Aus dem Katholischen Blickwinkel
Old Fangak ist ein Payam (kleine Verwaltungseinheit) im Bezirk Foam, im Nordosten des Bundesstaats Jonglei. Die Bevölkerung gehört ausschließlich dem Stamm der Nuer an. Keine Straßen führen dorthin, stattdessen fließt der Fluss Bahr-el-Zeraf vorbei. Man braucht einen Tag, um Foam zu erreichen, und zwei Tage, um mit dem Frachtboot nach Malakal zu kommen. Von Old Fangak erstreckt sich der Payam dreißig bis vierzig Kilometer weit in den Busch, die katholische Gemeinde versorgt Menschen, die bis zu 120 Kilometer vom Zentrum entfernt leben.
Die Regierung betreibt eine Grundschule in Old Fangak (aktuell bis P6), in der im Jahr 2012 etwa 385 Schüler eingeschrieben waren. In mindestens zwei Dörfern außerhalb versammeln Lehrer der Regierung Kindergruppen, um ihnen grundlegende Lese- und Schreibkenntnisse zu vermitteln (bis P4), aber um die Schule zu beenden und ein Abschlusszeugnis zu erhalten, muss man am Unterricht in Old Fangak teilnehmen. Die nächsten Grundschulen, die einen Abschluss bieten, sind in Foam (50 Kilometer nördlich) und Ayod (120 Kilometer südlich). Es gibt keine genauen Statistiken, aber wir nehmen an, dass mehr als 60000 Menschen auf die Schule in Old Fangak angewiesen sind. Weniger als zwei Prozent der Menschen können lesen und schreiben, bei den Frauen nur 1 ‰ (eine von Tausend!).
Herausforderungen im Blick auf die örtlichen Behörden: die Regierung hat drei Schulgebäude außerhalb Old Fangak errichtet (Nichtregierungsorganisationen haben weitere zwei Schulen gebaut), aber am Ende gibt es keine Lehrer, die bereit sind zu bleiben, weil die Lebensbedingungen untragbar sind für diejenigen, die an das Leben in der Stadt gewöhnt sind, und weil keine Gehälter bezahlt werden. Die zentrale Schule in Old Fangak ist nur wenig besser dran. Ein qualifizierter Lehrer von außerhalb würde die Lebensbedingungen nicht akzeptieren, wenn er nicht schon seinen Wohnsitz hier hätte. Die Lehrer müssen mehrere Monate auf ihr Gehalt warten, das an sich schon viel zu gering ist (etwa 350 Pfund – weniger als 100 US$). Deshalb müssen sie eine weitere Einkommensquelle suchen, um ihre Familie zu ernähren, und sie sind nicht verpflichtet, in der Schule zu bleiben, um den Unterricht vorzubereiten. Oft kommen sie zu spät zum Unterricht, oder sie kommen gar nicht. Freiwillige Lehrer sind etwas engagierter, denn sie möchten auf die Gehaltsliste gesetzt werden. Aber sobald ihr Name auf der Lehrerliste steht, gibt es keinen Grund mehr zu arbeiten, denn sie haben ihr Ziel erreicht und sie benehmen sich wie die anderen Lehrer.
Eine andere Herausforderung ist die schlechte Ausbildung der Lehrer. Die meisten von ihnen haben die weiterführende Schule nicht abgeschlossen, manche nicht einmal die Grundschule. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Lehrer ein gefälschtes Zeugnis in Malakal gekauft hat. Da viel Unterricht ausfällt, und wegen des niedrigen Bildungsstandards der Lehrer haben wir Comboni-Missionare (Sc. Ketema und P. Alfred) uns verpflichtet, die Oberstufe der Grundschule zu unterrichten.
Herausforderungen, die die Menschen betreffen: Die Kultur der Nuer basiert auf dem Austausch von Vieh und auf Heirat. Die Söhne haben zuerst die Pflicht, das Vieh zu versorgen, und von den Mädchen erwartet man, früh zu heiraten (manchmal drängt die Familie auf eine Heirat, da das Vieh benötigt wird, um die nächste Hochzeit zu arrangieren). Da Frauen jung verheiratet werden, haben sie keine Gelegenheit, zuvor die Grundschule abzuschließen. Gegenwärtig sind drei Mädchen in der Klassenstufe P5 in Old Fangak, eine davon ist schon Mutter von drei Kindern. Diejenigen Familien, die wirklich möchten, dass ihre Kinder eine Ausbildung erhalten, schicken sie nach Malakal oder Juba. Sie wählen vielleicht einen oder zwei Jungen aus, um die Grundschule in der Stadt zu besuchen, die anderen Kinder sollen im Hof und auf dem Feld arbeiten.
Wie kann der Beitrag der Comboni-Missionare in dieser Situation aussehen?
Ich habe als Schulleiter in einer diözesanen Schule in Tali im Bezirk Terekeka gearbeitet. Die Situation der Mundari und die der Nuer in Old Fanak sind sich darin ähnlich, dass beide ethnischen Gruppen Viehhalter sind und dass die Regierung der Bevölkerung keine angemessenen Bildungsangebote bereitstellt. Im Jahr 2010 beschlossen wir unsere eigene Schule zu eröffnen, um die Arbeitsdisziplin und die Unterrichtsqualität kontrollieren zu können.
