Liebe Freunde und Verwandte,

Wenn ich in diesen Tagen aus dem Haus auf die Straße gehen, dann sehe ich einen großen Adventskalender vor mir. Die Kinder der Scharrerschule haben die Fenster ihrer Klassenzimmer schön verziert. Tag für Tag ist dann ein weiteres Adventsfenster zu sehen. Vor etwas über 100 Jahren hat man den Adventskalender erfunden, um vor allem den Kindern das Warten auf Weihnachten etwas zu erleichtern. Mich setzt das etwas unter Druck – es ist ja bis Weihnachten noch einiges zu erledigen. Unter anderem möchte ich Euch auch wieder einen Gruß zum Fest schicken.

Ein Wort aus dem Evangelientext des 2. Adventssonntags geht mir nicht aus dem Kopf. „Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt“ – der griechische Urtext klingt für mich noch provokanter: „Und sehen wird alles Fleisch das Heil Gottes.“ Was bedeutet das für uns, die wir bald die Geburt Jesu Christi feiern werden angesichts der Weltsituation. Ist es nur eine Utopie, eine schön klingende Verheißung für den Sankt-Nimmerleins-Tag? Der Evangelist Lukas, der mit diesem Wort das Auftreten Johannes des Täufers beschreibt, verortet es ganz konkret in der Geschichte, „im 15. Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius“, „Gottes Heil für alle Menschen“, für die ganze Menschheit, nicht nur für die Privilegierten, die in Sicherheit und Wohlstand leben, sondern auch für jene, die wegen Terror und Krieg, wegen fehlender Lebensperspektiven auf der Flucht sind. Wie nie zuvor wurden wir heuer in unserem Land damit konfrontiert, dass hunderttausende Flüchtlinge kamen. Sie haben auf der Flucht einiges durchgemacht und können nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren. Vielleicht eröffnet sich ihnen eine neue Zukunft in unserem Land. Zu hoffen wäre es.

Im Sommer wurde in unserem Stadtteil Gleißhammer und St. Peter eine Unterkunft für Asylbewerber mit etwa 100 Personen eröffnet, die vom Roten Kreuz betreut wird; eine weitere soll bald dazu kommen. Viele Menschen aus unserem Stadtteil und auch aus der katholischen und der evangelischen Gemeinde engagieren sich in der Betreuung der Flüchtlinge. Da gibt es ein gutes Miteinander der verschiedenen Helfer und Helfergruppen.

Am 9. Juni fand eine Gedenkveranstaltung zum 10. Jahrestag der Ermordung von Ismail Yasar statt, bei der auch eine Gedenkplatte verlegt wurde. Ismail Yasar war hier wegen seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bekannt und beliebt; er wurde nur 120 Schritte von unserer Haustür entfernt vermutlich von Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in seiner Dönerbude ermordet. Die Kinder der Grund- und Mittelschule hatten eine große Plakatwand mit dem Thema: „Solange uns die Menschlichkeit verbindet, ist egal, was uns trennt“ gestaltet; es ging darum, ein Zeichen für Respekt, Toleranz und Menschenwürde zu setzen. Und das brachten die Schülerinnen und Schüler der Scharrerschule mit kurzen Texten und Musik gut zum Ausdruck. Ganz anders war eine Veranstaltung ein paar Tage später am gleichen Ort, bei der verschiedene – vor allem sogenannte autonome – Gruppen „gegen“ Faschismus demonstrierten. Allzu viele waren nicht gekommen – und vielleicht ist es nicht genug, „gegen“ etwas zu sein.

Das Jahr über hatten wir im Haus öfters Gruppen von jungen Leuten, meistens „MissionarInnen auf Zeit“, die sich auf einen Einsatz vorbereiteten oder Rückkehrer, die eine Auswertung ihrer Tätigkeit machten, oder sich zu einem Gedankenaustausch trafen. Im August kam auch Anna Schönstedt bei uns vorbei und berichtete über ihren Einsatz im Kindergarten „San Daniel Comboni“ in Arequipa/Peru. Sie hat mir auch Grüße und ein paar Briefe von Leuten mitgebracht, die mich noch nicht vergessen haben. Es ist schön zu erfahren, dass es sich gelohnt hat und lohnt, Kraft und auch materielle Mittel für das Wohl der Kinder am Stadtrand zu investieren und ich danke allen, die uns dabei immer großherzig unterstützt haben.

Wenn ich so im Kalender zurückblättere oder mir die Fotos anschaue, die ich im vergehenden Jahr gemacht habe, so stelle ich fest, dass es neben den Alltäglichkeiten auch ein paar besondere Dinge in unserer Provinz gegeben hat. Da war der Besuch unseres Generaloberen, P. Enrique Sánchez, Ende April, der seinen Höhepunkt in einer Wallfahrt nach Altötting fand. Aus den verschiedenen Orten, an denen die Comboni-Missionare tätig sind, waren Busse mit Mitbrüdern, Angehörigen und Freunden gekommen: aus Graz, Brixen, Innsbruck, Mellatz, Ellwangen, Neumarkt und auch aus unserer Gemeinde St. Kunigund in Nürnberg. Ein gelbes Halstuch mit dem Bild Combonis zeigte, dass man zusammen gehörte – und da war es dann auch leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich selbst habe so manche Bekannte, die ich schon länger nicht mehr gesehen habe, bei dieser Gelegenheit wieder getroffen. Anderen ging es genauso; die Freude über das Wiedersehen war überall zu spüren. Bei seiner Ansprache erinnerte P. Enrique daran, dass der Missionsauftrag Jesu auch heute noch aktuell ist und sich an alle Christen richtet. Der Gründer unserer Gemeinschaft, Daniel Comboni, entwarf vor 150 Jahren einen Plan, durch den alle Afrikaner die Botschaft des Evangeliums empfangen und ihre Berufung zu Kindern Gottes erkennen könnten. Er sagte: „Das Gebot Jesu, ‚Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium‘ war das Wort, welches das Herz des heiligen Daniel Comboni berührt und ihn dazu geführt hat, sein ganzes Leben in den Dienst der Ärmsten und Verlassensten zu stellen. Diese Worte haben sein Leben verändert und bewirkt, von einer anderen Menschheit zu träumen, in der alle Menschen anerkannt und geachtet werden und niemand von Gottes Heils-Plan ausgeschlossen ist.“ P. Enrique erinnerte auch daran, dass Daniel Comboni besonders im deutschsprachigen Raum eine großartige Unterstützung für seine Mission in Zentralafrika erhalten hatte.

Beim Generalkapitel, das nach 6 Jahren heuer wieder in Rom stattfand, ging es auch um die missionarische Berufung: als Comboni-Missionare sind wir gerufen, die Freude des Evangeliums in der heutigen Welt zu leben und Hoffnung den Menschen zu bringen. Da darf man sicher zuerst an die Brennpunkte in Afrika denken, in denen unsere Mirbrüder tätig sind, an den Südsudan und Zentralafrika mit ihren Problemen, aber auch an die Menschen in Lateinamerika, in Peru, mit denen ich mich besonders verbunden weiß, an die Menschen, die unter Krieg und Terror in Syrien, im Irak und Afghanistan leiden, und schließlich an die Menschen in unserem Land, an die Flüchtlinge und alle an den Randgedrängten.

„Und sehen wird alles Fleisch das Heil Gottes“; damit diese Verheißung mehr und mehr sichtbar wird, können und dürfen wir alle einen kleinen Beitrag leisten.

Ein frohes Weihnachtsfest und Gottes Segen für das Neue Jahr 2016 wünscht von Herzen
P. Herbert