Liebe Freunde und Verwandte,
Mutter mit Kind, und Kinder, die ihre Geschwister tragen ist gewöhnlicher Alltag hier. Ein paar Wochen nach der Geburt ist das Kleine überall dabei, ob auf dem Feld, beim Wasserholen oder auf dem Markt, überall werden sie mitgetragen. Der enge Körperkontakt von Klein auf hat die Menschen in diesem Kontinent hinsichtlich ihrer Beziehung zueinander gewaltig geprägt. „Ich bin, weil Wir sind“, ist nicht umsonst ein Sprichwort, das man in sehr vielen Afrikanischen Kulturen wiederfindet. Während in Europa der Individualismus und die Selbstverwirklichung die Menschen prägt, identifizieren sich Menschen im afrikanischen Kontinent fast in allen Bereichen des Lebens durch ihre Zugehörigkeit zu anderen, zu einer Familie, zu einem Klan und zu einer Volksgruppe. Allein zu sein ist etwas vom Schlimmsten und gleichzusetzen mit dem Tod, während in der Gemeinschaft das Leben gefunden wird. Deshalb haben alle Riten, die die Menschen auf dem Weg des Erwachsen Werdens durchlaufen eine wesentliche gemeinschaftliche Komponente: man wird in die Gruppe, den Clan etc. aufgenommen, von dem man fortan getragen wird.
Kinder spielen bei den Pokot eine große Rolle. In der Tat kann ein Pokot davon nie genug haben, weshalb ein angesehener Mann auch mehrere Frauen heiratet, die möglichst jung sein sollen, um viele Kinder bekommen zu können. Gewöhnlich werden die Mädchen gleich nach ihrer „ Vorbereitung“, das heißt nach ihrer Beschneidung, mit etwa 13 Jahren verheiratet. Der Vater unseres Abgeordneten des Pokot Distrikts starb vor einem Monat mit 97 Jahren und hat eigene Kinder noch in der Schule. Letzte Woche hat mich ein Katechist gebeten, eine Frau zu besuchen, deren Mann gerade verstorben war. Obwohl er ein armer Schlucker war, hatte er, als Mann, die Möglichkeit, andere Mitglieder seines Clans um Hilfe zu bitten, so dass er die Familie ernähren konnte. Ohne den Mann ist die Frau nun hilflos, da sie durch die Heirat zwar Mitglied des Clans ist, aber dort nichts zu sagen oder zu erbitten hat. Im Gegenteil, die von denen der Mann etwas erbeten hat, kommen nun um jede Kleinigkeit in der Hütte zu konfiszieren. Sie wird wohl bald von einem Bruder des Verstorbenen Ehemannes als Zweit- oder Drittfrau geheiratet werden, der dann für die Familie sorgt. Wir werden sie besuchen und schauen, ob wir durch eine Kleine Christliche Gemeinschaft da was machen können. Die Frauen sind fast überall in Afrika die schwächsten Glieder der Gesellschaft, aber bei den Nomaden ist ihre Bedeutung nur so groß, wie die Zahl ihrer Kinder. Die Arbeit, die von ihnen erwartet wird, umfasst ale Bereiche des Lebens vom Wasserholen, Feuerholzsammeln, Essenbereiten, Kinder versorgen, Wäschewaschen, Hausbauen, Feldbestellen, Ziegenhüten, Kühemelken, … und ist gewaltig. Ein Pokot schätzt seine Frauen, weil sie es doch sind, die seinen Besitz vermehren und für die er ja auch den Brautpreis bezahlt hat. Viele betrachten ihre Frauen deshalb selbst auch als ihren Besitz und wenn er mit anderen über sie spricht nennt er sie meist „ monïng ” (Kinder) .