Die Lehrer werden respektvoll behandelt und pünktlich bezahlt. Aber sie werden auch zur Rechenschaft gezogen: Es gibt kein Gehalt als solches, sondern eine Entlohnung für jede erteilte Unterrichtsstunde. Jeder Tag oder jede Unterrichtsstunde, die der Lehrer verpasst, wird von der monatlichen Zahlung abgezogen. Dies macht ihre Anwesenheit verlässlich, und die Schüler verlieren weniger Unterrichtsstunden im Jahr.
Gleichermaßen wichtig für die wirtschaftliche Sicherheit der Lehrer ist die Aussicht, dass sie der örtlichen Gemeinde auf eine bedeutende Weise dienen. Die Lehrer erleben die Fortschritte der Schüler mit, und das motiviert sie. Es ist ihr kleiner Beitrag dazu, die neue Nation aufzubauen. Während man sich vielleicht über die allgemeine Situation im Blick auf die Entwicklung im Südsudan beklagt, zeigt eine funktionierende Schule unmittelbare Ergebnisse guter Leistungen, und die Lehrer können für sich geltend machen, dass ihr Dienst das Leben von vielen Kindern ändert. Wenn andererseits an einer Schule der Unterricht nicht gut organisiert ist, wenn Schüler und Lehrer gleichermaßen nicht regelmäßig an den Unterrichtsstunden teilnehmen und deshalb die Leistung ziemlich gering ist, verlieren die Lehrer die Motivation (wenn sie am Anfang überhaupt eine hatten) und versuchen das System zu überleben. Sie betrachten die Schüler als Einkommensquelle und erheben Gebühren für die Einschreibung und Prüfungen, obwohl die öffentliche Grundschulausbildung im Südsudan ausdrücklich kostenlos ist.
Wenn man die Kultur der Viehhalter betrachtet, wird es lange dauern, bis die Menschen den Wert moderner Bildung verstehen. Je mehr sie in Kontakt mit der globalisierten Welt kommen, umso mehr wünschen sie, dass ihre Kinder ausgebildet werden. Aber der moderne Lebensstil ist noch weit entfernt von den Nuer in diesem Gebiet. Old Fangak fehlt nicht nur eine Straße als Verbindung zur Außenwelt, wir haben weder ein Mobilfunknetz noch einen örtlichen Radiosender. Die kleineren Dörfer haben keinen Markt, und oft essen die Familien ohne Salz. Wir haben versucht, Dorfschulen in entfernten Kapellen einzurichten, von wo die Kinder nicht nach Old Fangak laufen können. Die Missionare würden Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellen und angehende Lehrer zur Schulung schicken, aber die Gemeinde müsste den Lehrer verhalten (wenn nicht mit Geld, dann zumindest mit Naturalien). Es hat nicht funktioniert. Die Menschen wollen eine Schule haben, aber ohne einen eigenen Beitrag zu leisten. Solange es sie nichts kostet und ihr Leben nicht stört, mögen sie den Gedanken an eine Schule. Aber einen Lehrer zu unterstützen oder ihren Kindern zu erlauben, täglich am Unterricht teilzunehmen, kommt nicht in Frage. Im Fall der Mädchen haben Heiratsabsprachen eine höhere Priorität als Lese- und Schreibkenntnisse.
Der Brief Africa Munus fordert, dass Schulbildung nicht nur intellektuelles Wissen vermitteln sollte, sondern auch Werte, die auf der Soziallehre der Katholischen Kirche basieren. Die Jugend sollte eine Bildung erhalten, die ihr Gewissen so ausformt, dass sie als aktive und mündige Christen in der Gesellschaft leben. Afrika wird sich nur solide entwickeln, wenn die Menschen Verantwortung übernehmen und verantwortlich handeln. Hier in Old Fangak hinken wir noch einen Schritt hinterher. Wir fragen noch nicht, welche Art von Bildung nötig ist, sondern wir kämpfen um die Umsetzung jeglicher Art von organisierter Bildung.
Vielleicht gehen diese beiden Dinge Hand in Hand: Bildung geschieht, noch bevor sie in Form eines Bildungssystems angeboten wird. Die Nuer hatten immer ihre eigene Art, Wissen zu vermitteln. Interessant ist, dass die Nuer nur ein Wort für „Wissen“, „Fähigkeit“ und „Erfahrung“ haben. Es gibt „Lebensfertigkeiten“, die ihnen halfen, in einer feindlichen Umgebung zu überleben. Sie müssen intellektuelles Wissen zu diesen Fertigkeiten hinzufügen, um sich in einer modernen Gesellschaft zurechtzufinden. Bevor wir reguläre Bildung anbieten können, muss die Gemeinde (auf kommunaler und kirchlicher Ebene) verstehen, dass sie an einem Scheideweg angekommen ist. Ihre Identität als Nuer wir von der Schule nicht bedroht. Wenn sie aber künftig eine Rolle im Südsudan spielen wollen, müssen sie eher ihr „Lebensfertigkeiten“-Päckchen um moderne Bildung ergänzen. Als Christen müssen wir sicherstellen, dass diese nicht von persönlicher Integrität, familiären Werten und überlieferter Kultur losgelöst ist.
Nichtsdestotrotz glaube ich, dass gebildete Frauen ihre eigene Kultur verändern werden. Die Männer fürchten diese Macht der Frauen richtig. Aber wenn wir von einem Punkt in der Zukunft zurückblicken, wird es hoffentlich als etwas Positives aufgenommen sein, als etwas, das gut zur Nuer-Kultur passt.
Pater Gregor Schmidt