Liebe Freunde,
ich sende euch Grüße und ein Lächeln aus Mapuordit im Südsudan. Weihnachten ist nahe, und Christus kommt wieder in die Armut jeden Tages. Ich möchte nicht die Gelegenheit versäumen, Euch mit dieser Nachricht meine persönlichen Wünsche für frohe Weihnachten und ein glückliches Jahr auszusprechen, auch wenn ich wie üblich spät dran bin.
An jenem Tag wird man zu Jerusalem sagen: Fürchte dich nicht, Zion! Lass die Hände nicht sinken! Der HERR, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt. Er freut sich und jubelt über dich, er schweigt in seiner Liebe, er jubelt über dich und frohlockt, wie man frohlockt an einem Festtag. (Zefanja 3, 16-17)
Ich zitiere diese Verse vom Propheten Zefanja aus der Liturgie im Advent. Es ist eine klare und deutliche Botschaft, wer Gott ist und wer wir für Gott sind: Gott ist unter uns, Emmanuel. Gott rettet uns, und er ist wirklich ein mächtiger Heiland! Er erneuert uns – und er tut es mit Liebe. Darüber jubelt er mit Freudenrufen. Gott, Vater und Mutter, frohlockt – nicht, weil wir gut sind, sondern weil wir Gott die Gelegenheit geben, uns zu erneuern, uns „festzulegen“, wie nur er es kann. Gott kann in uns handeln, wenn wir es zulassen – wie groß ist dann seine Freude!
Wenn wir an diese Worte denken und daran, dass sie ein Geschenk sind, ein Liebesbrief von Gott an uns, denken wir nach. Im Rückblick frage ich mich, ob ich wirklich geglaubt habe. Vielleicht muss ich feststellen, dass es nicht immer der Fall war. Doch Weihnachten ist die Zeit, um darüber nachzudenken, dass uns in Jesus ein neues Leben geschenkt ist. Weil wir es brauchten, weil wir andernfalls nicht imstande wären, das Gesicht zu zeigen, das Gott für uns geschaffen hat. Unser wahres Gesicht, ohne Masken, sein Gesicht durch uns.
Wenn ich zurückblicke, bedeutet das für uns in Mapuordit, dass ein weiteres Jahr außergewöhnliche Menschen sich um Kranke gekümmert haben, indem sie sie unterstützt haben, sie beraten haben, manchmal einfach dadurch, dass sie ihnen die richtige Arznei für ihre Verfassung gegeben haben.
Das bedeutet, dass trotz allem viele Menschen sich unserem Krankenhaus anvertraut haben. Viele, wirklich!
Unsere jährliche Statistik zeigt, dass schon im November die Zahlern im Vergleich zum Vorjahr überschritten wurden, mehr ambulante Patienten und mehr Aufnahmen, mehr Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen, mehr Impfungen in der Umgebung.
Von Januar bis November besuchten etwa 40.0000 Menschen unsere Ambulanz, 4.000 mehr als im Vorjahr, und 5.000 wurden stationär aufgenommen. Die Geburtshilfeklinik bot mehr als 4000 Schwangeren Vorsorge, und 482 beschlossen, im Krankenhaus zu entbinden, auch dank dem ambulanten Dienst. Auch die Präsenz in der Umgebung nennt mit 20.000 Impfungen einen Zuwachs. Dazu beigetragen hat die neugebaute Straße, die unser Krankenhaus an die Hauptstraße von Juba nach Wau anbindet. Die Klinik war jahrelang abgeschnitten und wird nun zum Anlaufpunkt für alle, die weit entfernt leben. Es ist ein Zeichen der Entwicklung, aber auch Belastung und Verantwortung. Dieses Jahr wurden wir auch von vielen Freiwilligen besucht, die mit uns die Freuden und Sorgen unserer Menschen geteilt haben. Ohne die Hilfe dieser Mitarbeiter wären viele der angebotenen Leistungen nicht möglich gewesen. Dank der Solidarität vieler Menschen ist es dem Krankenhaus möglich, diejenigen zu erreichen, die weit weg sind, und deshalb vertrauen sie uns.
Es geht darum, für die Menschen da zu sein, die zu uns kommen, manchmal mit dem Arm in einer Schlinge, auf der Suche nach einer Antwort auf ihre gesundheitlichen Probleme. Sie finden nicht immer eine, nicht jeder schafft es. Wir können uns rühmen, dass 91% mit gutem Erfolg als Resultat der stationären Aufnahme entlassen werden, wir müssen aber auch eingestehen, dass 2% der Patienten irgendwann das Krankenhaus verlassen und zu einem „Heiler“ zurückkehren. Das sind doppelt so viele wie diejenigen, die ein chronische Krankheit haben, die nicht geheilt werden kann, und weitere, die von Gott dem Vater / der Mutter heimgeholt wurden, nicht als Bestandteil einer Statistik, sondern als geliebte Söhne und Töchter, die den Trost gefunden haben, den Menschen ihnen nicht geben können.
Es gibt sicher einiges, was man noch tun könnte, und es gibt Bereiche, die verbesserungswürdig sind, aber dann besteht die Versuchung, alles zu tun. Das würde dazu führen, dass wir vergessen, dass Gott bei jedem Anlass gegenwärtig ist.
