… Die Koffer sind gepackt, das Zimmer ist aufgeräumt und Abschied habe ich auch gefeiert – kurz: Ich werde das Comboni Brothers Centre (CBC) verlassen.
Es ist jetzt einen Monat her, dass ich von Deutschland nach Kenia aufgebrochen bin, seither wohne ich im CBC. Da ich in dem letzten Rundbrief kaum etwas über das CBC gesagt habe, möchte ich das nun nachholen. Dauerhaft leben hier vier Priester, vier Brüder und drei Priester-Anwärter; anders ausgedrückt, zwei Lateinamerikaner, vier Afrikaner und fünf Europäer – 11 Menschen im Alter zwischen 27 und 67 Jahren. Dazu kommen wir zwei Laienmissionare aus Deutschland mit dem gleichen Namen, die bei dem hohen Besucheraufkommen aber fast nicht weiter auffallen. Die Stimmung und der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft ist gut und groß. Es gibt für jeden Bewohner ein eigenes Zimmer und auch ansonsten zahlreiche Möglichkeiten, sich auf dem weitläufigen Gelände aus dem Weg zu gehen oder Ruhe und Erholung zu finden. Wie unter einer gigantischen Blase werden Lärm, Trubel und Hektik Nairobis ausgesperrt, sobald ich die Torschwelle passiere und sich das Tor hinter mir schließt.
Für ein angenehm afrikanisches Flair sorgen dann neben dem angenehmen Klima noch die Palmen, Bananen (mit Stauden) und Avocado-Bäume im Garten. Nicht zuletzt erinnern mich die zahlreichen Afrikaner – Bewohner, Arbeiter, Besucher – daran, wo ich mich eigentlich befinde: Eben nicht im europäischen Urlaubsparadies sondern auf einem anderen Kontinent mit einer anderen Lebensrealität.
Seit dem ich in Kenia angekommen bin, verfolge ich in der Zeitung Artikel über eine Trockenheit, die das Land bereits seit zwei Jahren in Atem hält. War zu Beginn Verlass auf die periodischen Regenzeiten, wurden diese im Verlauf unregelmäßiger, seltener und fielen schließlich ganz aus.
Da ich nicht weiß, in welchem Maße über diese Krise in Deutschland berichtet wird, weil mich das Thema aber interessiert und ich die Folgen in Zukunft selber zu spüren bekommen werde, möchte ich hier kurz die zahlreichen Probleme erläutern. Durch die ausfallenden Regenzeiten sind neben Ackerflächen auch Weideflächen verdörrt, weder Mensch noch Tier finden ausreichend zu Essen. Folge: Knappes Angebot bedeutet ansteigende Preise; 10 Mio. Kenianer hungern, Nutztiere werden auf der Suche nach Weideflächen Kilometer weit durchs Land getrieben, wilde Tiere kurzerhand in andere Gebiete transportiert.
Vor ein paar Tagen stand in der Zeitung, dass einige Menschen – zum Beispiel auch in Kibera – statt der normalen Lebensmittel das wesentlich billigere Schweinefutter kaufen, um daraus Chapati zu machen. Mögliche Gefahren durch unbekannte (chemische) Inhaltsstoffe und Durchfall nehmen sie in Kauf.
Die Preisentwicklung von Wasser ist analog, die Preise haben sich verdoppelt. Statt 5 EUR verlangen Bohrlochbesitzer nun für 4000 Liter Wasser 10 EUR während 10000 Liter Wasser nun für 15 EUR statt vorher 7 EUR verkauft werden. Wasser aus dem Hahn gibt es nur noch einmal in der Woche, sodass die Menschen jeden verfügbaren Behälter zur Speicherung von Wasser benutzen. Wasser wird recycelt – so kann Kochwasser zunächst zum Waschen und schließlich im Klo verwertet werden. Wenn das gesammelte Wasser trotzdem nicht reicht, schleppen hauptsächlich Frauen schwere Kanister auf dem Rücken vom nächsten Bohrloch bis nach Hause. Dabei werden nicht nur auf dem Land die Wege immer länger, wenn Wasserquellen austrocknen und versiegen.
Ein weiteres durch die Trockenheit bedingtes Problem ist die Stromversorgung, die in Kenia fast ausschließlich durch einen Stausee gewährleistet wird. Weil der Wasserspiegel dramatisch gesunken ist und weiter sinkt, wird der Strom in Nairobi rationiert – statt an sieben Tagen in der Woche gibt es, abhängig vom Stadtviertel, etwa drei Tage lang Strom.
Um kein falsches Bild zu vermitteln – es gibt durchaus Regionen in Kenia, die keine Probleme mit Wasser haben. Diese Regionen können aber nicht die Nahrungsversorgung des gesamtes Landes sicherstellen. Im Augenblick ruhen die Hoffnungen der Menschen auf dem Wetterphänomen El Niño, das ab Anfang Oktober Regen bringen soll. Paradox, dass die Menschen ein Wetterphänomen herbei sehnen, welches beim letzten Mal Hochwasser und Zerstörung im ganzen Land verursacht hat. 1997-98 hat es sechs Monate lang geregnet, Straßen und Häuser wurden weggeschwemmt, Menschen sind ertrunken. Auch wenn der El Niño 2009 milder werden soll, wurden in Nairobi einige vorbeugende Maßnahmen getroffen, um Hochwasser möglichst zu vermeiden. Wie ihr seht, die Lage ist und bleibt angespannt.
