, ganz zu schweigen von den ungeschriebenen Gesetzen im Gefängnis?

Medienwirksame Folterfälle

In den letzten Monaten wurden zwei Projekte zur Folterbekämpfung bewilligt. Eines davon wird mit nationalen Geldern finanziert und soll in 6 Monaten die Folter und Sklavenhaltung bekämpfen. Bei einer Sitzung der verschiedenen NGOs, die in diesem Bereich arbeiten, wurde vorgegeben, dass dieses Projekt 10 ausgewählte Schwerpunktfälle mit Medienwirksamkeit bearbeiten sollte. Als ich einwand, dass die meisten Folterfälle im Gefängnis stattfänden, wurde mir gesagt, dass man mit Gefangenen nicht medienwirksam werden könnte und dass sie deshalb nicht die ärgsten Fälle auswählen, sondern jene, die am meisten das Gemüt der normalen Bevölkerung betreffen. Ich teile diese Meinung nicht. Warum soll nicht die Situation eines Gefangenen in diese Liste aufgenommen werden, der als Zeuge aussagte, als sein Zellenkollege gefoltert worden ist. Wenig später wurde er bei der nächsten Rebellion „zufällig“ in das Gesicht geschossen. Hat er, bloß weil er schon einmal straffällig geworden ist, nicht das Recht, dass der Prozess vorangeht, in dem er als Opfer aufscheint. Er ist sicher in Lebensgefahr. Die Kategorien von Medienwirksamkeit mögen für andere Berufsgruppen wichtig sein, aber ich finde es sehr gefährlich, wenn Menschenrechtsaktivisten nach solchen Kategorien entscheiden.

Untersuchung zur Menschenrechtssituation im Gefängnis in Schublade gelandet

Ein Projekt, das viel Zeit von mir beansprucht hat, war die Ausarbeitung einer Untersuchung zur Menschenrechtssituation in den Gefängnissen von Maranhão. Unsere Arbeitsgruppe hatte das Projekt bereits im bundesstaatlichen Menschenrechtsrat präsentiert und es war einstimmig seine Durchführung abgestimmt worden. Auf einmal kam der Präsident desselben Rates im Alleingang auf die Idee, dass es ein Pater koordinieren sollte, der auch Rechtsanwalt ist. Als jedoch der bundesstaatliche Menschenrechtsrat mit diesem nordamerikanischen Pater ein Treffen hatte, meinte dieser, dass er ganz etwas anderes machen wollte und das Projekt nicht durchführen werde. Damit war unheimlich viel Arbeit von der Arbeitsgruppe für die Katz´. Er ist Nordamerikaner und Pater, deshalb hatte niemand den Mut, ihm zu widersprechen. Nur P. Carlo meinte, dass es wirklich wichtig wäre, Daten zu haben über die Situation der Gefangenen. Dieser nordamerikanische Pater meinte, er habe in den 70-er Jahren in der Gefängnispastoral gearbeitet und kenne daher alles. Naja, langer Rede kurzer Sinn, wurde unser Projekt verworfen, aber dieser Pater hat auch keine Untersuchung gemacht. Es scheint, dass er auch lieber redet, als handelt. Jetzt versucht die Gefängnispastoral, das Projekt aufzugreifen und in Kleinformat durchzuführen…

Im Gericht verlorengegangene Prozesse

Immer wieder gehen wir für die Gefangenen aufs Gericht, um zu erfahren, wie es mit ihrem Prozess steht. Dies ist vor allem bei denjenigen wichtig, deren Prozesse seit Monaten oder Jahren stillstehen. Im Rahmen dieser Arbeit stellt das Gericht immer wieder fest, dass der eine oder ander Gefangene eigentlich gar nicht gefangen sein müsste und ähnliches. Nun haben wir ein weiteres Problem festgestellt. Früher gab es zwei Richterämter, die mit Drogenfragen beschäftigt waren, nun wurden diese zusammengelegt. Doch leider gibt es jetzt eine Menge Prozesse, die laut Computer auf das vereinte Richteramt getragen worden sind, dort aber physisch nie angekommen sind. Es sind also eine Menge verlorener Prozesse, für die Menschen eingesperrt sind und ohne deren Fortgang die Menschen ewig gefangen bleiben…

Noch schlimmer ist die Tatsache, dass der bundesstaatliche Menschenrechtsrat (mindestens) einen ganzen Aktenordner mit Folteranzeigen und -prozessen bei der Übersiedlung verloren hat und dass an keiner anderen Stelle Informationen zu diesen Prozessen zu finden sind, nicht einmal die Namen der Folteropfer sind irgendwo verzeichnet.

