Selam liebe Freunde!
Meine Zeit vergeht hier wie im Fluge…nun bin ich schon zwei Monate in Äthiopien und habe auch schon so viele Dinge erlebt. Heute möchte ich euch von meinem speziellen Freund Abel erzählen!
Abel…
Abel ist etwa acht Jahre alt, ganz genau weiß das niemand. Aufgrund seiner HIV-Infektion hatte er eine Hirninfektion, die unter anderem sein Sehvermögen wesentlich beeinträchtigte. Abel ist nun blind (er kann noch Lichtschein wahrnehmen).
Abel besucht die Montessori-Klasse. In dieser Klasse sind etwa 50 2-4jährige kleine Kinder. Das bedeutet, dass er meistens inmitten dieser Knirpse auf der Spielmatte sitzt und hin und wieder ein paar Bausteine in die Hand nimmt.
Oft sitzt er auch weinend in einer Ecke, da er Zweikämpfe mit den kleinen sehenden Kindern einfach nicht bestehen kann oder weil nicht auf ihn eingegangen wird – was den ZWEI (!) Erzieherinnen niemand verübeln kann…
Abel „wohnt“ und schläft im „Sickroom“. Dort sind überwiegend kranke Babys und kleine Kinder. Leider wird er oft auch wie ein Kleinkind behandelt. So hat er sich schon ganz gute Strategien angewöhnt, um das zu bekommen was er will. Wird ihm etwas nicht hinterhergetragen oder gebracht was er möchte (im Moment „Macchina“, ein ganz bestimmtes Spielzeugauto!!), vergießt er auf der Stelle unglaublich große Krokodilstränen und schreit dazu. Ab und an redet er einfach wirres Zeugs ( so berichten mir die „Workers“). Er scheint, dann völlig in seiner eigenen Welt zu sein.
Ich arbeite eine Stunde am Tag mit ihm. Nachdem ich meinen Unterricht im Kindergarten beendet habe, hole ich ihn in der Montessori-Klasse ab. Er scheint immer schon auf mich zu warten: „Christie, Christie!“
Mein Hauptziel im Moment ist, seine Orientierung und Mobilität ein wenig zu schulen, um ihn unabhängiger zu machen. So übe ich mit ihm den Weg ins Klassenzimmer (leider gar nicht so einfach….viele Treppen, manche ohne Geländer, Mauern und Kurven, freies Gelände). Der Comboni-Bruder Aldo hat mir bereits geholfen mit Holz und Co Abels Weg für ihn verständlich zu markieren. Ich hoffe, dass bald ein zusätzliches Geländer angebracht wird. Ich bin mir auch noch nicht sicher, ob er ein uneingeschränktes Hörvermögen hat…vielleicht spielt er auch nur mit mir….es ist und bleibt spannend! Auf alle Fälle habe ich nun einen äthiopischen Blindenpädagogen kontaktiert und getroffen, der demnächst kommt, um Abel zu sehen. Da ich kein (bzw. nur ein bisschen „tinnisch“) Amharisch spreche, möchte ich von ihm eine Einschätzung von Abel haben.
Abels größte Freude ist, wenn ich ihn aus seinem Sickroom-Bezirk raushole und mit ihm „attatsch“ (nach unten) zum Spielplatz gehe.
Es gibt noch einiges zu tun mit ihm und vor allem auch mit den Angestellten. Schritt für Schritt versuche ich ihnen, Dinge zu zeigen, die helfen Abels’ Alltag zu erleichtern. Allerdings möchte ich auch einige Dinge ändern, die Abel im ersten Moment vielleicht nicht so gefallen werden (Macchina bleibt im Sickroom und wird nicht in die Schule mitgenommen, Abel kann sich Dinge, die er möchte z.T. selbst besorgen und braucht nicht nur zu schreien,…) Natürlich dauert das Ganze eine gewisse Zeit. Und so bin ich doch recht froh, für längere Zeit hier zu sein, um ein bisschen was bewirken zu können…
„Überfall aus den USA“…
Eines Tages erzählte mir Schwester Susie, dass sich für heute Besuch angekündigt habe…die Kinder würden davon aber noch nichts wissen. Es sei eine große Überraschung.