Kinder sind es auch vor allem die wir auf die Sakramente vorbereiten. Wöchentlich machen das unsere Katechisten in den Kapellen, aber in den Ferien unterrichten wir sie als Gruppe zusammen in einem unserer Zentren. Ende September hatte ich einen solchen Kurs einmal außerhalb der Ferien in einer besonders entlegenen Station. Während wir in der Mission abends zwei Stunden den Generator laufen haben und so immer mit dem Luxus von Elektrizität umgeben sind, ist es dort eine ganz andere Erfahrung: Wasser vom Brunnen holen, kochen und essen im Dunkeln, ohne zu sehen, was da auf dem Teller ist, Kochtöpfe mit glühender Kohle auszuwaschen, weil keine Seife oder Stahlwolle zur Hand ist. Leider war das Wasser im Brunnen wohl etwas verseucht (viel Regen und Toiletten der Schule nicht zu weit entfernt!) und die Moskitos haben Wege gefunden, trotz Moskitonetz an mich ran zu kommen, so dass ich nach dem Kurs einige Tage mit Malaria und Typhus Fieber im Bett verbringen konnte. Aber das ist für die Menschen hier Alltag und an Malaria sterben och heute die meisten Menschen in Afrika, weil die nächste Krankenstation oft zu weit entfernt ist. Manche Leute gehen mehr als 15 Kilometer um eine solche zu finden und dieselbe Entfernung nochmals zurück am selben Tag. Eine Comboni-Schwester leistet zusammen mit zwei Krankenschwestern hier sehr gute Arbeit. Zweimal die Woche fahren sie in die entlegenen Orte der Pfarrei, machen Impfungen und behandeln Kranke.
Dass gutes Wasser lebenswichtig ist und schlechtes krank macht, habe ich selber erfahren. Deshalb haben wir auch jetzt wieder nach Wasser gesucht und werden Anfang nächstes Jahr Brunnen bohren lassen. Ohne Wasser gibt es keine Entwicklung. Früher sind die Menschen deshalb immer wieder umgezogen, heute sind die Pokot mehr und mehr seßhaft und damit auf Strukturen, wie Wasser, aber auch auf Schulen angewiesen. An drei Orten haben wir dieses Jahr neue Klassenräume angebaut, so dass dort nun jeweils eine volle Grundschule unterrichtet werden kann. Aber immer noch gibt es genug Orte, wo die Kinder nicht in die Schule gehen.
Vom Regen war unsere Gegend dieses Jahr gesegnet. Im August ist die Regenzeit zu Ende, doch dieses Jahr hatten wir in manchen Ecken der Pfarrei noch bis Anfang November Regenfälle. Viel Ernte wurde dann zwar auch wieder vom Zuviel an Regen kaputt, aber die Mehrheit derer, die etwas angepflanzt hatte, bekam doch eine gute Ernte. Zudem wuchs überall genug Gras, so dass die Kühe erst jetzt Mitte November ins Nachbarland Uganda zum Grasen gebracht werden müssen. Eine gute Ernte in diesen Landstrichen ist aber nicht mit deutschen Verhältnissen zu vergleichen: Der geerntete Mais wird für die Pokot höchstens bis Februar reichen. Danach sind sie wieder ganz auf ihre Tiere oder auf die Hungerhilfe von der Regierung angewiesen. Man darf nicht vergessen, dass wir hier in einer „Halbwüste“ leben. Das Aufbauen von Hütten zum Lagern von Mais ist natürlich wieder gänzlich Frauenarbeit.
Angesichts des allgegenwärtigen Hungers, ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen einerseits keinen Glauben an die Regierung haben, andererseits aber auch leicht manipulierbar sind, wenn es um Wahlen geht. Und die stehen hier jetzt wieder an: Am 27. Dezember soll neu gewählt werden. Die mehr als 110 Parteien, die dazu antreten, haben kaum unterschiedliche Wahlprogramme. Was zählt, sind die Gesichter der Kandidaten, und die wechseln die Partei wie andere ihre Unterwäsche. Noch amtierende Abgeordnete sparen sich Gelder, die für Projekte bestimmt waren bis zum Wahlkampf auf, um sich nun als die großen Helden zu zeigen, die den Menschen Entwicklung bringen, Manipulation wohin man schaut, das ist zum „Haare ausraufen“ – zum Glück hab ich da nicht mehr viele.
Euer Hubert