Im CBC kann ich diese Situation in Ruhe und mit Abstand verfolgen. Nur wenn ich etwas außerhalb des Centres unternehme, holt mich diese Realität ein – Eine Realität, in der die Ngong Road wie eine unsichtbare Mauer zwei Welten voneinander trennt. Auf der einen Seite die schönen Häuser mit Bohrloch, Stromgenerator und weitläufigem Gelände; grün, ruhig, langweilig. Auf der anderen Seite eng aneinander gedrängte Wellblechhütten. Auch wenn der Übergang fließend und nicht so abrupt ist, ist es die Ngong Road, die das reiche Kilimani vom mutmaßlich größten Slum Ostafrikas, Kibera, trennt. Staubige, unbefestigte Straßen mit teilweise tiefen Schlaglöchern und Gestank von brennendem Plastik, der die Luft verschmutzt. Am Straßenrand sammelt sich Müll, in denen Ziegen und Hühner trotzdem noch Essbares finden. Schließlich unglaublich viele Menschen, die hinter kleinen Ständen alles Mögliche und immer wieder das gleiche anbieten, die im Schatten vor sich hin dösen, die mit dem spielen, was die Straße hergibt. Kleber ist eine verbreitete Droge, die Hungergefühle überdeckt und den Alltag vergessen lässt.
Es ist dieser Kontrast, der mich gleichzeitig fasziniert und immer wieder erschreckt. Klingt das jetzt verrückt, wenn ich sage, dass es für mich nach kurzer Zeit zu einer Belastung wurde, am Morgen in die Slums zu fahren, um dort Menschen zu besuchen und mit ihnen in Kontakt zu kommen, nur um am Abend wieder in die heile Welt des CBC zurück zukehren? Etwa wie ein Tagesausflug in den Zoo? Im Tageslicht den Samariter spielen, und in der Nacht Augen und Ohren schließen? Ehrlich gesagt ist das nicht meine Vorstellung von dem Jahr als Missionar auf Zeit. Ich möchte mich mit den Menschen solidarisieren, indem ich mitlebe, mitarbeite und mitbete.
Wie es scheint, wurde dieser Wunsch erhört; wie oben bereits erwähnt ziehe ich um – in eine Wohnung in Kariobangi, einem Slum im Nordosten von Nairobi. Die Wohnung ist klein, dunkel, aber sicher eigenständig. Klein – ich teile mir das Schlafzimmer mit Christoph Liehr (Missionar auf Zeit aus Deutschland), außerdem gibt es, untypisch für das Stadtviertel, eine eigene Küche und eigenes Badezimmer.
Die Wohnung ist mit mehreren Schlössern gesichert, sie liegt im „sicheren“ Teil von Kariobangi – im Flur gibt es eine Metalltür und in der Nacht kommt ein Wachmann. Eigenständig – In Zukunft werde ich meine Wäsche selber waschen und selber kochen (dürfen/müssen). Jeder, der mit mir im letzten Jahr zusammengelebt hat, kann sich vorstellen, wie ich mich darauf freue. – Zugegeben, als ich vor ein paar Tagen die Wohnung zum ersten Mal sah, war ich ziemlich schockiert. Hier soll ich ein Jahr verbringen? Mit dem ganzen Müll, der schlechten Luft? Ohne eigenes Zimmer und dem Lochklo? Ohne Wasser, ohne Strom? Denn natürlich habe ich mich an den Luxus im CBC gewöhnt und ihn zu schätzen gelernt. Gutes Essen zu regelmäßigen Zeiten einfach vorzufinden, zum Wäsche waschen eine Waschmaschine benutzen. Strom und Wasser, Internetanschluss. Ruhe und Privatsphäre zum abschalten und Energie tanken. Über allem natürlich die Mitbewohner. Während der letzten Wochen habe ich ein paar sehr gute Freunde und Bekanntschaften gewonnen, die ich vermissen werde. Und wer hätte es gedacht, auch die Gebetsstunden am Morgen und Abend werden mir fehlen, geben sie doch jedem Tag eine Struktur und lassen mich Gedanken, Eindrücke und Erlebnisse des Tages zu sortieren.
Dann, später, kamen andere Fragen; Ist das nicht genau das, was ich möchte? Mit kenianischen Nachbarn leben? Abends nicht nach Hause fahren, sondern Probleme selber zu spüren anstatt nur über sie zu lesen? Kenianisches Essen zubereiten lernen? Schließlich hat die Neugier auf das Unbekannte gesiegt: Die Koffer sind gepackt, das Zimmer aufgeräumt und Abschied habe ich auch gefeiert – ich verlasse das CBC in Richtung Kariobangi. Ich freue mich auf die vor mir liegende Zeit, die doch ganz anderes als erwartet kommt.
Lasst es euch gut ergehen.
Kwaheri
Christoph