Am späten Vormittag rückten sie also an. Eine Gruppe von Leuten aus den USA. Darunter ein Priester und wohl Leute aus seiner Gemeinde. Auf dem Sportplatz wurden drei große Hüpfburgen und verschiedene kleine Spielaktionen wie Torwand schießen, Dosen werfen…aufgebaut. Die Kinder wurden dann geholt und waren auch gleich ganz aufgeregt. Die Kids saßen also draußen auf der „Zuschauertribüne“ (drei große Steintreppen) und die „Gäste“ waren auf dem Sportplatz. Getrennt waren beide Gruppen durch einen Drahtzaun. Dann begann eine Frau den Kindern zu erzählen, wie sie sich verhalten sollen (in Reihen anstellen, sich benehmen, nichts stehlen…)…was alles übersetzt wurde. Sie erzählte, dass es heute unglaublich viele Süßigkeiten geben würde. Dann kam eine zweite Frau. Sie „übte“ mit den Kindern ein Lied ein, dass sie immer singen können, wenn es ihnen schlecht geht. Außerdem sei dieser Tag heute für alle Kinder, weil Gott sie liebe. „Gott sieht jede Träne, die ihr vergießt. Denkt an diesen Tag, wenn ihr traurig seid und bestimmt wird es dann wieder besser.“ Mir war das ehrlich gesagt schon zu viel…aber es kam noch besser: Als die Kinder dann „eingelassen“ wurden, wurden sie derart mit Süßigkeiten und Billigspielzeug überschüttet, dass es nicht mehr feierlich war. Die Spiele waren sicherlich eine tolle Sache und hätten den Kindern auch riesig Spaß gemacht, wenn es am Schluss nur ein paar Süßigkeiten gegeben hätte…So war das ganze eher eine „Materialschlacht“. Vielleicht bin ich in meinem Urteil auch etwas ungerecht, die Intention der Leute war sicherlich gut gemeint. Ich fand nur die Art und Weise, für ein paar Stunden zu kommen, alles Mögliche über die Kinder auszuschütten, um dann wieder zufrieden abzuziehen, total unmöglich.
Allerseelen…
An Allerseelen war ich zusammen mit den Schwestern, Pater Giovanni und „zwei Bussen voll Kindern“ auf dem Friedhof. Auf der Fahrt dahin war ich gemischter Gefühle…ich hatte keine Vorstellung, wie dieser Friedhofsbesuch aussehen sollte. Ich habe nur auf der Ablage des Busses vom Pater eine Liste mit Namen der Kinder gesehen, die auf dem Friedhof beerdigt sind. Es waren 47 Kinder!!
Auf dem Friedhof ging das große Suchen los. Da es ein sehr großer Friedhof ist und die Gräber relativ „durcheinander“ sind, sprich nicht in Reihen wie bei uns sind, war es gar nicht so einfach. Die Kinder, die dabei waren, gingen recht selbstverständlich mit der Tatsache um, dass hier ihre früheren Freunde / „Geschwister“ begraben sind. Jedes Grab bekam eine Kerze und ein Gebet wurde gesprochen.
Die Kinder, die in den letzten zwei Jahren gestorben sind, wurden an einem gemeinsamen Ort in nebeneinanderliegenden Gräbern beerdigt. Bis vor einem Jahr ist etwa jeden Monat ein Kind gestorben!! Ich konnte es kaum fassen! Schwester Susie hat mir dann an manchen Gräbern etwas über das jeweilige Kind erzählt. Wie tapfer diese Kinder doch waren! Ich musste mich unglaublich „zusammenreißen“, um nicht in Tränen auszubrechen…!!
Seit etwa einem Jahr erhalten die Kinder entsprechende Medikamente: In diesem Jahr sind bisher „nur“ zwei Kinder gestorben.
Die Kinder, die dabei waren, haben relativ unbeschwert gewirkt. Ich bin mir aber sicher, dass dem ein oder anderen sicher bewusst war, dass er die gleiche Krankheit hat, an der ein anderes Kind im Heim gestorben ist. Mit was für schwierigen Tatsachen die Kinder hier zurecht kommen müssen: keine Eltern haben, einer unter vielen sein, Krankheit, keine richtige Integration in die Gesellschaft, Tod…
Schule, Kindergarten, …
Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, die Schule ist eine große Baustelle!! Wie gesagt haben wir hier Kindergartengruppen und Grundschulklassen von 1-3.
Ein Problem ist, dass die Kommunikation zwischen den Lehrern und den Schwestern relativ schlecht ist bzw. manchmal überhaupt nicht zu existieren scheint. So haben beide Parteien keine / kaum eine Vorstellung vom jeweiligen Leben des anderen. (Dies ist auch ein generelles Problem: Die Schwestern haben sich für dieses Leben, den Dienst am Nächsten entschieden. Ihr Lebensinhalt ist das Gebet und ihre Arbeit an ihren Mitmenschen – ein „Privatleben“ wie wir es kennen/führen, gibt es für diese Schwestern nicht. Dass aber ihre Worker und Angestellte noch andere Inhalte wie Familie, Freizeit, Liebe in ihrem Leben haben, scheint für sie manchmal nicht im Raum zu stehen und so verlangen sie manchmal dasselbe Engagement und „Aufopferung“ wie sie selbst sie bringen.