6. Teil: Spannende Neuigkeiten aus der Kommission Justiça e Paz

Verjüngungen im Team

Diesmal kann ich euch aus der Kommision Justiça e Paz einige interessante Entwicklungen berichten: Einerseits hat sich in der letzten Zeit das Team stark geändert. So sind ein paar Leute ausgeschieden, die zwar wichtige Positionen in der Gesellschaft haben, aber nie Zeit hatten, sich in der Kommission zu engagieren. Außerdem ist eine pensionierte Richterin ausgeschieden, deren Einstellung mich manchmal sehr traurig gestimmt hat. Für sie sind zum Beispiel Randgruppen in der Gesellschaft selbst schuld an ihrem Schicksal und sie glaubt, dass niemand resozialisierbar ist, wer einmal straffällig geworden ist. Ich hatte den Eindruck, dass sie die Arbeit in der Kommission eher hinderte als förderte. Leider ist aber auch eine Aktivistin in der Frauenbewegung von São Luís vor einem Monat überraschend mit 60 Jahren gestorben. Dafür sind einige neue MitarbeiterInnen dazugekommen. Einerseits Martha, von der ich bereits in anderen Rundbriefen erzählt habe, weil sie zwei Monate als Sekretärin der Gefängnispastoral gearbeitet hat. Sie ist eine sehr fähige Frau, Anfang 50 und hat viele Jahre Engagements in Kirche und NGOs hinter sich. Es macht sehr viel Freude, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die Kommission konnte auch Sr. Mary als Mitarbeiterin gewinnen, die aus Indien stammt und dort in ihrem Staat sehr engagiert die Vereinigung der Ordensgemeinschaften koordiniert hat. Leider ist ihr Portugiesisch noch recht schwach, so dass ihre Fähigkeiten vielfach nicht erkannt werden. Weiters konnten wir Diana zur Mitarbeit gewinnen, eine junge Juristin, die auf der Uni unterrichtet und sehr in Menschenrechtsfragen engagiert ist und zu guter Letzt unterstützt uns nun auch P. Roberto, der seit einem Jahr als Comboni-Missionar in der Vila Embratel lebt und ein großes organisatorisches Talent hat.

Aber wenn ich schon von den neu dazugekommenen schreibe, noch ein paar Worte zu ein paar „alten Hasen“, die die Kommission tragen. Da ist wohl an erster Stelle Cecília zu nennen, die einen großen sozialen Weitblick hat, Helena Heluy, die in der Landesregierung Menschenrechte und soziale Themen zur Diskussion bringt, Sr. Anne, eine aus dem Libanon stammende und in den USA aufgewachsene Ordensfrau, die mit ihren 80 Jahren ein unheimliches Engagement für Randgruppen und Gerechtigkeit an den Tag legt, Vitoria, die am Sozialamt arbeitet, aber auch P. João Maria und etliche andere, die unsere Aktivitäten unterstützen.

Unsere Analyse: Entweltlichung des Glaubens

Durch die Verjüngerung im Team ist auch frischer Wind hineingekommen und neue Ideen.