Das große Ereignis dieses Jahres war die Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung zwischen der Regierung und der bewaffneten Opposition derer, die Rebellen genannt werden. Dies erlaubte dem Oppositionsführer, aus dem Exil in den Südsudan zurückzukehren. Obwohl die allgemeine Skepsis groß war, sagte eine Persönlichkeit von großer moralischer Bedeutung, der emeritierte Bischof Paride Taban, dass der Friede dieses Mal eine Chance hätte. Tatsächlich sind einige arrogante Stimmen, die in der Vergangenheit die Verantwortung abgestritten hatten(zahllose Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten), verstummt. Ich denke, viele waren überrascht zu hören, dass der Präsident erklärte, der 2013 entfesselte Bürgerkrieg sei das „Verschulden der herrschenden Klasse“ gewesen und dass er um Vergebung bat für all das Schlimme, das der Bevölkerung angetan worden war.
Natürlich argwöhnen viele, dass der hauptsächliche Beweggrund für die neue Vereinbarung (noch eine) eher eine ausgewogene Aufteilung der Machtverhältnisse ist als ein wirklicher Plan für Frieden und Entwicklung – aber im Augenblick ist es alles, was wir haben.
Die Menschen im Südsudan haben diese großartige Widerstandsfähigkeit. Sie sind wie das Volk Israel, an das der Prophet Zefanja sich in seiner Botschaft wendet: sie haben so viel Elend erlebt, dass man sieht, wie sie den Kopf hängen lassen, womöglich sogar müde sind, etwas Gutes in ihrem Leben zu erwarten. Wer kann sie auffordern, gegen die Hoffnung zu hoffen? Ich denke, das ist die Aufgabe, die wir als Kirche zu tun berufen sind, und oft braucht das keine Worte. Oder vielleicht doch, wenn die Worte nicht durch unser Tun oder mehr noch durch unser Sein weggeweht werden.
Ich blicke zurück und sehe Gelegenheiten, bei denen ich nicht in der Lage war, diese Hoffnung aufzuzeigen, die Gegenwart Gottes unter uns zu versichern, ein mächtiger Heiland. Ich erkenne, wie sehr ich es versäumt habe. Ich gehe auf Weihnachten 2018 mit gesenktem Kopf zu – weil ich diese Gelegenheiten ausgelassen habe, weil ich das Ziel verfehlt habe.
Ich möchte Euch zwei Geschichten erzählen – die von Kowoch und Amer, beide Pateinten in unserem Krankenhaus; für beide von ihnen ließen wir den Kopf aus Verzweiflung hängen.
Kowoch ist ein junger Mann, der vor etwa einem Monat von seiner Familie in Ketten (wörtlich) eingeliefert wurde. Ein psychisches Problem, das ihn zu unbewussten Handlungen verleitete. Er war auch gewalttätig gegenüber Familienangehörigen – die Angst vor ihm hatten. Die Aufnahme war zwingend, aber da unser Krankhaus über keine Psychiatrie verfügt, taten wir, was wir konnten: Arznei, Nahrung. Die Familienangehörigen sahen es nicht gern, dass wir die Fesseln lösten. Tatsächlich war das Krankenzimmer während seiner Behandlung völlig durcheinander. Schließlich mussten wir uns nach zwei Wochen mit der Tatsache abfinden, dass das Krankenhaus ihm nicht helfen konnte. Wir baten die Familie, ihn nach Hause mitzunehmen, wieder mit Medikamenten und Ratschlägen. Ich dachte, dass er bald zurück sein würde, wieder in Ketten und rasend vor Wut. Ich täuschte mich. Vor zwei Tagen kam er, um uns zu begrüßen, sauber und mit neuen Kleidern, und er erinnerte sich an alles. Er kam, um sich bei uns zu bedanken. Ich denke, was den Unterschied ausmachte, war, dass wir versuchten, bei ihm zu sein, ihn zum Reden zu bringen, ihm zu vertrauen – ihn wie einen Menschen zu behandeln. Ich hatte für ihn die Hoffnung verloren. Gott, zeigte mir, dass die Dinge anders lagen.
Amer ist ein siebenjähriges Mädchen. Wir nahmen sie auf wegen Beschwerden im Bauchraum, vermutlich ein Lymphom, und wir begannen mit der Behandlung, soweit es möglich war. Aber auch in ihrem Fall standen wir vor Herausforderungen, denn es gab ernsthafte Komplikationen, vermutlich wegen einer Infektion, die wir nicht erkannt hatten. Wir dachten, dass wir sie verlieren würden. Wir versorgten sie mit allem – und Gott schenkte uns ein Weihnachtswunder. Sie hat sich erholt und scheint stark, gesprächig und anhänglich. Wir hoffen, dass sie bereit ist für den zweiten Chemo-Zyklus. Wir werden es mit Bangen angehen, aber Gott wirklich um seine Hilfe bitten, der unsere gekrümmten Lebenslinien niedergeschrieben hat.
Bei diesen beiden Menschen habe ich den Kopf hängen lassen, und ebenso wegen versäumter Gelegenheiten, bei denen im Recht zu sein mir wichtiger erschien als liebevoll zu sein. Und ich entdeckte, dass Gott gerade wegen dieser Unzulänglichkeiten meine Hand nehmen und mich in seine Arme schließen wird. Wieder einmal. Und er wird mich mit seiner Liebe erneuern, weil er weiß, wie sehr ich das brauche. Gott gibt uns immer eine neue Chance. Um mit Freudenrufen zu jubeln, wenn wir daran denken, was er mit uns tun kann. Das wünsche ich jedem von euch, ebenso wie eine neue Chance, um mit Gott neu zu beginnen!
Ich sende euch viele Grüße und eine Umarmung. Ich vertraue den Frieden im Südsudan Euren Gebeten an. Frohe Weihnachten und ein glückliches Jahr 2019!
Bruder Paolo Rizzetto