So ist Kommunikation ein wichtiger Punkt, an dem wir gerade arbeiten. Nur wenn man die Lage seines Gegenübers kennt, kann man ihn auch verstehen. Kommunikation zwischen den Schwestern und den Lehrern und vor allem auch Kommunikation zwischen den Lehrern. Bisher scheinen sich unsere Lehrer untereinander nicht großartig ausgetauscht zu haben.
Gemeinsam mit der italienischen Lehrerin Elisabetta (50 Jahre) organisiere und leite ich jede Woche eine kleine Lehrerkonferenz in der wir aktuelle Neuigkeiten, Situationen in den Klassen, Informationen von den Schwestern miteinander besprechen.
Die ganze Sache ist allerdings noch etwas verhalten (jedes Mal kommen Lehrer zu spät, die Lehrer scheinen nicht daran gewöhnt zu sein miteinander zu diskutieren …)
Vor etwa zwei Wochen habe ich hier ein Zahnputzprogramm gestartet. Die Kinder hier putzen nie ihre Zähne. Auf meine Nachfrage hin meinte Sister Jan Maria (Oberin), dass sie alle mal Zahnbürsten hatten, damit aber alles mögliche gemacht haben, nur eben nicht ihre Zähne geputzt haben.
Ich schlug ihr vor, es in der Schule zu machen. So können die Bürsten und das ganze Equipment hier aufbewahrt werden und jedes Kind putzt zumindest einmal am Tag seine Zähne.
Ich habe nun also mit meiner Kindergarten-Klasse begonnen und die weiteren Klassen folgen Schritt für Schritt. Die Kinder haben einen riesigen Spaß und sind (bis jetzt!!) noch ganz wild aufs Zähneputzen. (Allerdings ist die ganze Sache gar nicht so einfach… jedes Kind hat seine eigene Zahnbürste und diese habe ich mit Edding mit dem jeweiligen Namen beschriftet. Der Edding hält aber nicht sehr lange…nun habe ich die Namen auf Papier geschrieben und mit Klebeband umwickelt…was auch nicht sehr lange halten wird. Wer also tolle Ideen hat, wie man eine Zahnbürste beschriften, bekleben…auf irgend eine Art und Weise individualisieren kann, bitte melden.)
Combonis…
Immer wieder gibt es Anlässe, an denen die hiesige Comboni-Familie zusammen kommt. So haben wir den „Comboni-Tag“ (10.10) sowie das 50jährige Ordensjubiläum von Bruder Aldo gemeinsam in Mexico (so heißt die Gegend, in der das Provinzhaus ist) gefeiert. Diese Tage genieße ich besonders. Es ist so schön, all die Brüder, Schwestern und Pater zu treffen. Hier erlebe ich besonders das Gefühl zu einer Gemeinschaft zu gehören. Außerdem sind diese Menschen so besondere Persönlichkeiten!
Außerdem treffe ich immer wieder einige der Postulanten, die ebenso in Asco wohnen. Einmal in der Woche kommen sie ins Waisenhaus und spielen Fußball mit den Kindern.
Addis…
Ich habe euch ja bereits ein wenig von Addis Abeba erzählt…ein große und sehr arme Stadt. Jedes Mal wenn ich in die Stadt fahre, bin ich über das Ausmaß an Armut schockiert. Es gibt so viele arme Menschen, die auf der Straße, im Dreck leben. Unglaublich viele verstümmelte, lepröse und behinderte Menschen. Kinder, die auf der Straße das Licht der Welt erblicken und dort aufwachsen…Es gibt eigentlich kaum Plätze, an denen man nicht mit dieser Trostlosigkeit konfrontiert wird. Manchmal muss man über Menschen steigen, die mitten auf dem Weg schlafen…Außerdem ist Addis eine unglaublich dreckige Stadt. Jeder schmeißt alles einfach auf den Boden und dementsprechend sieht es auch aus.
Und doch hat diese Stadt ihren gewissen Charme oder ihr gewisses Flair. Es sind die vielen Menschen, die einen mit ihrer Freundlichkeit und Offenheit für sich gewinnen.