Eine unserer Analysen ist, dass in der Kirche innerkirchliche und liturgische Themen immer mehr Platz in den Diskussionen nehmen und soziale Themen immer unwichtiger werden. Besonders drastisch ist diese Entwicklung bei den Seminaristen zu sehen, die ihre Spiritualität immer mehr aus extrem konservativen Gruppen beziehen. Man kann weiters den Eindruck bekommen, dass ein nicht geringer Teil der jungen Menschen Priester (und auch in abgeschwächter Weise Ordensmitglied) werden will, um sich einen gehobenen Lebensstil leisten zu können, wie ein Auto, einen Computer, ein großes Haus mit Angestellten etc. Wenn sie dann zum Priester geweiht werden, gilt ihre Sorge nicht in erster Linie ihrer Herde, sondern materiellen Dingen. Sie schaffen mit dem Eintritt ins Seminar und nachher vor allem durch die Priesterweihe den Sprung in die Mittelschicht. Das äußert sich zum Beispiel daran, dass sie, wenn sie vom Seminar zu Ferien nach Hause kommen, nicht mehr bei der Arbeit mithelfen, weil sie ja jetzt nicht mehr zum gewöhnlichen Volk gehören usw. Diese jungen Menschen wollen sich nicht mehr mit den Problemen des Volkes auseinandersetzen, umso weniger mit der Not der Randgruppen.

Diese Entwicklung, die bei den Seminaristen besonders sichtbar ist, geschieht in gewisser Weise mit der ganzen Kirche. In dem Maß, in dem die Basisgemeinden von den Pfarrern geschlossen werden, weil es ihnen zu mühsam ist, in die Peripherie oder das abgelegene Landesinnere zu fahren, grenzt sich der Aktionsradius der Kirche auf die Hauptkirche ein, wo zwar liturgisch wertvolle Gottesdienste gefeiert werden, das Leben aber nicht mehr zur Sprache kommt. Wer aber dem Glauben den Bezug zum Leben nimmt, nimmt auch dem Leben den Bezug zum Glauben.

Gleichzeitig beinhalten aber sowohl die Bibel als auch die katholische Soziallehre gerade für Länder wie Brasilien eine große Sprengkraft. Ich denke vor allem an die sozialen Ungerechtigkeiten, die zum Himmel schreien.

Schule der Gerechtigkeit und des Friedens

Um dieser Entwicklung in der Kirche ein wenig entgegenzusteuern, haben wir in der Kommission Justiça e Paz beschlossen, für MultiplikatorInnen in der Kirche eine „Schule der Gerechtigkeit und des Friedens“ anzubieten mit regelmäßigen Vorträgen am Abend zu Themen wie Frauenhandel und Prostitution, Menschenrechte, die Landfrage, indigene Völker, Quilombolas (afrikanische Dörfer), Schadensbegrenzung für Suchtkranke, Jugendliche am Rand der Gesellschaft, etc. Da diese Veranstaltungen immer Mittwochs stattfinden werden, haben sie den Namen „Quartas de Paz“ bekommen – Mittwoche des Friedens.

Gleichzeitig haben wir auch weitergedacht und haben ein Projekt ausgearbeitet, um jungen Menschen (Seminaristen, Ordensleuten, und theologisch ausgebildeten Laien) die Chance zu geben, in sozialen Projekten Erfahrungen zu machen mit Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. Wichtig ist dabei, dass sie eine gewisse Zeit mit den jeweiligen Menschen konkret die Wirklichkeit teilen, die Schwierigkeiten spüren, und berührbar werden. (Es ist nämlich etwas ganz anderes, wenn man zum Beispiel über die Landfrage diskutiert oder wenn man Menschen kennt, deren Häuser mit Bulldozern niedergerissen wurden und die von einem Großgrundbesitzer bedroht und ermordet werden. Es ist anders, allgemein über die indigenen Völker zu reden oder Kinder kennenzulernen, deren Eltern bei einer Auseinandersetzung mit einem Multinationalen Konzern, der in das Gebiet eingedrungen war, ermordet wurden. Es ist etwas anderes, in den Augen der Jugendlichen im Gefängnis die Angst zu lesen, als allgemein von der Sterblichkeitsrate der Jugendlichen zu sprechen.) Die Erfahrungen, die sie in diesen Praktika machen, sollen im Rahmen des Projektes theologisch reflektiert werden. Durch diese Erdung des Glaubens und Transzendierung der Realität können die jungen Menschen andere Weisen kennen lernen, Theologie zu treiben.

Dieses Projekt könnte – so Gott will – im zweiten Semester oder Anfang 2009 starten. Bis dahin steht der Gruppe noch viel Arbeit bevor – die kirchlich Verantwortlichen von dem Sinn des Projektes zu überzeugen (es gibt einige Bischöfe, die mit uns diese Analyse der Situation teilen), um Finanzierung ansuchen (vor allem für die Fahrtkosten der Jugendlichen zu den Praxisstellen) etc. Schade, dass meine Zeit hier im April zu Ende geht, das wäre ein Projekt, in das ich sehr gerne viel Energie stecken würde. Aber ich bin sicher, dass Martha und die anderen die Sache auch sehr gut machen werden.

7. Teil: Das sonstige Rundherum

Eine neue Mitbewohnerin

Bei uns im Haus tut sich derzeit recht viel Neues. Elisângela hat im Hof angebaut und somit drei neue Zimmer geschaffen. In eines davon ist Maria do Carmo (24) eingezogen, die aus der Region Balsas kommt, im Süden von Maranhão und nun nach São Luís zum Studium gekommen ist. Sie war in ihrer Pfarre recht engagiert und hat nun über die Comboni-Missionare die Möglichkeit zum Studium bekommen. Mit ihr hat in das Haus eine Couscouseira Einzug genommen, in der man Couscous kochen kann, aber auch gut Essen aufwärmen kann. Maria do Carmo bringt auch kulinarisch einige typisch maranhensische Kochkünste mit und es ist immer recht interessant, auszuprobieren, was sie gerade gekocht hat. So sind wir nun zu fünft im Haus – Elisângela und Adelvano, den sie bald heiraten will, Barbara, Maria do Carmo und ich.

Leider haben uns beide Katzen, denen Barbara bisher Asyl gewährt hat, wieder verlassen und sind nicht wiedergekommen. Vermutlich wurden sie – so wie unser Hund vor einem Jahr – vergiftet…

Vor ein paar Monaten haben wir als Reise der Hausgemeinschaft die Mutter von Elisângela in Guimarães besucht. Es ist einer der schönsten Orte, den ich in Brasilien kennengelernt habe und ich verstehe nun, warum Elisângela so von ihrer Heimat schwärmt. Die Reise war allerdings recht abenteuerlich, weil wir das Auto einschiffen mussten und die Wellen so stark gegen die Fähre schlugen, dass sämtliche Autos zu hüpfen begannen.

Mission bedeutet immer neues Kennenlernen und Abschiednehmen

Auch bei den Padres im Pfarrhaus hat sich einiges an der Zusammensetzung geändert. Ich glaube, ich habe schon im letzten Rundbrief geschrieben, dass P. Jorge von hier weggegangen ist und seither P. Roberto hier wirkt. Aber auch die Seminaristen Fabiano, Francisco und Carlos Eduardo, die hier die Comboni-Missionare im Propädeutikum kennengelernt haben, sind nun nach Fortaleza ins Postulat übersiedelt. Ich finde das immer irgendwie traurig, weil sich doch Freundschaften und Beziehungen etwickeln. Aber so ist das missionarische Leben, es ist ein ständig neues Sich-Einlassen auf neue Personen, Freundschaften schließen, eine Zeit lang miteinander Gott suchen und dann wieder Abschied nehmen.

Auch von Graça Rosa hieß es Abschied nehmen, weil sie als brasilianische Laienmissionarin nach Mozambik ging. Dafür lernte ich Sr. Cristiane von den Comboni-Schwestern kennen, die aus São Luís stammt und in Äthiopien wirkt und nun zu den ewigen Gelübden auf Urlaub in die Heimat kam. Die Comboni-Schwestern machen rund um die ewigen Gelübde einer Schwester in der Heimatpfarre viele Veranstaltungen und im Rahmen dessen gab es hier ein Triduum, bei der jeder Abend einer missionarischen Berufung gewidment war – Padres, Schwestern und Brüder und auch Laien. Dazu wurden auch wir gebeten, zu erzählen. Die ewigen Gelübde von Sr. Cristiane waren sehr schön und beeindruckend.

Ach ja, ich habe zuerst vom Abschied von den Comboni-Seminaristen gesprochen. Wer vom Abschied spricht, sollte auch von denen sprechen, die kommen: Gestern sind zwei neue Jugendliche gekommen, die bei den Comboni-Missionaren mit dem Propädeutikum anfangen. Als ich sie besucht habe, um sie willkommen zu heißen, haben sich sehr interessante und spirituell tiefgehende Gespräche ergeben. Schön, dass sie da sind.