Zuweilen ist die Neugier und das Interesse an uns „Ferenji“ ziemlich groß. Das zeigt wiederum das Äthiopien kein typisches touristisches Reiseland ist. Selbst im Zentrum von Addis sieht man nicht sehr viele Touristen. So höre ich täglich im Minutentakt wenn ich aus meinem Compound rauskomme oder durch Asco spaziere „Ferenji“. Kinder rufen meist „Karamela“, „Money“ oder „Mezehaf“ (Buch) und in einer halben Minute bist du umzingelt und jeder will dir die Hand reichen oder dich berühren. Manche meiner Volunteer-Kollegen unterstützen diese Haltung der Kinder auch noch, indem sie ihnen echt ständig Lutscher oder Süßigkeiten zustecken. – Das ist ja wirklich nett gemeint, aber auf diese Weise wird das Verständnis der Kinder: „Ferenji = Geld und tolle Sachen“ nur verstärkt. Und sie verbringen ihre Zeit nur noch auf der Straße anstatt in die Schule zu gehen und zu lernen. Manchmal unterhalte ich mich mit den Kindern in meiner Nachbarschaft. Von Einigen kenne ich nun schon die Namen und sie freuen sich so sehr, wenn ich sie mit ihrem Namen grüße.
Micki…
Jetzt muss ich euch doch noch von einem speziellen Kind / Teenager erzählen: Micki
Micki kam vor drei Tagen zu uns in die Krankenstation. Er ist /war ein Straßenjunge aus Addis. Er hat Lungenprobleme und war die ersten Tage sehr, sehr schwach. Außerdem ist er unvorstellbar dünn. Ich habe persönlich mit ihm nichts zu tun gehabt, habe dies nur alles mitbekommen, da er ja auch im Sickroom liegt.
Heute kommt unsere Ärztin auf mich zu und bittet mich, mich um Micki zu kümmern. Sie berichtet, dass er die ersten beiden Tage unbedingt wieder weg von hier wollte und es nur durch die Zurede von Tedy (ein junger Mann, Angestellter und „Mädchen für alles“) und Abraham (Jugendlicher hier im Heim) gelang ihn zu beruhigen. Der Ärztin sagte Micki, er wolle nur noch sterben. (Dabei weiß er noch gar nichts von seiner HIV-Infektion!!!) Ich glaube, wir können es uns beim besten Willen nicht ausmalen, was Micki wohl schon alles auf den Straßen in Addis erlebt hat! Und nun sollte also ich versuchen, mit ihm in Kontakt zu kommen und ihn an seine neue Umgebung gewöhnen. Ich sagte ihr natürlich zu, dass ich es versuchen wolle, war aber ehrlich gesagt skeptisch, dass ich etwas bei ihm erreichen könne…so ohne proper Amharisch!
Als ich mit Abel fertig war und ihn in den Sickroom zurückbrachte, erkundigte ich mich, wie es ihm ginge und fragte, ob er mit mir heute Nachmittag ein wenig im Compound herum laufen möchte. Zu meinem Erstaunen willigte er gleich ein…als ich später wieder kam, schlief Micki. Ich setzte mich mit einem anderem Kind auf dem Schoß neben sein Bett und wartete. Als er aufwachte, gab es zur Stärkung etwas zu Essen…ich war immer neben ihm…schließlich fragte ich, ob wir gehen sollen. Er fragte (übersetzt durch eine Angestellte dort) ob ich draußen oder im Compound meine. Mir war klar, dass er sich sehnte, raus zu kommen, allerdings ebenso, dass er dies als Chance nutzen könnte, abzuhauen. Ich erwiderte, für heute nur im Compound…und er willigte ein. So sind wir beide ein wenig durch die Gegend gelaufen, ich habe ihm die Schildkröten, unsere Grashäuser…gezeigt bis er „backa“ (genug, Ende) sagte. Im Sickroom blieb ich noch etwa eine halbe Stunde bei ihm zusammen mit anderen Kindern sitzen. Als ich sagte, dass ich jetzt gehe, reichte er mir seine Hand, zog mich zu sich und umarmte mich. In diesem Moment kam auch unsere Ärztin rein und lachte mich nur an…
Ich hab das Ganze sehr ausführlich geschrieben, vielleicht ist es auch nicht so interessant für euch. Für mich war das heute eine unglaublich intensive Erfahrung! Ich hätte nie gedacht, dass Micki einen „Ferenji“ (Weißer, Ausländer) an sich ran lässt!! Ich freue mich schon, ihn morgen wieder zu sehen…!
Sonnige Grüße von Eurer Christine