8. Teil: Gedanken über das Heimkehren

Die folgenden Gedanken kommen mir, wenn ich an die Welt denke, in die ich nun heimkehren werde. Es sind vielleicht ähnliche Eindrücke, die Fremde haben, wenn sie nach Österreich kommen. Deshalb möchte ich sie mit euch teilen und einmal Österreich von der Außensicht ansehen:

Was wird mich alles erwarten nach meiner Rückkehr nach Österreich?

Auf jeden Fall werde ich in Ruhe am Computer arbeiten können ohne wahnsinnige Nachbarn, die ihre Stereoanlage so laut stellen, dass selbst Taube ihrer Musik nicht auskommen. In Europa wird es keine Diskomusik mehr beim Einschlafen geben und keine Predigten mit Beschallung von evangelikalen Kirchen, keine Teufelsaustreibung mehr um Mitternacht, kein Auto, das am Strand den Kofferraum aufmacht, aus dem dann unheimlich laute Musik tönt. Kofferräume von Autos werden wieder zum Transport von Dingen verwendet werden und sind nicht voll ausgebaut zur fahrbaren Stereoanlage. Dafür kann aber Europa nicht mithalten beim Rhythmusgefühl der Brasilianer, bei der Farbenpracht, der Phantasie beim Erfinden von Kleidung zum Tanzen, bei der Vielfalt der kulturellen Tänze und es kann in Europa leider auch fast niemand Capoeira.

Ich muss mich wieder anmelden, wenn ich auf Besuch komme und immer den Terminkalender dabei haben. Ich muss wieder lernen, pünktlich zu sein und nicht automatisch eine Stunde später zu kommen, weil ich dann immer noch die erste bin. Alle geplanten Treffen werden tatsächlich stattfinden, Pläne werden eingehalten. Wenn ich auf dem Weg bin, wird es wieder wichtiger werden, pünktlich am Treffpunkt zu sein, als Zeit für die Menschen zu haben, die ich auf dem Weg treffe. Wenn ich jemanden besuche, muss ich nun wieder klingeln und nicht laut vor der Türe klatschen oder den Namen rufen. Ich muss auch während des Tages die Haustüre zusperren.

Es kommt niemand mehr mit einem Schubkarren vorbei, der Krebse, Bananen, selbstgemachte Putzmittel, Leintücher, etc. verkauft. Ich kann auf der Straße keine Zuckerl mehr einzeln kaufen, es will mir niemand mehr die Schuhe putzen wollen, wenn ich im Lokal sitze. Es gibt keine kleinen Geschäfte, sondern nur noch Supermärkte und große Ketten. Niemand kann an der Straßenecke anfangen, Mingal (Maniokbrei) zu verkaufen. Auf einmal wird es andere Dinge zu essen geben, als Reis, Bohnen, Fleisch und Nudeln. Leider wird es aber kein Pão de Queijo geben, das aus Maniok gemacht wird und kein Refrigerante Guarana und auch nicht meinen Lieblingssaft aus Maracuja, nach dessen Genuss man von Engeln in den Schlaf getragen wird.

Kinder werden in Kinderwägen auf ebenen Gehsteigen geführt und nicht mehr getragen. Außerdem haben die meisten von ihnen Windeln an. Es gibt in Banken und öffentlichen Einrichtungen aber keine extra Schlange für Schwangere, Alte und Behinderte. Alte Menschen und Behinderte werden im Bus mitgenommen. Es gibt Niederflurbusse, sodass auch Rollstuhlfahrer öffentliche Verkehrsmittel benützen können. Behinderte Kinder und Erwachsene verbringen nicht den ganzen Tag im Bett, sondern es gibt für sie spezielle Einrichtungen, die sie zu Aktivitäten animieren. Ich werde keine behinderten Menschen mehr sehen, die sich am Boden dahinschleifen, weil sie sich keinen Rollstuhl leisten können. Ich selbst werde ruhig am Gehsteig gehen können, ohne damit rechnen zu müssen in ein tiefes Loch zu fallen. Auf der Straße werden nicht mehr sämtliche Abwässer vorbeifließen. Eine Ratte oder Kakerlake in meiner Wohnung wird zum seltenen Ausnahmeerreignis und ich brauche auch kein Moskitonetz mehr, um mich vor dem Denguefieber (vgl. Malaria) zu schützen. Aber dafür werde ich viele dicke Decken brauchen, um mich vor der Kälte zu schützen. Hilfe, es wird kalt werden! Ich werde wieder viel Gewand anziehen müssen, es wird wieder lange und kurze Nächte geben und Jahreszeiten. Bei meiner Kleidung werde ich mich wieder umstellen müssen. Ich werde darauf achten müssen, dass diese unauffällig ist, farblos und nicht am Körper anliegt. Ich werde nicht mehr auf der Straße auffallen. Aber besonders traurig wird der Abschied vom Meer werden, das mir hier auf der Insel ein treuer Begleiter war – auch wenn ich mich manchmal ein wenig über die Quallen geärgert habe, die lästige Verbrennungen verursachen und somit die Freude am Baden mindern.

Es wird immer und überall Wasser, Strom und Handys geben, aber keine öffentlichen Telefonzellen. Ich muss nicht mehr bei der Nachbarin einige Häuser weiter oder bei der öffentlichen Telefonzelle anrufen, damit sie die jeweilige Person holen. Außerdem brauche ich nicht mehr bedenken, wann es Wasser gibt, wenn wir Treffen planen, weil sonst niemand kommt, da alle aus dem Brunnen Wasser ins Haus tragen müssen und die Eimer auffüllen müssen. Ich kann unabhängig von Regen und Stromausfällen ins Internet. Aber dafür werden die Leute auch nicht mehr so solidarisch sein wie hierzulande viele Menschen sind, die das letzte, was sie haben, mit den anderen teilen. Niemand wird mehr mit den Nachbarn auf der Straße zusammensitzen, Tote werden nicht mehr im Haus im offenen Sarg aufgebahrt und noch am selben Tag begraben. Es geht niemand von Haus zu Haus, um das Geld für das Begräbnis zusammenzubetteln.

Wenn ich etwas kaufe, muss ich nicht mehr über den Preis handeln, dafür wird es aber auch keinen Nachbarn geben, der um 22:30 sein Geschäft noch einmal extra für mich aufmacht, damit ich unserem hungrigen Hund Futter kaufen kann. Ich brauche nicht mehr bei Treffen darauf achten, dass diejenige Person, die ich zum Lesen einlade, AnalphabetIn sein könnte. In der WG werde ich davon ausgehen können, dass die Leute rechnen können und nicht jeden Tag das Geld in der gemeinsamen Kasse zuviel oder zuwenig ist.

Ich werde nicht mehr mit dem Auto über Quebra-Molas (Hindernisse auf der Straße, die das schnelle Fahren verhindern sollen) fliegen und nicht mehr so oft aufsitzen. Es wird keine Autos mehr geben, die auf meiner Fahrbahn entgegenkommen, weil sie um die Schlaglöcher Slalom fahren, kein Takata-Gefühl mehr, keine Angst mehr bei Busfahrten wegen Überfällen. Dafür wird es viele Autos auf der Straße geben, aber keine Kinder, die mitten auf der Straße Drachen steigen lassen, die sich in Strom- und Telefonleitungen verhängen. Ich werde keine Kinder sehen, die voll Ernst Murmeln werfen und voll Freude Ball spielen, auch wenn dieser gerade in den Abwässern gelandet ist. Ich werde aus einem Land, in dem viele Menschen aus dem wenigen, was sie haben, unglaubliches machen, in ein Land kommen, in dem ein Großteil zu viel hat und damit unglücklich ist. Ich hoffe, mir ein wenig von der Lebensfreude der Menschen und der Hoffnung zu erhalten, der Dankbarkeit und der Solidarität. Die Gesellschaft in Europa wird im allgemeinen viel älter sein als hier. Es werden aber auch nicht so viele junge Männer wegen Drogenrivalitäten erschossen oder erstochen werden und nicht so viele junge Frauen während oder nach der Geburt sterben. Wenn ich Polizisten treffe, muss ich nicht automatisch mitbedenken, dass sie in den Drogenhandel oder Erschießungskommandos verwickelt sein könnten. Am Gericht werden sehr selten Prozesse verschwinden und die Korruption wird viel besser versteckt sein.

Ich werde wieder „Nein!“ hören, die Leute in Europa können nicht so charmant nein sagen, wie die Brasilianer, die immer mitbedenken, dass sie den anderen Menschen nicht beleidigen wollen. Bei meinen letzten Heimaturlauben klang ein früher so normal erlebtes „Nein!“ auf einmal wie eine abgrundtiefe Beleidigung. Hier in Brasilien sagt man nicht „Nein!“ – außer bei Demonstrationen.

Die Welt in die ich zurückkomme, ist sehr sicherheitsbedacht, Menschen ab 40 sind auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt, die Arbeit definiert vielfach den Wert des Menschen in der Gesellschaft. Interessanterweise erlebe ich die Menschen hier in Brasilien mit viel mehr Hoffnung, auch wenn sie keine Arbeit haben und absolut keine Sicherheit. Für sie wirkt Gott ganz konkret im Leben. Vielleicht bräuchte Europa, wo ein Großteil der Menschen für sich keine Antworten auf Glaubens- und Sinnfragen gefunden hat, viel mehr Mission. Europa ist eine Welt der Aufgabenteilung – der Psychologe für die Psyche, der Sozialarbeiter für soziale Fragen, der Mediziner für gesundheitliche Fragen, da ist der Seelsorger auf rein religiöse Fragen beschränkt. Hier in der Sozialpastoral habe ich erleben dürfen, wie die verschiedensten Dimensionen des Menschen Hand in Hand gehen, wie dem Menschen als Ganzem begegnet wird. Der Glaube bekommt Hand und Fuß, die Realität die Weite der Transzendenz.

Ich komme zurück in eine Welt, in der der Fremde meist nicht als Freund, sondern als Feind behandelt wird. Es wird mir sehr die Gastfreundschaft der BrasilianerInnen abgehen, die Offenheit den anderen gegenüber. Die Welt, in die ich zurückfahren werde, ist sehr kinderfeindlich, mit sehr vielen abgetriebenen Kindern, die dem persönlichen Erfolg zum Opfer fallen. Auch hier in Brasilien gibt es Abtreibungen, allerdings viel weniger, da es verboten ist. Leider sterben aber hier in Brasilien auch viele Mütter an der Abtreibung.

Die Menschen in Europa fragen meist nicht zuerst, was du studiert hast und arbeitest, sondern wie es dir geht und nach dem Befinden von deiner Mutter, und deinem Vater, deinen Geschwistern, deinen Kindern und deinen Großeltern. Die Welt, in die ich zurückkomme, hat Angst hat vor dem Islam, der hierzulande kein Thema ist.

Aber ich weiß nicht, als wer ich zurückkehre, ob ich dieselbe bin, ob ich die neuen Werte, die ich hier lernen durfte, in Europa als Missionarin verkündigen darf. Ich glaube, dass ich selbst am meisten von Gott durch die Zeit hier beschenkt worden bin.

9. Teil: persönliche Gedanken

Das Gelübde der Hoffnung

Eine Aussage von P. Marco Passerini, einem sehr erfahrenen Comboni-Missionar, der in Fortaleza in der Gefängnispastoral arbeitet, hat mich durch die Jahre begleitet. Er meinte, wenn die Mitarbeiter der Gefängnispastoral ein Gelübde machen müssten, dann wäre es nicht die Armut oder die Ehelosigkeit oder der Gehorsam, sondern die Hoffnung.

Ich glaube, das ist die Basis all unserer Arbeit; zu hoffen, dass die Menschen mit denen wir arbeiten wieder zum inneren Frieden finden, Gott erfahren können. All unsere Arbeit ist stückhaft, mangelhaft, fehlerhaft, aber ich vertraue darauf, dass Gott viel größer ist als wir und mit und trotz uns seinen Willen vollbringen kann.

Wer wir wirklich sind

Es war nicht immer leicht in der Gefängnispastoral, manchmal gab es ziemliche Durststrecken, viel Gegenwind und Momente, in denen ich nur die Kraft aus dem Gebet holte und aus der Option, die ich getroffen hatte mit dieser Mission. In solchen Momenten sehe ich das Missionskreuz an und bitte Gott um Kraft, Mut und Vertrauen und erst nach einiger Zeit wächst im Gebet wieder mein Vertrauen an ihm. Es sind die Zeiten der Einsamkeit, des Leidens an den eigenen Begrenzungen, Fehlern und Schwächen, der Gottesferne, obwohl und weil Er so nahe ist. Aber es sind auch die Zeiten der Wahrhaftigkeit, der Ehrlichkeit vor Gott, in denen die wirklichen, tiefen Überzeugungen Wurzeln geben und tragen. Du gehst und machst deinen Dienst einfach deswegen, weil es deine Mission ist, die sonst niemand übernehmen würde, weil Gott und die Menschen dich genau dort brauchen. Und du sagst immer wieder auf’s Neue „Ja1“ – ohne große Gefühle, ohne Anerkennung von außen, nicht einmal vor dir selbst. Aber es ist der Moment der Wahrheit, der Moment, in dem ich dann meine Freunde bitte, für mich und uns zu beten…

Ein Text von Jörg Zink hat mir in diesen Zeiten immer wieder geholfen und den möchte ich nun mit euch teilen:

Nun gibt es Zeiten in unserem Leben,
in denen es wichtiger ist, geduldig zu sein, als tüchtig,
besser, Schmerzen gewachsen zu sein, als zu arbeiten,
nötiger, sich in andere zu fügen, als zu befehlen,
die Einsamkeit einer Nacht auszuhalten, als am Tage mitzureden.

UND EBEN DIESE ZEITEN,
DIE UNS SO FREMD GEWORDEN SIND,
SIND ES, IN DENEN SICH ZEIGT,
WER WIR IN WAHRHEIT SIND.

Man trifft Gott am Weg, nicht am Ziel

Wenn ich zurückschaue, gab es in diesen drei Jahren viele Momente, in denen ich Gott nicht erwartet habe, aber er mir entgegenkam. Ich bin ein Mensch, der sehr viel plant und durfte immer wieder lernen, dass der Erfolg der Mission gar nicht von meinen Plänen abhängt. Viel wichtiger war es, offen zu sein, für das, was gerade auf mich zukommt. Verloren waren die Momente, in denen ich einem meiner Pläne – und möge er noch so wichtig gewesen sein – verfangen war und ihm Vorrang gegeben habe vor dem, was gerade auf mich zukam und von mir einen Antwort wollte. Deshalb möchte ich mit euch noch ein weiteres schönes Gedicht von Madeleine Delbrêl teilen, das genau von dieser Freiheit spricht, Gott Gott sein zu lassen und Ihn in meinem Leben handeln zu lassen.

Geht hinaus in euren Tag
ohne vorgefasste Ideen
und vorausgeahntes Ermatten,
ohne Absicht mit Gott,
ohne Bescheidwissen über ihn,
ohne Begeisterung, ohne Bibliothek.

Brecht auf
ohne vorgezeichneten Weg,
ihn zu entdecken,
denn wisst:

man tifft ihn
unterwegs
nicht am Ziel.

Nimm Abschied und gesunde

Es ist Zeit zum Abschiednehmen von hier. Jede Minute wird wertvoll mit den Menschen, die ich liebgewonnen habe. Abschied tut weh, aber zeigt auch klarer die Liebe, die wir füreinander gewonnen haben. Tränen sprechen von geteilter Geschichte. Deshalb möchte ich an das Ende dieses Rundbriefes den schönen Text von Hermann Hesse stellen, den sicher viele von euch kennen:

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Nur viel Liebe kann uns befreien

Mit diesem Zitat aus einem Lied möchte ich mich von euch verabschieden. Ich wünsche uns allen, dass wir Gottes unendliche Liebe immer wieder spüren und mit all denen teilen, die ihrer so dringend bedürfen. Möge Gottes Segen uns begleiten.

In Gebet und Engagement verbunden,

Eure Pia Schildmair